Kommentar Neuwiedenthal-Prozess: Hartnäckigkeit verdient Lob
Die Kammer - allen voran die drei Berufsrichterinnen - hat sich in diesem Verfahren nicht vom öffentlichen Druck und der medialen Vorverurteilung beeinflussen lassen oder sich ihr gar gebeugt.
D as Gericht hat entschieden. Die drei Berufsrichterinnen der Großen Strafkammer 28 des Hamburger Landgerichts haben den Haftbefehl gegen Amor S. aufgehoben und eine Richtungsentscheidung getroffen. Sie haben ihn zwar nicht gänzlich von jedem Verdacht entlastet, aber zum Ausdruck gebracht, dass sie Zweifel an den Anschuldigungen des Hauptzeugen haben.
Was jedoch noch wichtiger ist: Die Kammer - allen voran die drei Berufsrichterinnen - hat sich in diesem Verfahren nicht vom öffentlichen Druck und der medialen Vorverurteilung beeinflussen lassen oder sich ihr gar gebeugt. Denn für die Boulevardmedien, dem damaligen CDU-Innensenator Christoph Ahlhaus und den Polizeigewerkschaften war am ersten Tag klar: Eine Horde von gewalttätigen Neuwiedenthalern mit Migrationshintergrund - "entartete Südländer", wie es im Funkprotokoll hieß - sind über korrekte und pflichtbewusste Schutzmänner hergefallen - allen voran der vorbestrafte Amor S. Dass die Polizei auch völlig ausgerastet ist, blieb ausgeblendet.
Das hat das Gericht nicht mitgemacht: Akribisch hat es durch seine fast schon penetrante Zeugenbefragung - die dem Beobachter teilweise Nerven abverlangte - versucht, Licht in das Dunkel zu bringen und die Ungereimtheiten ans Tageslicht zu fördern. Und das ist diesem Gericht gelungen, trotz des andauernden Sperrfeuer von Bild & Co. Und das verdient Respekt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“