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Kommentar „Memorial“-UrteilPutin kann auch anders

Kommentar von Barbara Oertel

Die Justiz in Russland ist nicht unabhängig, Urteile werden direkt aus dem Kreml diktiert. Umso interessanter ist nun der Entscheid über die NGO.

Archivmaterial an den Wänden der NGO in Moskau. Bild: ap

D ie Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, den Dachverband der Menschenrechtsorganisation Memorial nicht aufzulösen und die Klage des Justizministeriums abzuweisen, ist endlich einmal eine gute Nachricht aus Russland. Da die Justiz nicht unabhängig ist und Urteile aus dem Kreml diktiert werden, lautet die Botschaft: Präsident Wladimir Putin kann auch anders.

Über die Beweggründe für diesen plötzlichen Sinneswandel im Falle einer der bedeutendsten russischen Menschenrechtsorganisationen, die auch zahlreiche internationale Unterstützer hat, kann man nur Vermutungen anstellen. Offensichtlich kann Putin keine weitere Baustelle gebrauchen – zumindest derzeit nicht. Aus gutem Grund. Die Beziehungen zum Westen sind auf einem Tiefpunkt angelangt. Eine Aufhebung der EU-Sanktionen wegen der fortdauernden Kämpfe in der Ukraine, für die Russland nach wie vor jegliche Verantwortung zurückweist, ist nicht in Sicht.

Auch der Europarat macht keine Anstalten, den gegen die russischen Vertreter in der Parlamentarischen Versammlung verhängten Entzug des Stimmrechts rückgängig zu machen. Zudem ist nicht auszuschließen, dass sich die russische Regierung wegen der desolaten Wirtschaftslage alsbald mit Protesten der Bevölkerung konfrontiert sehen könnte.

Doch wodurch auch immer das Urteil gegen Memorial motiviert gewesen sein mag: Tatsache ist, dass der Druck auf die NGO, die sich als ausländischer Agent registrieren lassen musste, stetig wächst. Das jüngste Verfahren dürfte nicht das letzte seiner Art gewesen sein. Dabei ist die Aufarbeitung des Stalinismus, der sich Memorial verschrieben hat, wichtiger denn je. Mehr als 50 Prozent der Russen sehen den Diktator heute wieder in einem positiven Licht. Zumindest das hat Putin auf der Habenseite.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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6 Kommentare

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  • Es wäre schon zu wünschen, dass Frau Oertel wie viele andere endlich lernen würden, zwischen den Pflichten von NGO überall und Politischer Thematik zu unterscheiden.

    Zu den Pflichten zählen nun mal aktuelle Finanz-zahlen und Buchführung, nachgeführte Organisations-strukturen und Stiftungsdokumente ganz generell.

     

    Memorial hat nun nicht mal wissenschaftlich fundierte Archive und Prozesse was nicht ganz unwichtig wäre. Wenn sich dort Mitarbeiter Akten nehmen und nach Hause nehmen hat das wenig mit dem Profitum gegen den Stalinismus gemeinsam. Auch Aufarbeitung muss transparent und fair sein.

  • Man sollte die entscheidung der Gerichte nicht als eine außen Politische Entscheidung Putins interpretiren, sondern eher als ein inenpolitisches Machtgerangel. Nach außenhin schein Putin sehr fest im Sattel zu sitzen, aber man weis nicht genau, was inenpolitisch hinter den Kulissen passiert. Nicht jeder in Russland ist übe die aktuelle ausenpolitische Entwicklung zufrieden und wenn es auf grund dieser zu Geld und Machtverlust geht, hört auch bei Oligarchen der Patriotismus auf.

    Ich denke die entscheidung der Gerichte zeigt viel mehr, das Putin auch innerpolitisch recht viel am jonglieren ist, um verschiedene Interessen, in einer wirtschaftskriese, welche aufgrund auserpolitischen entwicklungen verstärkt wurde, zu beruhigen.

  • Es mag zwar verständlich sein, daß man sich in schwierigeren Zeiten nach der "guten alten Zeit" und ihren "heroischen Führern" zurücksehnt, aber dennoch finde ich es nicht gut, daß ein Teil der Russen wieder die alten Stalin-Poster rausholt (oder neue druckt). Somit ist auch die Aufarbeitung der Stalin-Ära zu unterstützen, und ich begrüße das Urteil. Leider liest Frau Oertel bei den (Hinter-)Gründen etwas im Kaffeesatz. Vielleicht lag es ja wirklich nur an den vom Gericht monierten Verfahrensfehlern?

  • Die Kommentare von Frau Oertel sollten nicht mehr in der Rubrik Politik veröffentlicht werden. Vielleicht sollte man für sie eine Rubrik "Heiteres & Glaube" einführen. Denn ihre Kommentare zeugen von einem festen Glauben und reizen zum Schmunzeln.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      ja, das ist eine gute Nachricht aus Rußland! Jetzt bitte nicht so lang rumdeuteln, bis es eine schlechte wird! Auch aus unserm Land gibt es ab und an gute Nachrichten...

      • @Gion :

        Ist es nicht Frau Oertel, die schon wieder mal alle möglichen Wunschvorstellungen hinein deutet?