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Kommentar Landtagswahl Sachsen-AnhaltCool bleiben

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die AfD zieht mit 24 Sitzen in das Landesparlament ein. Die Regierungsbildung wird nun eine Bastelaufgabe besonderer Art.

Beklatschen sich selbst für den Erfolg in Sachsen-Anhalt: Landeschef André Poggenburg (l.) und Thüringens AfD-Vorsitzender Björn Höcke Foto: dpa

D ie AfD hat in Sachsen-Anhalt 300 Mitglieder. Sie existiert vor allem auf dem Papier. Nun wird fast jeder zehnte AfDler im Landtag in Magdeburg sitzen. Da kann man vorab schon mal viel Vergnügen wünschen.

Die Rechtspopulisten sind zwischen Bitterfeld und Magdeburg eher eine Luftbuchung, die durch rhetorische Ausfälligkeiten aufgefallen ist, wenn überhaupt. Doch aus dem Stand haben nahezu so viele Menschen die Rechtsalternativen gewählt wie Linkspartei und SPD zusammen. Es erscheint als geradezu kurioses Missverständnis, dass fast die Hälfte der AfD-Wähler sich von den Rechten mehr soziale Gerechtigkeit erhofft – von einer Partei, die Hartz IV und den Spitzensteuersatz senken und den Mindestlohn gleich ganz abschaffen will.

Doch vielleicht ist auch das ein Grund für den Erfolg der AfD, die bei Arbeitern, Arbeitslosen und weniger Gebildeten stärkste Partei geworden ist. Sie mobilisiert Ressentiments nicht nur gegen das Fremde, sondern auch gegen Verlierer. Das passt offenbar zur Mentalität jener Frustrierten, die mit Verachtung nach unten schauen, selbst wenn dort nicht mehr viel ist.

Die Linkspartei hatte, ähnlich wie SPD-Parteichef Sigmar Gabriel, gemerkt, welch brisante Mixtur sich da aus Hass auf die politische Klasse, Abstiegsangst und Fremdenfurcht zusammenbraut. Gabriel ist dafür zu Unrecht viel gescholten worden. Die Linkspartei skizzierte ein Programm (5 mal 5 Milliarden), das Investitionen in Kitas und Schulen mit Geld für Flüchtlinge kombiniert, um die Luft aus dem Kessel zu lassen.

Votum gegen repräsentative Politik

Doch der Block der Frustration ist hermetisch abgedichtet gegen solche komplizierten Pläne. Die Wähler – und es sind überwiegend Männer – haben nicht AfD angekreuzt, weil sie sich dadurch Besseres erhoffen. Dass fast jeder vierte für die AfD votiert hat, zeigt den rohen Wunsch, es „denen“ – von CDU bis Linkspartei – zu zeigen. Dies ist zum Teil ein Votum gegen die repräsentative Politik an sich: Gegen Verhandlungen und Kompromisse, gegen die ganze verwirrende Komplexität postnationaler Politik, die eher in Brüssel und Berlin als in Magdeburg beschlossen wird.

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Diese antipolitische, von Ressentiments getränkte Stimmung ist unerfreulich, ja widerwärtig. Sie hat allerdings einen verschatteten, rationalen Kern. Migrationsbewegungen sind immer mit Verteilungskämpfen verbunden – und zu spüren bekommen dies Unterschicht und untere Mittelschicht. SPD und Linkspartei haben wohl zu zaghaft versucht, das in sozialen Forderungen und demokratischem Diskurs aufzufangen. Dass vor allem diese beiden Parteien Verlierer dieser Wahl sind, hat etwas Niederschmetterndes. Kaum zu glauben, dass noch vor ein paar Wochen, bevor sich diese Ressentimentwelle brach, Rot-Rot-Grün in Magdeburg im Bereich des Möglichen war.

Gab es Alternativen zur AfD? Linkspopulismus mit fremdenfeindlichen Obertönen mag auf den ersten Blick verlockend scheinen. Aber das würde nicht nur die demokratische Kultur schädigen. Es ist auch der Versuch, einen Tiger zu reiten, den der Dompteur nicht immer überlebt. Man muss sich wohl eingestehen, dass gegen diese Stimmung derzeit kein Kraut gewachsen ist – jedenfalls nicht zu einem bezahlbaren Preis.

Eine Mogelpackung

Die Regierungsbildung wird nun eine Bastelaufgabe besonderer Art. Die gebeutelte SPD wird vermutlich aus Staatsräson mit den Grünen und der CDU koalieren – wohl wissend, dass sie damit als ewiger Juniorpartner ihren Niedergang eher beschleunigt als aufhält.

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In Sachen AfD wird viel wird davon abhängen, ob man in Sachsen-Anhalt den richtigen Ton anschlägt. Je mehr man die Rechtspopulisten mit Antifa-Reflexen bearbeitet und unter generellen Naziverdacht stellt, desto mehr fühlen sie sich in bizarrer Selbstüberhöhung als Robin Hood, als Stimme der von der GEZ, Angela Merkel oder sonst wem unterdrückten Volksmassen.

Die AfD ist eine Mogelpackung aus Wohlanständigkeit und Hetze. Sie ist eine Allianz von Rechtsextremen und enttäuschten Konservativen. Besser als per Außendruck zusammenzupressen, was nicht unbedingt zusammengehört, ist es, diesen inneren Widerspruch freizulegen – zwischen Biedermann-Pose und rhetorischer Brandstiftung. Es war ein schlimmer Sieg für die AfD. Umso wichtiger ist es, cool zu bleiben.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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13 Kommentare

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  • Die Politiker der Wahlperioden der vergangenen Dekaden haben das rechte Problem nicht als Gefahr für die Wiederwahl gesehen und deswegen ignoriert.

     

    Dazu wurde die Integration ein bissl vernachlässigt+inkompetent gehandhabt.

     

    Dann kamen die ersten fetten Flüchtlingswellen die als Katalysator wirkten und BOOOOMM....:

     

    Rechte konnten auf einmal "beweisen" was sie ja schon immer wussten "bla bla Deutschland geht unter, bla bla fremder im eigenen Land...

    +Facebook Montagen von DANNY TREJO wie er mit Machete eine deutsche Kassierin bedroht (mein Favorit)..."

     

    Derweil kommen erschöpfte Flüchtlinge und checken langsam, dass hier nicht das versprochene Land ist und einige gesellen sich zu 0%integrierten Landsleuten, die vl. seit Jahren auf Duldung sind und nicht arbeiten dürfen und frussten sich gemeinsam durch den Tag

  • Ich fürchte das war keine Protestwahl sondern Überzeugung.

  • Man kann doch immer schon beobachten wie die Rechte soziale Ungerechtigkeit ummünzt, indem sie denen Schuld gibt die darunter zu leiden haben, früher waren es die "Sozialschmarotzer" und "Hartzer", heute die Wirtschaftsflüchtlinge. Perfekt dazu passen Sprüche wie: Leistung muss sich wieder lohnen oder Legendenbildung von einzelnen Aufsteigern darauf zu schließen das jeder hier aufsteigen kann wenn er sich nur anstrengt. Und nun sind die "Asozialen" die sich einfach nicht genug anstrengen eben nicht mehr nur die Arbeitslosen, sondern auch die "Armutsflüchtlinge". Und darüber ist jetzt FDP und CDU überrascht die Entsolidarisierung ja quasi im Programm stehen haben. Und die Linken Kräfte lassen sich auch noch auf diese absurden Debatten ein, wo sie nur schwer gewinnen können.

  • 6G
    6020 (Profil gelöscht)

    Ich stimme dem Artikel weitgehend zu.

     

    Zu Gabriel, der ist ja auch nicht konsequent gewesen in seiner Position, allerdings ist er vor allem i.d. ÖR Medien so dargestellt worden, als wenn er (!) dadurch, dass er ein Sozial-Programm für „Abgehängte“ forderte das Geschäft der AfD betriebe – was für ein Blödsinn!

     

    Also, mein Eindruck ist der:

    Die „bürgerlichen“ Medien, auch vor allem die ÖR-TV Anstalten haben neben der CSU die AfD erst stark gemacht, und zwar deshalb weil sie deren Thesen vom „besorgten Bürger“, den Forderungen nach dieser völlig irrationalen Obergrenze, den Aussagen zu den Rechtsbrüchen der Merkel-Regierung (CSU) erst salonfähig gemacht haben und den gesamten politischen Diskurs aus dieser Perspektive geführt haben!

     

    Dazu kamen dann so Aussagen wie das Merkel einen Realitätsverlust habe (phoenix TV), oder „Umsteuern müsse“ (Anne Will, ARD)

     

    Eine eher „linke“ Perspektive auf die gesamte Problematik kam kaum vor, jedenfalls deutlich zu kurz!

     

    Wie seht ihr das?

     

    Sicher wäre die AfD so oder so in die Parlamente eingezogen, dann aber vielleicht nur einstellig.

    Auch dass in den Medien die Landtagswahl fast ausschließlich zur „Testwahl“, zum Lackmustest etc. für Merkels Flüchtlingspolitik hoch stilisiert wurde, seit Wochen und Monaten über die „Kanzlerdämmerung“ herum fantasiert wird, stellt natürlich diese Politik von Rechts unter Druck und befördert das bei dumpfen AfD-Sympathisanten vorherrschende Gefühl, doch irgendwie für das Volk, für die Mehrheit zu stehen, wobei das genaue Gegengenteil der Fall ist.

     

    Auch solche ARD Umfragen und Interpretationen wie „die Mehrheit der Deutschen stehen nicht zur Flüchtlingspolitik von Merkel“ (Samstag) nur daraus herzuleiten, dass man auf die Frage, wer denn zu 100% voll und ganz dahinter stehe keine Mehrheit bekomme ist ein Fall von dreister Meinungsmanipulation oder von fachlich abgründiger Inkompetenz!

     

    Denn auf solche Fragestellungen, egal zu welchem Thema, wird man kaum eine Mehrheit an Zustimmung bekommen!

    • 6G
      6020 (Profil gelöscht)
      @6020 (Profil gelöscht):

      Schade, eine Diskussion will hier nicht aufkommen ... mich hätte mal die Meinung aus linker Sicht zu dem Zustandekommen dieser AfD-Wahlerfolge interessiert, und der Rolle der Medien dabei .. nun gut.

       

      Sollten sich AfDler hier hin verirrt haben, die sollten mal hier nachlesen, was "ihre" Partei wirklich will, vielleicht gehen die dann bei nächsten Wahl verantwortungsvoller mit ihrer Stimme um:

      https://blog.campact.de/2016/03/steuern-bildung-hartz-iv-was-die-afd-wirklich-will/

  • Weils offensichtlich noch immer nicht verstanden wurde: Neoliberalismus und Marktgläubigkeit führt zu Faschismus. Solange die SPD soziale Politik hintertreibt und damit linke Politik blockiert, solange die Linke nicht einsieht, daß das neoliberale Bankeneuropa eine Mißgeburt ist, solange werden die Rechten stärker. Und wenn sie das zu lange nicht kapieren, brennt halt wieder der Reichstag und die AfD regiert bis zum Endsieg.

  • "Nun wird fast jeder zehnte AfDler im Landtag in Magdeburg sitzen".

     

    Das, scheint mir, ist der eigentliche Grund für die Gründung der AfD. Wer neu an die Futtertröge will, der muss Themen setzen, die andere gerade nicht behandeln. Zum Beispiel, weil sie politisch nicht korrekt sind. Themen, die als blanke Ressentiments eine Art Sandsack-Funktion erfüllen können, ansonsten aber überhaupt nicht weiterhelfen. Das hat die AfD getan. Rein ökonomisch hat es sich gelohnt.

     

    Politisch ist die AfD natürlich völlig überflüssig. Allerdings muss man lesen können, um das zu merken. Verbal hat sie das Gegenteil von dem verbreitet, was aufgeschrieben steht. Das, was die anderen angeblich heimlich denken, sich aber nicht zu schreiben und auch nicht zu sagen trauen - mit Ausnahme der Bayern-Fürsten allenfalls.

     

    Den vermeintlich Zukurzgekommenen haben offenbar die Ohren geklingelt angesichts des vermeintlichen "Mutes" der AfD-Politiker. Weil sie überzeugt sind, sie würden ohnehin von niemandem vertreten, kann es ihnen vollkommen egal sein, wenn auch die AfD nichts für sie tut – außer den Etablierten den Stinkefinger zu zeigen. Manch einem ist das offenbar genug.

     

    Aber woher haben sie denn ihre "Mentalität", jene "Frustrierten, die mit Verachtung nach unten schauen, selbst wenn dort nicht mehr viel ist"? Geboren sind sie höchstwahrscheinlich nicht mit ihrem (Selbst-)Hass. So was erlernt man erst im Lauf der Zeit. Die Leute also, die sich etwas darauf zugute halten, dass sie nicht "Ressentiments [...] gegen das Fremde" hegen, sollten sich spätestens jetzt ernsthaft fragen, ob sie nicht statt dessen was gegen Verlierer haben. Gegen schlecht bezahlte Arbeiter, Arbeitslose und weniger Gebildete zum Beispiel. Gegen die, unter denen die AfD stärkste Partei geworden ist, weil sie sich nicht zu schade war für "dreckige" Hände, wenn es nur richtig Kohle bringt. Thematisch und auch sonst.

  • Bullseye Analyse!

     

    F.Zappa:"Das einzige was uns zusammenhält ist die Inkompetenz unserer Regierung"

     

    Den politischen Aufschwung der AfD sollten sich die Alteingesessenen mangels Flexibilität, Ratlosigkeit und Einfallsreichtum zum Teil zuschreiben.

    • @Kubatsch:

      Korrektur: An Ratlosigkeit hat es nicht gemangelt!

  • 300 Mitglieder in Sachsen Anhalt, viel Vergnügen usw., das klingt mir dann doch eher wie Pfeifen im Walde!

     

    Die Frage ist doch , was für politische Alternativen für Koalitionen dieses Land zukünftig bietet. Wenn wir nur

    noch aus Staatsräson Grün/Schwarz/Rot haben um überhaupt die 50 % einer Sitzverteilung zu überschreiten; welche Politik außerhalb von Zwang und Not soll denn da kreativ arbeiten können? Man sieht doch in Frankreich wie der FN die etablierten Parteien thematisch vor sich hertreibt. Das will ich für DE sicher nicht so haben!

     

    Sie haben recht die AfD nicht zu überhöhen. Sich zurücklehnen und Vergnügen wünschen und auf Entzauberung zu warten ist aber meiner Ansicht deutlich zu wenig.

  • Das Mobbing der Medien und etablierten Parteienn gegen die AfD hat diese stark gemacht. Nun haben wir den Salat. Die Wähler wählen aus dem Stand diese Neulinge zweistellig in die Parlamente. Wenn man anfängt sich sachlich mit denen auseinander zu setzen ist der Spuk schnell vorbei.

  • Schon blöd, sone Demokratie ;-)

     

    Im Ernst: so abstossend die Wahlerfolge der AfD sind, so dumm waren wieder mal die Kommentare der CDU-, Grünen-, SPD- und Linken-Ober*innen gestern und heute, die sich mal wieder alle als Sieger fühlen und sich gegenseitig die Schuld zuweisen. Fakt ist doch:

     

    - Ein bestimmter Anteil der Wahlberechtigten (zwischen 10 und 24%) will nicht mehr Migranten im Land. Die Politik muss nun Antworten finden, wie man damit umgeht. Ich bezweifle, das eine Strategie des Ignorierens und Beschimpfens ("Pack", "braune Sosse") ausreicht.

     

    - Aussage "Wir arbeiten mit allen demokratischen Parteien zusammen". Was soll denn der Blödsinn? Antidemokratische Parteien werden vom VerfG verboten. Die AfD ist meines Wissens noch erlaubt.

     

    - Aussage "Herr Seehofer und Frau Klöckner haben mit ihrem Oppositionskurs zu Frau Merkel der AfD zum Wahlerfolg verholfen": Zunächst einmal hat der österreichische Sozialist und Bundeskanzler W. Faymann der AfD geholfen, da er genau das umsetzt, was die AfD fordert. Aber klar, diese Feststellung passt ja nicht ins Weltbild.

     

    Um mich klar zu positionieren: die AfD ist m.E. eine Partei, die gegen Migranten hetzt, was zutiefst abstossend ist. Aber das Verhalten der Politiker der "etablierten" Parteien am Wahlsonntag führt wohl dazu, dass sie leider weiter Erfolge feiern wird....

  • Top analysiert - bei der ganzen Hysterie die z.Zt. um sich greift behält der Autor den Durchblick. Ein sehr guter Artikel.