piwik no script img

Kommentar LinksparteiGemütliche Doppelspitze

Tobias Schulze
Kommentar von Tobias Schulze

Realos und Fundis können gut miteinander die Partei verwalten. Aber für eine gemeinsame Vision zu streiten, haben sie sich noch nicht getraut.

Links, links, links: Sahra Wagenknecht, Gregor Gysi und Dietmar Bartsch Foto: dpa

D ietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht können nicht miteinander? Der Anführer der Realos und die Sprecherin der Fundis, ein Duo wie Feuer und Wasser? Die Spaltung der Linksfraktion, unter ihrer designierten Doppelspitze nur eine Frage der Wochen?

Überhaupt nicht. Dass sich Bartsch und Wagenknecht zusammenraufen können, haben sie längst bewiesen. Die Linkspartei hatte sich gerade in ihre Rolle als größte Oppositionspartei eingefunden, als die beiden im Frühjahr 2014 ein gemeinsames Strategiepapier veröffentlichen. „Wir sind DIE Opposition“ hieß der Aufsatz und las sich als eine Art Koalitionsvertrag zwischen den künftigen Fraktionsspitzen.

Eine Koalition, deren inhaltliche Grundlage allerdings dünn ist: „Wir nehmen positiv zur Kenntnis, dass die SPD eine Regierung mit uns nicht mehr ausschließt“, hieß in einem Satz. „Rot-Rot-Grüne Debatten sind wenig geeignet, unser Profil zu schärfen“, im nächsten.

Regieren ja, vielleicht aber auch nicht, und im Anhang noch eine Handvoll gemeinsamer Forderungen: Gegen die Rente mit 67, Bankenrettungen und TTIP.

Ohne große Konflikte

Eine Liste der kleinsten gemeinsamen Nenner, aus der sich jeder Parteiflügel herauslesen darf, was ihm am besten gefällt. Auf dieser Basis können Bartsch und Wagenknecht ihre Fraktion ohne große Konflikte verwalten, kann die Linkspartei gemütlich durch die restliche Legislaturperiode schippern.

Was dem Papier aber fehlt: Eine Idee jenseits des Dagegens, ein wirklich eigenes Profil und ein Hinweis darauf, wie die Linkspartei es eines Tages umsetzen könnte.

Aber auch das ist kein Wunder. Gemeinsame Visionen können Bartsch und Wagenknecht nicht im Vorbeigehen entwickeln. Schon gar nicht ohne größere Reibungsverluste. Aber ohne eine Strategie, hinter der sich beide Flügel versammeln können, tritt die Linkspartei im Bundestag auf der Stelle.

Die Aufgabe der neuen Fraktionschefs ist es, um einen gemeinsamen Plan zu streiten. Auch, wenn sie dafür die Komfortzone verlassen müssen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Tobias Schulze
Parlamentskorrespondent
Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.
Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
  • Gerade die Tiraden von Wagenknecht und Dehm gegen das Finanzkapital und die Spekulanten sind nicht links.

    Die deutsche Wirtschaft profitiert von der weltweiten Ausbeutung der Arbeit, von den Exportsubventionen, von der Unterstützung durch den Staat, von dem Bettvorleger DGB, der keine Streikstrategie kennt.

     

    Also links geht besser.

    • @nzuli sana:

      Und wie soll es gehen? Immerhin bieten die Linken linke Politik noch recht authentisch an, gerade im Hinblick auf solche Schlafmützenorganisationen wie den DGB?

  • Zu den charakteristischen Merkmalen des Parlamentarismus gehören: die Beschränkung der Abgeordneten auf legislative Arbeit ohne Teilnahme an der Verwirklichung der Gesetze und ohne echte Kontrollmöglichkeiten; die aus dem sog. "freien Mandat" abgeleitete privilegierte Stellung des Abgeordneten, die ihn dem Wähler gegenüber nicht rechenschaftspflichtig und nicht abberufbar macht; die Trennung der gesetzgebenden von der ausführenden Tätigkeit. In den Ländern des staatsmonopolitischen Kapitalismus ["Soziale Marktwirtschaft" der Bourgeoisie und Aktionäre], ist das Parlament in eine Institution nach 1933 bzw. 1949 verwandelt worden, die die politischen und ökonomischen Entscheidungen der großen Finanz- und Monopolverbände, die mit der Ministerial- und Beamtenbürokratie eng zusammenarbeiten, nachträglich legitimiert, d. h. als "Beschluss der höchsten Volksvertretung" zum Gesetz erhebt. Angesichts der politischen und ökonomischen Beherrschung der gesamten Gesellschaft durch die Finanz- und Monopolbourgeoisie, sieht sich die herrschende Klasse in immer stärkerem Maße gezwungen, die tatsächlichen Macht- [und Überwachungs-] Verhältnisse über die Gesamtgesellschaft undurchsichtig und schwer überschaubar zu machen.

     

    Es fehlt in EU-Europa und der BRD eine außerparlamentarische und demokratische Emanzipations-Bewegung!

    • @Reinhold Schramm:

      Ihr Beitrag ist von klassischer Schönheit!

  • Eine gute Opposition ist allemal mehr wert als eine schlechte Regierung. Sich Gedankenspielen an Koalitionen mit Parteien hinzugeben, die sich mit jeder Gesetzesvorlage weiter von der Verfassung und den Bürgern weg bewegen, erscheint mir derzeit ziemlich abwegig. Gleichwohl ist es wichtig, immer im Gespräch mit allen zu bleiben, denn nur so lässt sich ausloten, ob und wo es in der Sache Gemeinsamkeiten und Mehrheiten geben kann. Ich halte Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch für abgeklärt genug, diese mühsame Aufgabe leisten zu können, ohne sich dabei selbst zu verbiegen.

  • Auf kostenlosen Personennahverkehr warte ich schon Jahrzehnte und hab da die Hoffnung auch noch nicht aufgegeben.

     

    Bin ich nun diesseits des Dagegen,

    weil ich den individuell bezahlten weiterhin nicht für hilfreich und gesellschaftlich nützlich halte,

    oder gibt es hier ein gemeinsames Dafür,

    weil es Vorstellungen von freiem ÖPNV auch mal bei den „Grünen“ und in Teilen der sPD (Jusos) gab?

     

    Natürlich verlangt nicht nur solch ein ÖPNV größere Umgestaltungen, aber diese hängen mit so vielen notwendigen Entscheidungen zusammen, die in dieser Republik vor sich her geschoben werden.

  • Vor "Realos", die m.E. real die Irrealos sind, muß gewarnt werden. Der Niedergang in die politische Bedeutungslosigkeit, wie die Grünen ihn vollzogen haben, soll der Linken bitte erspart bleiben. "Realos", die m.E. real die Irrealos sind, wechseln bitte zu Grünen, SPD, AfD, FDP oder Union, wo Sie ihre Vorstellungen von "Real"politik bereits verwirklicht vorfinden werden.

  • Die Frage ist vermutlich, wie weit die "neuen Fraktionschefs" kommen beim Verlassen ihrer "Komfortzone".

     

    Politikern wird gerne nachgesagt, sie bräuchten für ihren Job eine gewisse Eitelkeit, wenn nicht gar eine gepflegte Egozentrik. Die Politik, nicht wahr, ist ja kein Ponyhof. Sofern diese sogenannten Alphatier-Qualitäten aber das sind, was auch Sahra (nicht Sarah!) Wagenknecht und Dietmar Bartsch für ganz besonders wichtig halten, werden sie nach der "Erleuchtung" sprich "Vision" wahrscheinlich nicht all zu weit weg vom eigenen Bauchnabel suchen. Komfort hin oder her. Dann aber wird es wahrscheinlich schwer mit der "gemeinsamen Vision". Schon in der Bibel, schließlich, lautet ein Gebot: Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Vor allem keine, die den einen, wahren Herrgott überflüssig machen können.

    • @mowgli:

      Sarah ist ihr Geburtsname ;)

       

      Die große Frage ist doch wie medienwirksam wird die Linke in Zukunft auftreten?

       

      Sahra Wagenknecht ist da ganz klar im Vorteil gegenüber Dietmar Bartsch, doch kann auch sie nicht mit Gysi mithalten.

       

      Aber gerade heute ist medienpräsenz und vor allem die Wirkung auf die Menschen so wichtig wie noch nie.

      Ich erinnere mich an ein Wahlplakat der SPD mit einem Fön auf dem stand: Die Linke: Nichts als heiße Luft.

       

      Und leider ist das häufig tatsächlich der Fall. Es gibt selten konkrete Ansätze, wie die Partei ihre Visionen zukünftig auch umsetzen will.

       

      Dieses Image und der Wegfall von Gysi werden es der Linken in Zukunft eher schwerer als leichter machen, auch wenn sich Frau Kipping einige Erfolge auf die Fahnen schreibt.

  • Die Linkspartei ist die einzige Partei, die offensiv soziale-wirtschaftliche Fragen kritisch und entgegen der Standardmeinung diskutiert. Das ist das wirklich Gute und Einzigartige an der Partei. Die schlechte Seite ist, dass dies von gut 80 bis 90 Prozent der Wählerinnen kaum honoriert wird, bzw. die von dieser satten Mehrheit gewählten Parteien die Linkspartei konsequent ignorieren/ablehnen.

     

    Ob, wann, wie und was die Linke als Regierungspartei bewirken kann, ob sie das schaffen und wie sie das machen könnten - das ist alles nur Gerede.

     

    Auch die vermeidliche Öffnung der SPD ist nur als taktischer Zug zu sehen, denn der SPD mangelt an roter Farbe, die wollte man sich kostengünstig durch diese 'Öffnung' anpinseln, wer sich die Partei genauer ansieht, der erkennt eine komplett verkrustete Haltung gegenüber sozialen und wirtschaftlichen Fragen. Ob Bartsch und Wagenknecht daran was ändern?

     

    Ich wage die Prognose: Nein. Im Zweifel ist Wagenknecht sogar viel besser, weil sie medienwirksamer auftritt und weil sie stärker ein alternatives, linkes Profil für die Linken erzeugt. Sie polarisiert viel stärker.

     

    Ich glaube aber, dass der Grundfehler der Linken darin liegt, dass ihre Partei auf Parlamente und Regierungen zentriert ist. Parlamente und parlamentarische Debatten sind aber für eine große Mehrheit der Bevölkerung nicht (mehr) interessant und echte Politik muss wohl woanders stattfinden, beim Bewusstsein, in gesellschaftlichen Bewegungen. Hier hätte die Linke mehr Chancen. Eine Führung, die dezidiert die Partei als Partei und nicht als Zulieferbetrieb für Parlamente und eventuelle Regierungen aufbaut, wäre m.M. gefragt.

    • @Andreas_2020:

      Bitte liebe LINKE, besser weiter polarisieren und gute, schmerzhafte Oppositionspolitik machen; und ja, natürlich APO machen in dem Sinne, die Öffentlichkeit wieder zu politisieren. Und da bin ich gar nicht so pessimistisch, wenn ich die Proteste gegen TTIP und G7 sehe und ja, sogar wenn ich *gida sehe.. denn deren Kritikpunkte sind emotionslos betrachtet zu einem guten Teil durchaus berechtigt und nicht zu ignorieren, auch wenn sie dann mit ihren Forderungen eine Ausfahrt zu früh abbiegen in reinen Rechtspopulismus, der an den wirklichen, globalen Ursachen nicht mal ankratzt und nur wieder den Rechtspopulisten unter den Politikern .

      als Legitimation dient.

       

      Also bitte auf keinen Fall im Namen der Regierungsfähigkeit bis zur Unkenntlichkeit verbiegen, wie es die Grünen getan haben und wie es die SPD als -haha - gleichberechtigter - haha - Juniorpartner in der GroKo macht....

      • @Da Hias:

        Keine Sorge - die SPD hat nicht wirklich Interesse an Koalitionen mit den Linken. Das ist ein Bluff. Und die Linken machen auch viele Sachen sehr gut. Das stimmt. Es ist überhaupt schon eine Leistung, dass nur noch eine Partei soziale Fragen offensiv angeht - vor 30 oder 40 Jahren stritten über Parteigrenzen hinweg Sozialpolitiker um gute Lösungen. Es ist eine dramatische Entwicklung in Gange und die Linke kämpf dagegen. Aber von Bartsch und Wagenknecht erwarte ich kaum was anderes als von Gysi. Der Weg der Grünen ist absolut der falsche, sieht man in Bremen nun auch an den Ergebnissen, aber das wird die Wellness-Fraktion bei denen eben nicht stoppen. Mit Weichspüllung bewirkt man eben nix.

  • "Was dem Papier aber fehlt: Eine Idee jenseits des Dagegens, ein wirklich eigenes Profil und ein Hinweis darauf, wie die Linkspartei es eines Tages umsetzen könnte."

     

    Das ist der Punkt. Während bei Dietmar Bartsch wenigstens immer wieder realpolitischer Pragmatismus durchscheint, ist Sahra Wagenknecht nichts anderes als eine Polit-Paris Hilton, eine Eigenmarke, die nur für sich selbst und ihre Fundamentalopposition steht. Ich denke, sie konnte jahrzehntelang als Parteikader gut davon leben, im Spind der Unzufriedenen zu hängen und mit nichts Konstruktiv-Tatsächlichem außerhalb ihrer Partei verbunden zu werden. Diesem Land ist dies auch zukünftig zu wünschen.