Kommentar Merkels Flüchtlingspolitik: Die Simulation von Politik
In den kommenden Wahlen könnte die Union Stimmen verlieren. Deshalb verspricht Merkel der Klientel ihrer Partei nun realitätsfremde Dinge.
A ngela Merkel steht unter Zugzwang. Sie selbst hat eine Reduzierung der Flüchtlingszahl versprochen. Bei den anstehenden Wahlen in drei Bundesländern drohen der CDU deutliche Einbußen. In der Union rumort es von Woche zu Woche mehr.
Egal ob man die Auffassung nun teilt, dass die Migranten eine Flüchtlingskrise ausgelöst haben: Eine Merkel-Krise ist zweifellos vorhanden. Da helfen ihr auch die neuen Sympathien von linker bis liberaler Seite wenig, denn diese Wähler werden ihr Kreuz deshalb gewiss nicht bei der CDU machen.
Weil die Kanzlerin aber mit ihren Bemühungen auf der Stelle tritt, mithilfe der Türkei und der EU eine Reduktion der Flüchtlingszahlen zu erreichen, sie zugleich aber CSU-„Obergrenzen“ und geschlossene Schlagbäume im Schengen-Raum ablehnt, muss sie auf einem anderen Feld Signale setzen. Wenn schon die Zahl der Einreisen aktuell nicht gedrückt werden kann, dann sollen es eben die Rückreisen werden.
Deshalb verspricht Angela Merkel Dinge, die sich für die Klientel der Union gut anhören, auch wenn sie in Wahrheit realitätsfremd sind. Denn die von ihr erwartete Rückkehr Zehntausender Flüchtlinge nach Syrien in einigen Jahren ist derzeit nicht mehr als ein frommer Wunsch. Juristisch steht die Idee auf schwachen Füßen.
Hinzu kommt, dass die Geflüchteten nicht nur vor dem Krieg geflohen sind. Sie haben in der Regel auch ihr Hab und Gut verkaufen müssen, wenn sie überhaupt noch eine Bleibe hatten. Die Erfahrung lehrt, dass diese Menschen nicht mehr in ihre alte Heimat zurückkehren.
Nein, die neue Angela Merkel ist deshalb nicht wieder die alte geworden. Aber diese Art Versprechungen, die als Drohungen gegenüber den Flüchtlingen daherkommen, sind gleich doppelt vergiftet. Denn zum einen suggerieren sie, dass es die Deutschen mit ihren Integrationsbemühungen nicht übertreiben müssen, wenn ein Großteil der Geflüchteten ohnehin schon bald wieder weg ist. Zum anderen ersetzen sie politisches Handeln durch Behaupten.
Diese Simulation des Politischen mag ein paar Wochen lang sogar funktionieren. Aber auf längere Sicht schafft sich die Union damit die Basis für eine weitere Entfremdung – und füttert diejenigen an, die „etablierte“ Politiker als notorische Lügner verunglimpfen, um ihre völkisch-rassistischen Vorstellungen durchzusetzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?