Kommentar Oktoberfestattentat: Da steckt noch mehr dahinter
Parallelen zum NSU drängen sich auf. Die Polizei ermittelte schon damals sehr einseitig. Und die Politik wollte von rechtsextremem Terror nichts wissen.
V ielleicht haben die Sicherheitsbehörden aus dem Versagen im Zusammenhang mit dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) doch etwas gelernt. Ohne diesen Skandal jedenfalls schien es lange extrem unwahrscheinlich, dass das Attentat auf das Oktoberfest noch einmal neu aufgerollt wird. Dabei ist das lange überfällig.
Als die Bundesanwaltschaft nach zwei Jahren die Ermittlungen abschloss, blieb ein Einzeltäter übrig: Gundolf Köhler, ein 21-jähriger Student und Anhänger der neonazistischen Wehrsportgruppe Hoffmann, der bei dem Anschlag selbst ums Leben kam. Er soll die Bombe allein gebaut und gelegt haben – nicht aus politischen Gründen, sondern weil er sexuell frustriert und durch eine Prüfung gerauscht war. Es blieb also genau das, was der Politik in den Kram passte. Denn die wollte von rechtsextremem Terror schon damals nichts wissen.
Auch andere Parallelen zum NSU drängen sich auf. Die bayerische Polizei ermittelte sehr einseitig. Zeugen, die Köhler mit möglichen Mittätern gesehen hatten, wurden nicht ausreichend beachtet. Wichtige Beweismittel verschwanden, Asservate wurden vernichtet. Woher der Sprengstoff für die Bombe kam, wurde nie geklärt.
Auch die Rolle jenes Neonazis blieb unklar, der einer anderen rechtsextremen Gruppe kurz vor dem Anschlag Sprengstoff anbot – und über dessen mögliche V-Mann-Tätigkeit die Bundesregierung bis heute keine Auskunft gibt. Auch sind noch immer viele Akten unter Verschluss.
Dass die Ermittlungen wieder aufgenommen werden, ist auch zwei Männern zu verdanken: dem Journalisten Ulrich Chaussy und Werner Dietrich, der als Rechtsanwalt zahlreiche Opfer vertrat. Immer wieder hat er versucht, eine Neuaufnahme der Ermittlungen zu erstreiten. Jetzt hat er endlich Erfolg. Noch einen Ermittlungs-GAU wie beim NSU können sich die Behörden nicht leisten. Das dürfte auch der Bundesanwaltschaft klar sein. Der Generalbundesanwalt hat gestern zugesagt, umfassend zu ermitteln. Das bayerische LKA muss dieses Versprechen endlich umsetzen.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Bildungsforscher über Zukunft der Kinder
„Bitte nicht länger ignorieren“