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Kommentar NPD-AufmarschBlockaden gut, Böller nützlich

Deniz Yücel
Kommentar von Deniz Yücel

Was zusammenkommen muss, um einen Naziaufmarsch erfolgreich zu verhindern – und warum der Kreuzberger Blockadeerfolg dennoch nicht ungetrübt ist.

Kleinere Zusammenstöße vor dem Märkischen Museum am Rand der NPD-Demo. Danach war Schluss. Bild: dpa

M ehrere tausend Gegendemonstranten haben am Samstag einen Aufmarsch der NPD durch Berlin-Kreuzberg verhindert. Nach stundenlangem Warten und wenigen Schritten war auf der Brückenstraße Schluss.

Noch ehe sie die Bezirksgrenze erreicht hatten, mussten die Nazis umkehren und wurden in eine S-Bahn nach Ostdeutschland verfrachtet, wo sie am späten Nachmittag demonstrierten. Durch ihre Blockaden verpassten die Kreuzbergerinnen und Kreuzberger Erkenntnisse wie diese eines NPD-Redners: „Unsere Kinder werden beim Schulsport als letzte in die Mannschaft gewählt.“

Dabei verliefen die Blockaden nicht ganz gewaltfrei, was manche Medien gar nicht genug hervorheben konnten: „Krawalle bei NPD-Aufmarsch in Berlin“, titelte Bild.de, „Autonome bewerfen Polizei mit Feuerwerkskörpern“ hieß es bei der Boulevardkonkurrenz von Spiegel-Online, wo man zwar viel für die − keineswegs immer friedlichen − Demonstranten vom Tahrir und Taksim oder gar vom Majdan übrig hat, ein paar Böller in Kreuzberg aber offenbar für die Vorboten des Bürgerkriegs hält.

Das Erfolgsrezept

Das ist natürlich Quatsch. Denn um einen Nazi-Aufmarsch zu verhindern, braucht es dreierlei: Eine große Menge friedlicher Blockierer, die nicht nur symbolisch, sondern ganz praktisch alle Verbindungsstraßen blockieren, ein bisschen Militanz zur rechten Zeit und eine Polizei, die keine Lust verspürt, den Nazis den Weg freizuprügeln (und dafür selber Prügel einzustecken). Diese drei Dinge kamen am Samstag zusammen.

Dass den rund hundert rechtsextremen Jammerlappen ein vielfaches an Antifaschisten gegenüberstand, hätte zwar ausgereicht, dass die Polizei die Naziveranstaltung aus „Gründen der Verhältnismäßigkeit“ abbricht. Tatsächlich ließ sie die Nazis aber erst umkehren, nachdem an einer möglichen Ausweichroute vor dem Märkischen Museum ein paar Böller und Flaschen geflogen waren und die Polizei mit Knüppeln und Pfefferspray reagierte.

Mit diesem Rezept wurden schon öfter Naziaufmärsche verhindert, im Februar in Cottbus etwa, zuvor in Dresden oder in Frankfurt am Main. Und so werden die zum 1. Mai in Rostock, Dortmund und Berlin-Neukölln geplanten NPD-Demonstrationen zu verhindern sein.

Getrübt wurde dieser Kreuzberger Festtag nicht durch das bisschen nützlichen Krawall, sondern durch eine Meldung, die die Polizei veröffentlichte, während die Nazis noch von allen Seiten einkesselt an der Bezirksgrenze herumhingen: Am Vortag hatte in der Kreuzberger Graefestraße eine Gruppe von sechs jungen Männern einen Israeli antisemitisch beleidigt und ihm ins Gesicht geschlagen. Die Täter: Keine ostdeutschen Nazis, sondern deutsch-arabische Jugendliche. Für das Ziel #BerlinNazifrei gibt es auch ohne NPD noch viel zu tun. Soweit es geht, friedlich.

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Deniz Yücel
Kolumnist (ehem.)
Von Juli 2007 bis April 2015 bei der taz. Autor und Besonderer Redakteur für Aufgaben (Sonderprojekte, Seite Eins u.a.). Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik 2011. „Journalist des Jahres“ (Sonderpreis) 2014 mit „Hate Poetry“. Autor des Buches „Taksim ist überall“ (Edition Nautilus, 2014). Wechselte danach zur Tageszeitung Die Welt.
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18 Kommentare

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  • Als Vertreter türkischer Interessen sollte er zu seinem Führer nach Ankara gehen.

    Oder besser: Ein Seminar in Rußland besuchen, wo er die hiesige Rechtsbewegung kritisiert.

    Auskünfte gibt es bei Volker Beck

  • naja, genau genommen haben die nazis Ostdeutschland ja nie verlassen.

  • Unter dem Link zur "antisemitischen Beleidigung" führT folgendes dazu aus "und äußerten sich anschließend abfällig über den Israelischen Staat."

     

    Wie kommt man von der "Kritik am Staat Israel" zum Antisemitismus? Hört doch mal auf diesen Staat in Watte zu packen. Die Israelis machen als Staat viel Mist, das hat nichts mit ihrer Religion zu tun sondern nur mit Politik!

     

    PS: Ich kann mir gut vorstellen, dass bei dem angesprochen Vorfall auch andere Sachen gesagt worden sind. Jedoch muss das belegt werden. Dieser Beleg fehlt hier.

    • D
      D.J.
      @fox_taz:

      Aha. Wenn einem Israeli (woher wussten eigentlich die Jugendlichen, dass er Israeli war - es hätte genausogut ein deutscher Jude sein können? Ich vermute, die Staatsangehörigkeit war ihnen wurscht) ins Gesicht geschlagen wird, hat das natürlich niiichts mit Antisemitismus zu tun. Manchmal weiß man nicht, ob man laut lachen oder heulen soll.

       

      Allgemein: Die Motive der Blockierer mögen überwiegend ehrenwert sein. Ich frage mich aber ständig, wie viele von ihnen Widersand leisten würden, wenn es tatsächlich gefährlich wäre. Ein wenig mehr Bescheidenheit würde darum manchen gut zu Gesicht stehen. Denn wie sagte mal ein ehem. KZ-Insasse: Man weiß nie vorher, wer in der Situation zum Schwein und wer zum Helden wird. Überraschungen gab es in jede Richtung.

      • @D.J.:

        ..und ? würdest DU widerstand leisten, wenn es tatsächlich gefährlich wäre ??

         

        weiß du: mir sind leute, die sich unter nicht wirklich gefährlichen umständen antinazimäßig engagieren, allemal lieber, als solche, die es nicht mal dann tun.

        • D
          D.J.
          @tom-pex:

          1. Weiß ich nicht.

          2. Einverstanden.

          3. Mich nervt nur die Selbstgerechtigkeit mancher (!) dieser Leute, die genau wissen, dass sie damals alles anders gemacht hätten.

      • @D.J.:

        Selbstverständlich nicht automatisch! Die Wahrscheinlichkeit ist wohl recht hoch, jedoch ohne Belege ist so eine Behauptung polemisch und soll die öffentliche Wahrnehmung unlauter beeinflussen - mehr nicht.

         

        Mit der selben Logik könnte man jedem Deutschen, der einen Farbigen schlägt als Rassisten bezeichnen, obwohl die sich nur um einen Parklücke gestritten haben.

         

        (Das ganze mal ungeachtet der Tatsache, dass sich körperliche Auseinandersetzungen grundsätzlich verbieten.)

  • @ ERNESTO ARMANDO

     

    Ich habe eine Frage gestellt und erwarte Antworten, keine linken Gegenfragen.

     

    Die Antwort lautet: die Antifaschisten haben versagt und versagen täglich mehr. Jeden Tag wird das neue Reich beschworen, während Eure Schützlinge tatsächlich jüdische Mitbürger und Touristen physisch attackieren sowie dem Ansehen Deutschlands immensen Schaden im Ausland zufügen:

     

    http://www.jpost.com/Jewish-World/Jewish-News/Report-Palestinians-attack-Israeli-in-Berlin-350517

     

    Und wie man als multilingualer Mensch in dem beschämenden Artikel lesen kann, gab es die blutigen Schläge mit Ansage!

    • 9G
      970 (Profil gelöscht)
      @Fragenkatalog:

      Die Antifa soll also jetzt der Polizei zuvorkommen und Palästinenser vermöbeln, die einen Israeli verprügeln wollen?

       

      Komm mal wieder auf den Boden der Tatsachen. Wenn du das "Ansehen Deutschlands" nicht beschädigt sehen willst, dann musst du doch verstehen, dass in diesem "RECHTSstaat" die Polizei ihre Aufgabe nicht übernommen hatte.

       

      Da hat doch die Antifa nichts mit einer Straftat zu tun - politische Motivation hin oder her!

    • @Fragenkatalog:

      Wenn es irgendwann so weit ist, das die Antifa polizeiliche Aufgaben übernehmen muss, so denke ich, wirst Du es merken. Im Moment würde ein solches Ansinnen mit etwas Pech nervtötende Ermittlungen/Repressionen des Staatsschutzes mittels §129 nach sich ziehen, also sehe ich da allerhöchstens ein Maximalversagen der Cops, was nebenbei gesagt, auch nicht verwundert.

      Bleibt noch zu fragen, warum Du nichts unternommen hast? Echt, beschämend sind solche unhaltbare Pseudovorwürfe, die einfach nur provozieren sollen!

    • @Fragenkatalog:

      Das ist nicht Aufgabe der Antifa, sondern der polizei.

      Das ist ein Straftat.

      Die Antifa konnte auch Adriano nicht retten oder die NSU opfer.

      Was denken sie denn was die Antifa ist?

  • In der Theorie mag das Konzept richtig sein. Dieses Geplänkel gestern war aber schlichtweg unnötig. Zu einen war die Zahl der Demonstranten völlig ausreichend und die der Polizei für eine Räumung zu gering. Zum anderen weil es eben von Medien wie Bild oder Tagesspiegel wieder überzogen dargestellt werden kann. Dieser Nazi-Aufmarsch konnte und wurde durch friedliche Proteste verhindert werden. Das ganze hat nur den Glanz der ansonsten erfolgreichen Blockade ein wenig trüben.

    Auch nicht so Geil finden ich wenn wie an der Jannowitzbrücke 20 Leute auf einen verirrten Nazi einprügeln. Bei aller Verachtung für Nazis, war es in dem Fall nicht notwendig,und Heldentum sieht eben auch anders aus.

    Und wenn Leute Steine werfen, während Demonstranten zwischen den Polizisten im Gerangel stecken ist das auch eher Fragwürdig (Stichwort: friendly fire). Ansonsten eine Gelungene Blockade!!!!!!!

  • Alles richtig gemacht! Das Ergebnis zählt, und ja es ist erbärmlich, dass es in diese Gesellschaft nur auf diese Art und Weise möglich ist, Nazis aufzuhalten! Wer sollte hier eigentlich einmal über sein Verhalten in dieser politischen Landschaft nachdenken? Richtig! All die Wohnzimmerrevolutionäre und Möchtegerndemokraten sind es, all die Maulhelden die ihren Arsch nie für ihre Interessen hochbekommen, welche es nötig machen, das einige andere Menschen eben etwas mehr riskieren müssen, um dieses Neonazigesindel aufzuhalten.

  • Ich hätte gerne gewußt wo die Antifaschisten waren, als im selben Kreuzberg ein jüdischer Tourist aus Israel von sechs palästinensischen Schlägern verbal attackiert und blutig geschlagen wurde! Und das mit Ansage, nachdem Sie ihm und seiner Begleitung bereits am 24. April vor seiner Haustür in der Graefestrasse auflauerten und nach seiner Nationalität fragten! (Siehe Tagesspiegel-Bericht von gestern)

    • @Fragenkatalog:

      Wo waren sie denn?

      Welche Ankündigung?

      Denken sie das die Aktion in netzt gestellt wurde oder aber mit großflächiger werbung in den medien vorangekündigt wurde.

      kommen sie bitte von ihrem ross runter,danke.

    • @Fragenkatalog:

      Ich frage mich, was Du mit der Frage wohl erreichen willst?

  • "herzenen wohnen in der brust? da vertue man sich reichlich in der anzahl, wusste "herrschaftstechnik" experte nietzsche.

     

    der staat sieht sich eben derartig offensichtlich ausserstande, linkes, das meist regieruingskrtoisch ist, als legitim, als bessers recht undhandelmn als sein"zuständiges" zu erkennen, das fast sofort die comedy zuständig wird und realsatire aufgeführt wird.

     

    rechstradikalismus ist keine meinung, sondern ein verbrechenn, hierzulande durch eine prargraphen zur volksverhetzung und verherrlichung von nazisymbolen aber auch vielem andrren.

     

    ausländerfeindlichkleit widerspricht dem staatsziel der integration und völkerverständugung, dem frieden.

     

    da muss so eine demo gar nicht erst genehmigt werden, wa in varianten seit jahrzehnten bundesweit für absurden justziablen konfliktstoff sorgt, wo oberbürgemeister zu gegendemos aufrufen, bei den die polizei dann verhaftet - wegen demo aufrufs, mit gerichtsverfahren.

     

    bei deschlussepsiode häte man gerne auch die andere "side of ther story".

     

    das "untetantenherz", die "staatsvergötterung", sollte keine SO großen platz in der taz haben.

  • 9G
    970 (Profil gelöscht)

    "Um einen Nazi-Aufmarsch zu verhindern, braucht es dreierlei: Eine große Menge friedlicher Blockierer, ein bisschen Militanz zur rechten Zeit und eine Polizei, die keine Lust verspürt, den Nazis den Weg freizuprügeln."

     

    Deniz, besser kann man's nicht zusammenfassen! Danke für diesen schönen Kommentar, der auch auf die eigentlichen Kreuzberger Probleme hinweisen konnte. Kreuzberger Nächte sind bekanntlich lang...