Kommentar Mahnwache in Berlin: Gelungene Symbolpolitik

Das Bild, das sich am Brandenburger Tor bot, hat einen neuen Patriotismus gezeigt, der mit Blutsideologischem nichts am Hut hat. Richtig so.

Alle da: Gauck, Mazyek, Merkel, Gabriel, Yilmaz, Soykan und weitere. Bild: dpa

Es könnte die wichtigste Demonstration des Jahres gewesen sein. Die Mahnwache auf dem Pariser Platz am Dienstag war mehr als eine Pflichtübung der politischen Elite des Landes, zu der Vertreter der muslimischen und anderer religiöser Verbände gebeten hatten. Wie sie zum gemeinsamen Bild vor dem Symbol der wiedervereinigten Republik, dem Brandenburger Tor, zusammenkamen und was sie dort sagten, gilt für die Zukunft als politische Maßeinheit dessen, was dieses Land friedlich hält.

Politische Symbole werden gewöhnlich abgetan – sie gelten wenig im Angesicht des irgendwie jenseits von ihnen liegenden Substanziellen. Wer argumentiert: „Was nützt das ganze Integrationsgerede, wenn es keine vernünftige Sozial- und Bildungspolitik gibt?“, verkennt den unpädagogischen Charakter einer freiheitlichen Gesellschaft: Nicht für alles kann der Staat Verantwortung übernehmen, schon gar nicht für schlechte Entscheidungen seiner BürgerInnen. Auch nicht für die Wege etwa jungerwachsener Menschen, sich dem Terror zu verschreiben – dem hätte keine Sozialpolitik beikommen können.

Bundespräsident Gaucks Satz: „Wir schenken euch nicht unsere Angst. Euer Hass ist unser Ansporn“, war einerseits eine souveräne sprachliche Geste gegenüber allen ParanoikerInnen und zugleich eine Geste, bei der das „unser“ zweifellos alle BürgerInnen meinte, also auch, kurz gesagt, EinwanderInnen muslimischer Prägung.

Das Bild des Abends war sprechend integrativ. Republikanisch aus Prinzip, indem die ethnischen und kulturellen Eigenschaften hinter dem Leitbild des gemeinsam Deutschen im Sinne bürgerlichen Miteinanders zum Verschwinden gebracht werden. Die politische Elite mit allen Religionsvertretern – könnte das Bild noch einladender sein? Das heißt nicht, Konflikte zu verschweigen, zum Beispiel den offenen oder verdeckten Hass auf das Jüdische, das Antisemitische vieler BürgerInnen. Aber eine Mahnwache ist kein WG-Plenum, bei dem alles auf den Tisch kommt. Nur darum ging es: sich auszuhalten. Gemeinsam.

Das Gemecker darüber, dass nicht viele muslimische Deutsche zugegen waren, ist erbsenzählerisch. Die Mahnwache hat im Hinblick auf die BürgerInnen, denen Allah alles bedeutet, einen neuen Patriotismus präsentiert, der mit Blutsideologischem nichts gemein hat. Gut so.

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Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Kurator des taz lab und des taz Talk. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders der Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. Er ist auch noch HSV-, inzwischen besonders RB Leipzig-Fan. Und er ist verheiratet seit 2011 mit dem Historiker Rainer Nicolaysen aus Hamburg.

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