Kommentar Paragraf 175: Wir müssen über Schuld reden
Heiko Maas’ Initiative ist sehr löblich, aber sie wird zu rasch umgesetzt. Die gesellschaftliche Debatte um den Paragrafen 175 wird vermieden.
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D ass Justizminister Heiko Maaß ein Gesetz zur Rehabilitierung der schwulen Opfer des Paragrafen 175 angekündigt, überrascht nicht. Eher schon, dass mit dem Deutschen Juristentag das wichtigste deutsche Forum juristischer Expert*innen damit einverstanden ist. Man möchte sagen: Wie erstaunlich! Noch vor 14 Jahren erklärten die damals noch regierungsbeteiligten Grünen, dass es rechtssystematisch nicht möglich sei, Rechtsprechungen aufzuheben, die in einem demokratischen Rechtsstaat getroffen wurden.
Inzwischen ist die Debatte weitergekommen: Wer als schwuler Mann in den ersten 20 bundesdeutschen Jahren nach dem weiterhin gültigen Paragrafen 175 der Nationalsozialisten verurteilt wurde, musste dies wider die damals schon geltenden Menschenrechte erleiden. Dieser Punkt muss betont werden, weil die politische Wiedergutmachungsgeste nicht einfach als ein homofreundlicher Akt betrachtet werden kann. Es geht hier darum, dass in voller Absicht eine höllische Strafbestimmung nationalsozialistischer Herkunft weiterwirken konnte.
Nichts ruinierte bürgerliches Leben so gründlich wie Gerüchte über einen, der „vom anderen Ufer“ sein könnte und der jede Satisfaktionsfähigkeit eingebüßt hat. Knast, schuldhafte Scheidungen, Jobverlust, Einträge in Strafregister – Entwürdigungen sondergleichen.
Insofern ist Heiko Maaß' Initiative sehr löblich, aber sie wird zu rasch umgesetzt: Am Ende wird es ein Gesetz und eine gewisse Summe Geld geben, um die sich dann lobbyistisch gut aufgestellte queere Bürgerrechtsorganisationen zanken, um die entsprechende wissenschaftliche Aufarbeitung der Nazigeschichte ins Werk zu setzen. Aber viel zu schnell wird eine gesellschaftliche Debatte vermieden, die sich an alle richtet, die die Strafkultur gegen männliche Homosexuelle gut fanden und sie aufrechterhalten haben. All jene haben sich schuldig gemacht. Es sind Nachnazitäter*innen, nichts weiter.
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