Kommentar Obama und die Armenier: Keine große Katastrophe

Ankara vor den Kopf stoßen wollte bisher kein US-Präsident. Aber es war Obama, der noch vor wenigen Wochen im türkischen Parlament die Vergangenheitsbewältigung offen ansprach.

Auf den ersten Blick hat Barack Obama es niemandem recht machen können: Die Armenier in der Diaspora sind tief enttäuscht, weil er am Jahrestag der Verhaftung von über 200 ihrer Wortführer nicht offen vom Genozid an den osmanischen Armeniern sprach. Und die türkische Regierung ärgert sich über seine Formulierung "Meds Yeghern", armenisch für "Große Katastrophe".

Die mit dieser Formulierung verbundene Darstellung verschweige das Leid hunderttausender Muslime in den Kriegsjahren, sagte der türkische Präsident Abdullah Gül. Eher im Stillen empören sich auch die Einwohner Aserbaidschans. Der Grund für ihren Ärger: die Annäherung zwischen Eriwan und Ankara und die bevorstehende Öffnung der türkisch-armenischen Grenze, die seit dem Ausbruch des Berg-Karabach-Konfliktes geschlossen ist.

Die Aseris dürften die Einzigen sein, deren Ärger begründet ist, denn die türkische Regierung ist, im Einvernehmen mit Obama, der Überzeugung, dass nur durch eine neue, reale Annäherung der Türkei und Armeniens die vergiftete Atmosphäre zwischen beiden verbessert werden kann. Die Öffnung der Grenze und der freie Austausch von Menschen und Waren wären die wichtigsten Schritte dafür.

Ankara vor den Kopf stoßen wollte bisher kein US-Präsident. Aber es war Obama, der noch vor wenigen Wochen im türkischen Parlament die Vergangenheitsbewältigung offen ansprach. Der vor drei Jahren in Istanbul ermordete Publizist Hrant Dink sagte einst: "Das Gewissen meiner türkischen Freunde ist mir wichtiger als das, was die Mächtigen dieser Welt zu sagen haben." Und immerhin unterschrieben 30.000 Türken Anfang dieses Jahres eine Erklärung, mit der sie sich bei ihren armenischen Nachbarn für die "Große Katastrophe" von 1915 entschuldigten. Obama weiß also, wovon er spricht.

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