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Paul Wrusch
Kommentar von Paul Wrusch

Das Kernthema der Piratenpartei ist Demokratie. Zu sagen, dass sie nicht für alles sofort eine Lösung haben, ist ein guter Politikstil in Zeiten der Eurokrise.

D ie Piraten gelten gemeinhin als Partei für Netzpolitik, für Datenschutz und Freiheit im Internet. Dabei sind sie in erster Linie eine Demokratie-Partei.

Den Einzug ins Berliner Abgeordnetenhaus mit 8,9 Prozent der Stimmen haben sie nicht etwa geschafft, indem sie als Internetnerds auf ihre Kernthemen gesetzt hätten; auf den 51 Seiten des Berliner Wahlprogramms taucht das Wort "Datenschutz" nicht einmal auf. Dafür dutzende Male "Demokratie" und "Transparenz".

Vor allem ihr Bekenntnis zum Unwissen bei politischen Grundsatzfragen wie der Wirtschaftspolitik und ihr Versprechen eines neuen Politikstils haben sie auch bundesweit auf derzeit 10 Prozent katapultiert. Damit sind sie zu einer Gefahr für die etablierten Parteien geworden.

privat
PAUL WRUSCH

ist Autor der taz.

Wenn diese auf den Erfolg der Piratenpartei jetzt reagieren, indem sie mal schnell ihr netzpolitisches Profil stärken, sich der Netzneutralität und des Datenschutzes annehmen, unterliegen sie einem Missverständnis. So einfach werden sie die Piraten nicht los.

Stattdessen müssen sie ihr basisdemokratisches Profil stärken, glaubwürdiger werden und - ehrlich: also hin und wieder eingestehen, nicht für jedes Problem sofort eine Lösung parat zu haben. Das ist der zukunftsversprechende Politikstil in Zeiten der Eurokrise.

Ob der Höhenflug der Piraten anhält, möglicherweise bis zur Bundestagswahl 2013, liegt ganz bei ihnen. Man wird sie daran messen, ob sie das basisdemokratische Versprechen durchhalten. Täglich treten der Partei rund 150 neue Mitglieder bei. Die wollen mitreden, bei jedem Thema. Die Installation einer strategischen Kommandobrücke wäre der Anfang vom Ende.

Die Parteispitze darf daher nicht den Verlockungen der Macht erliegen und eigenwillig - wie bereits geschehen - ihre persönliche Meinung medial verbreiten, ohne dass sich die Basis verständigt hat. Denn damit würde sie das wichtigste Kapital der Partei verspielen.

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Paul Wrusch
Redakteur wochentaz
Jahrgang 1984, hat Journalistik und Soziologie in Leipzig studiert. Seit 2009 ist er bei der taz. Nach seinem Volontariat war er Redakteur in der sonntaz, bei taz.de, bei taz2/Medien und im Inlandsressort. Bis 2024 Ressortleiter wochentaz, jetzt Politikredakteur.
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9 Kommentare

 / 
  • A
    Alex

    Mit Behauptungen, was eine so junge Partei "in erster Linie" sei, wäre ich zurückhaltend, wenn nicht sogar komplett schweigsam (bin auch nicht Journalist von Beruf....)

    Noch vor zwei, drei Jahren haben sie fast ihre ganze Identität aus der Gegnerschaft gegen das Urheberrecht gezogen, im Moment ist es halt die Basisdemokratie.

    Ich finde nichts davon schlecht, ich finde die Piraten auch nciht unsympathisch. Aber wenn man von der bisherigen Entwicklung auf die Zukunft schließen darft, kann es ganz gut sein, dass sie in nochmal zwei, drei Jahren wieder ne andere Sau durchs Dorf jagen.

    Dann schreibt irgendein Journalist, der die Weisheit mit Schaumlöffeln gefressen zu haben meint, dann, die Piraten wären "in erster Linie" die Partei der Bildungsoffensive; oder des bedingungslosen Grundeinkommens; oder, oder, oder...

     

    Kann sein, muss nicht; aber aus solchen Erkenntnissen lassen sich halt schlecht Zeitungsartikel machen.

     

    Dass sie beim Datenschutz kleinlauter wären, kann übrigens gut daran liegen, dass sie bei all ihrer (zweifellos großen) technischen Kompetenz selber keine konkreten Vorschläge haben, wie man im Netz genau gestalten soll und ihnen gerade dämmert, dass sich das auch nciht so bald ändern wird.

  • R
    renee

    "Die Piraten gelten gemeinhin als Partei für Netzpolitik, für Datenschutz und Freiheit im Internet. Dabei sind sie in erster Linie eine Demokratie-Partei. "

     

    _für_ Datenschutz setzen die sich schon lange nicht mehr ein was Unternehmen (insbesondere natürlich Google, Facebook und co.) angeht. sondern _für_ Freiheit im Internet und da stören Datenschutz und Regeln ja nur.also sind sie vor allem für die Freiheit der Unternehmen...

     

    langsam sollte es auch der letzte mitbekommen haben, dass die Piraten, insbesondere die Berliner Piraten, nichts mehr mit der Piratenpartei 2006-2009 gemein haben.

  • WB
    Wolfgang Bieber

    Hier gibt's lesenswertes Interview mit dem Bundesvorsitzenden der Piratenpartei, Sebastian Nerz:

    http://bit.ly/v30fFi

  • P
    P.Haller

    "Denn damit würde sie das wichtigste Kapital der Partei verspielen."

     

    Was ist nun mal gleich das wichtige Kapital der Piraten ??

  • BB
    bn bn

    Falsch, die Parteispitze darf jederzeit ihre persoenliche Meinung medial vertreten.

    Sie muss dann nur sagen, dass dies ihre persoenliche Meinung ist.

    Das Parteiprogramm hingegen, an das die Parteispitze politisch gebunden ist,

    wird nach wie vor "basisdemokratisch" auf den Parteitagen ausgehandelt.

    Und vor allem vorher, ueber liquid feedback.

  • L
    Laberlohe

    Interessanter Artikel, doch leider ist der letzte Absatz nicht ganz korrekt: Wieso muss ein Bundesvorstandsmitglied neuerdings seine Privat-(!)-Meinung mit der Basis abstimmen?

     

    Vielmehr sollte das mediale Verständnis von Basisdemokratie hier und bei fast allen Anderen Zeitungen überdacht werden: Vorstände geben keine Richtungen (Leitanträge o.ä.) vor, sie dienen vielmehr der Verwaltung/Organisation sowie der Repräsentation nach Außen. Und trotz parteiinternen Amt hat jedes Vorstandsmitglied weiterhin die gleichen Rechte wie jedes Basismitglied - gerade auch eine private Meinung. Würde die Pirvatmeinung mit der Basis abgestimmt, wo wäre dann die Meinungsfreiheit? Ganz frech könnte man auch sagen: ohne Privatmeinung keine Demokratie...

  • T
    TomD.

    Die Parteienzersplitterung in Deutschland beginnt und erinnert irgenwie an die Weimarer Republik. Die Mächtigen haben ihre Macht schon immer dadurch gefestigt, dass sie die Macht ihrer Gegner aufteilten und ihnen somit den Wind aus den Segeln (wie piratisch)nahmen.

    Die Piraten werden sich anstrengen müssen, um der Demokratie nicht mehr zu schaden als ihnen lieb ist...

  • K
    Kommentator

    Erstaunlich treffende Analyse!

    Unerwartet gut für die allgemeine Berichterstattung der taz zu den Piraten.

     

    Inwieweit die "etablierten Parteien" aber ein "basisdemokratisches Profil" haben, erschließt sich mir nicht und würde mich sehr interessieren.

    Haben das denn CDU, SPD oder Grüne und Linke überhaupt noch in Ansätzen?

     

    Freue mich auf Antwort!

  • PS
    Politik stil

    Ich glaube Piraten verzichten auf Delegierte. Aber legale konstruktive demokratische Ideen anonym vorstellen geht dort leider auch nicht.

     

    Das generelle Problem ist die Gruppisierung: Von einer Partei wird erwartet, das sie eine einheitliche Meinung unbedingt haben muss. D.h. alle FDPler gehen ins Restaurant und Rösler bestellt das Einheitsgericht für alle.

    Dazu gibt es keine Theorie. Und Piratenmitglied werden nachdem man schon jahrzehntelang als Grüner oder Linker verfolgt wurde, will auch nicht mehr jeder.

     

    Ein guter Pirat hätte ein Pad. Dort würde der Begleiter per Tastatur einbuchen und der Pirat würde sehen, wie die Parteimeinung ist. Häufig natürlich "das Thema müssen wir erst noch diskutieren, weil wir keinem Anführer-Alpha-Tier folgen das uns Lobby(be)raten diktiert was wir basta-mäßig gut finden müssen.".

    Denn viele Dinge wären per Internet in einer Woche klar lösbar. Speziell wenn man Übung hat!

    Es gibt doch den Spruch von den 5 Minuten nach dem Heimkommen zu Hause am WApp-TV (gesprochen "Wepp Tieh Wie" Wepp wie App.) Demokratie zu machen. Oder halt in der Bahn bei der Heimfahrt am Smartphone.

     

    Sowas ist schnell programmiert und noch schneller abgemahnt. Sonst gäbe es das schon als Freies Linux-Gnu-Projekt. Aber die wollen wohl leider nicht.

    Wenn ich Pirat wäre, würde ich die Software auf Servern anderen Partei-Basen, Gewerkschafts- und Fußballvereinen zur Verfügung stellen. Dann könnte unzufriedene Schalke-Mitglieder sich per App und Web organisieren. Internet-Graswurzelismus.

     

    Einem Piraten sollte es reichen, wenn die anderen Parteien tun, was man will bzw. das Beste für alle (weltweit) ist. Dafür braucht man selber nicht dem Steuerzahler als Schuldenmacher auf der Tasche liegen.

    Fragen wie "Wollt ihr DSL6000 bezahlen und nur DSL2000 haben ?" kann auch die CDU-Basis per App in einer Woche entscheiden worauf das schnelle Gesetz erfolgt.

    Oder wollen CDUler wirklich Analog-Käse im Essen haben ? Der wäre in einer Woche abgewickelt.

     

    Leider findet keiner das Konzept der volldemokratisierenden Basis-Web/App für alle Gemeinschaften (Parteien, Fußballvereine, Gewerkschaften, Lobbygruppen, Handwerker und natürlich Klein-Aktionäre und Mitarbeiter ohne Betriebsrat) als disruptiven Demokratie-Turbo so gut, das er seine verfassungsmäßigen Schutzrechte zur Protektionierung des Projektes nutzen würde.

    Auch Gegner und Ausländische Diktatoren erkennen nicht, das man dem Gegner mit nichts mehr schaden kann, als wenn jedes Basis-Mitglied per Internet eine angstfreie (also auch anonyme) Stimme erhält.

    Demokratie-NGOs sind auch nicht interessiert... .

    Das konservative Bürger-Crowding in England scheint ja nicht zu wirken.

    Thomas Sawyers Inversion der Nachfrage geht auch bei der Übertragung mit Basis-Demokratie. Böse Diktatoren würden von "Ansteckung/Infektion mit Demokratie" reden.

    Tja. Schade das so ein einfaches Projekt keiner etabliert. PlagWiki und VroniPlag sind aufwendiger.

     

    Die guten Parteien sorgen für demokratische legale konstruktive Basis-Apps. Die anderen scheitern und machen Lagerkämpfe wie Realo-Fundies bei den Grünen. Was egal war, weil Rot-Grün das Bessere auch nicht brachte sondern keinen definierten (abgesprochenen) subventionsfreien Internet-Ausbau und die dritte Tranche und Hartz4. Die Moral einer Partei entscheidet also über Zerfleischung oder demokratische Wirksamkeit. Selbst-Korrektur nennt das der Chipdesigner und erspart sehr viel Arbeit. Jeder kriegt einen Ferrari und die dummen landen im Graben und die anderen haben Spaß.

    Tja. Schade das niemand interessiert ist.