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Kommentar Krise in BrasilienEin Land im Rückwärtsgang

Andreas Behn
Kommentar von Andreas Behn

Niemand zweifelt daran, dass Dilma Rousseff per Amtsenthebung entmachtet wird. Für den „Putsch“ war nicht einmal mehr Militär nötig.

Es sieht nicht gut aus für Rousseff – für Brasilien auch nicht Foto: dpa

S eit diesem Mittwochmorgen debattiert der brasilianische Senat zum vorläufig letzten Mal über die Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff. Niemand zweifelt daran, dass die erste Frau im höchsten Staatsamt in der folgenden Abstimmung entmachtet wird.

Ist es ein Putsch, wie Rousseff und die ungewohnt einige Linke nun reklamiert? Oder ein demokratischer Akt zur Rettung des krisengeschüttelten Landes, wie die rechte Opposition, die abgesprungenen Koalitionspartner und die in den Massenmedien veröffentlichte Meinung behaupten? Ein Amtsenthebungsverfahren ist in der Verfassung für den Fall vorgesehen, dass dem Staatsoberhaupt schwere Verbrechen nachgewiesen werden können.

Vorgeworfen werden Rousseff aber lediglich Haushaltstricks, mit denen sie die Staatsfinanzen schönte. Nicht korrekt, aber durchaus üblich in Brasilien. Ein im besten Fall unlauteres, illegitimes Vorgehen und fraglos eine Verletzung der demokratischen Spielregeln. Und was die Korruption angeht, sind ihr Widersacher viel tiefer darin verstrickt als sie selbst.

Abgesetzt wird Rousseff aus ganz anderen Gründen: die mächtigen Seilschaften haben schon lange die Nase voll von der seit 13 Jahren regierenden Arbeiterpartei, die zwar nur in Ansätzen eine andere, gerechtere und sozialere Politik verfolgt, aber eben nicht zum Kreis der Mächtigen und Reichen dazugehört. Die Elite, die in Brasilien in der rassistischen Tradition der Sklavenhaltergesellschaft und der Militärdiktatur steht, erträgt es nicht, ihre Macht mit Gewerkschaftern und Landlosen zu teile. Sie wollen nicht, dass Quoten Armen und Schwarzen den Zugang zu den Universitäten erleichtert, und es gefällt ihnen auch nicht, wenn weniger fein gekleidete Herrschaften die Flughäfen frequentieren.

Rousseff hat – sei es aus Überzeugung oder aus Opportunismus – schon lange keine fortschrittliche Politik mehr betrieben.

Auf der anderen Seite spiegelt die Amtsenthebung die heutigen Mehrheitsverhältnisse wider. Auch wenn Rousseff noch im Oktober 2014 wiedergewählt wurde, hat sie heute eindeutig keine Mehrheit mehr: nicht in der Bevölkerung, nicht im Kongress und auch nicht im Justizapparat, der keinen Versuch unternommen hat, den Schein der Unparteilichkeit zu wahren.

Die Folgen dieses Verfahrens, mit dem die Rechtsstaatlichkeit in der jungen Demokratie Brasiliens in Frage gestellt wird, sind nicht zu unterschätzen. Dabei geht es weniger um den erwarteten Rechtsruck in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Denn Rousseff hat – sei es aus Überzeugung oder aus Opportunismus – schon lange keine fortschrittliche Politik mehr betrieben. Dramatisch aber ist, dass Brasilien als Regionalmacht und fünftgrößtes Land der Welt zeigt, dass es durchaus möglich ist, Wahlen zu umgehen und scheinbar legal an die Macht zu gelangen. Es sind nicht einmal mehr Militärs nötig, um unliebsame Regierungen abzusetzen.

Die Folgen sind deprimierend. Brasilien hat den Rückwärtsgang eingelegt. Das betrifft den Kampf gegen Rassismus und religiöse Hardliner ebenso wie die zaghaften Versuche, in Brasilien Pressefreiheit im Sinne von Meinungsvielfalt und öffentlicher Debatte herzustellen. Der Raum für soziale und kulturelle Erneuerungen wird wieder eng werden.

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Andreas Behn
Auslandskorrespondent Südamerika
Journalist und Soziologe, lebt seit neun Jahren in Rio de Janeiro und berichtet für Zeitungen, Agenturen und Radios aus der Region. Arbeitsschwerpunkt sind interkulturelle Medienprojekte wie der Nachrichtenpool Lateinamerika (Mexiko/Berlin) und Pulsar, die Presseagentur des Weltverbands Freier Radios (Amarc) in Lateinamerika.
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2 Kommentare

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  • Wie sagte doch Warren Buffett so treffend: "Wir führen Krieg, Reich gegen Arm, und wir werden diesen Krieg gewinnen." Brasilien ist ein Lehrstück dafür, wie das Kapital auch ohne Soldaten eine Regierung stürzen kann. War es 1933 nicht auch das Kapital, das uns Hitler bescherte? Das Kapital, das nach der Katastrophe die Hände in Unschuld gewaschen hat. Das Kapital, das seine Aktien eins zu eins ersetzt bekam, während die Sparbüchlein der einfachen Leute nur noch ein zehntel wert waren. Und für wen macht unsere "Schwarze Null" Politik? Doch vor allem für die Besitzenden. Warum diese Stille in Sachen Panama Papers, wo doch sofort Putin herhalten musste. Mich würden vor allem die ca. 1200 betroffenen Deutschen interessieren, die dort mit verstrickt sind. Aber vermutlich gilt für diesen Personenkreis Artenschutz.

  • Wenn Frau Rousseff die gegen sie gerichteten Vorwürfe mit dem Argument „entschuldigt“, sie täte ja nichts anderes als die Konkurrenz auch, dann wäre allein schon das Grund für sie, schleunigst von der politischen Bühne zu verschwinden.

     

    Denn dann hätten sie und ihre Partei das wichtigste Wahlversprechen gebrochen, nämlich BESSER zu sein, als die anderen Parteien und nicht genauso schlecht wie diese!