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Kommentar Kohls Tonband-VermächtnisTollkühne Veröffentlichung

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Heribert Schwan hat Kohls Erinnerungen für sein Buch ausgewertet. Dieser Vertragsbruch ist nicht mit öffentlichem Interesse zu rechtfertigen.

Die Orignial-Tonbänder sind längst in der Schrankwand in Oggersheim verstaut. Doch das OLG hat Kopien nicht ausdrücklich untersagt. Bild: imago/teutopress

D er Autor Heribert Schwan veröffentlicht in diesen Tagen sein Buch „Vermächtnis – Die Kohl-Protokolle“. Es beruht auf Gesprächen, die Schwan vor mehr als zehn Jahren mit Kohl zur Vorbereitung von dessen Memoiren führte. Schwan sollte sie als „Ghostwriter“ schreiben. Doch dann überwarfen sich beide. Inzwischen hat das Oberlandesgericht Köln entschieden, dass Schwan die Tonbänder der damaligen Gespräche an Kohl herausgeben muss. Durfte Schwan dennoch die Gespräche für sein Buch auswerten?

Das OLG Köln hat ihm dies nicht untersagt. Dort ging es nur um die Herausgabe der 135 Tonbänder, die 630 Stunden Gespräch dokumentieren. Schwan verweigerte dies, unter anderem mit dem Argument, dass er die Tonbänder selbst gekauft habe. Das OLG Köln urteilte jedoch, dass durch das aufgenommene Gespräch Helmut Kohl Eigentum an den Tonbändern erlangt hat. Er habe durch seine historischen Erinnerungen den Wert der Bänder enorm erhöht.

Das Gericht verwies auf das Beispiel eines Malers, der auf dem Blatt Papier, das ihm ein Passant reicht, ein Kunstwerk fabriziert. Auch hier erhalte der Maler Eigentum an dem Bild und nicht der Passant. Es gibt sogar eine (wenig bekannte) Norm im Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 950), die diese Rechtsfolge ausdrücklich anordnet.

Dieses Ergebnis war auch sachgerecht. So bekommt Kohl Zugang zu seiner eigenen Geschichte. Er kann die Bänder nun zum Beispiel einem anderen Ghostwriter geben, der damit die Memoiren fortführt. Das ist umso wichtiger, weil Kohl seit einem Sturz 2008 kaum noch sprechen kann. Das OLG hat dabei aber nicht entschieden, ob Schwan von den Bändern Kopien machen und ob er diese für ein eigenes Buch verwenden durfte. Wenn Kohl dies verhindern will, muss er einen neuen Prozess anstrengen und einstweiligen Rechtschutz beantragen. Dass er dies noch nicht getan hat, verwundert – schließlich hat Schwan sein publizistisches Vorhaben durchaus angekündigt.

Merkels laxe Tischsitten? Nur voyeuristisch interessant

Bei einem neuen Rechtstreit wird es stark auf die Verträge ankommen, die Schwan damals mit Kohls Verlag geschlossen hat. Aus dem Prozess vor dem OLG Köln weiß man einiges über deren Inhalte. Danach sollte Kohl der „Autor“ des gemeinsamen Buches sein. Er sollte volle Hoheit darüber haben, was letztlich aus den Gesprächen veröffentlicht wird und wie die Formulierungen aussehen sollen. Kohl hatte auch das Recht, jederzeit die Zusammenarbeit mit Schwan zu beenden und einen anderen Ghostwriter zu beauftragen. Aus dieser Vertragslage kann Schwan kaum Rechte für eine eigenständige Publikation ableiten.

Sein Verlag Heyne, der zu Random House gehört, beruft sich nun ganz allgemein auf die Meinungs- und Pressefreiheit. Helmut Kohl sei eine absolute Person der Zeitgeschichte, an seinen Aussagen bestehe ein öffentliches Interesse. Das mag zwar sein, allerdings kann dies nicht so einfach die vertraglichen Abmachungen überspielen. Es kann nicht sein, dass ein Ghostwriter alles, was er beim Schreibprozess vertraulich erfährt, anschließend in einem eigenen Buch unter Berufung auf das öffentliche interesse publiziert. Soweit ersichtlich ist dies bisher auch nicht üblich.

Gerechtfertigt könnte eine Missachtung der Verträge nur sein, wenn das öffentliche Interesse an den Kohl-Protokollen überragend ist. Aus diesem Grund dürfte zum Beispiel auch ein heimlich mitgeschnittenes Gespräch veröffentlicht werden (§ 201 Strafgesetzbuch). Was bisher aus den Protokollen publiziert wurde, ist aber sicher nicht von „überragendem öffentlichen Interesse“. Dass Angela Merkel früher (nach Ansicht von Kohl) eher laxe Tischsitten pflegte, mag zwar irgendwie voyeuristisch interessant sein, von herausragender Bedeutung ist dies aber kaum.

Und selbst wenn sich im jetzt veröffentlichtem Schwan-Buch noch die eine oder andere Sensation verbirgt, so rechtfertigt das nur die Veröffentlichung der konkreten Information und nicht die der gesamten Sottisen Kohls. Die rechtliche Position Schwans ist also relativ schwach. Die Veröffentlichung des Buches erscheint geradezu tollkühn.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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8 Kommentare

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  • Schade, dass die Kommentatoren in dem Buch nur den starrsinnigen alten Mann finden, den sie auch als Kanzler zu bekämpfen liebten. Mir hat Vieles viel mehr besser als je zuvor den jungen, schlacksigen Wirbelwind vor Augen geführt, der auf dem Motorrad von Parteiversammlung zu Parteiversammlung eilte und alle anzugehen gewillt war, die seinem Aufstieg im Weg standen. Da wird dann auch nachvollziehbar, dass er aus gezähmter Wichtigtuerei, geduldig aber ebenso überselbstbewusst wie geltungssüchtig eine entscheidende Rolle bei der Wiedervereinigung und in Europa einnehmen konnte. Inwieweit die besonders kräftigen Zitate aus den langen Gesprächen herausgefischt wurden, um den Verkaufserfolg zu sichern, werden wir wohl nie erfahren. Nimmt man die Emotionen weg, fällt aber auch auf, wie reich die Zitate sind, wie voll die Wahrnehmung Kohls hier dargestellt wird. Man kann sich vorstellen, dass H. Schwans Fragen, sein verständnisvolles Nachfassen nötig waren, um Kohl vom Politikerjargon, der Rede von "diesem unserem Land" zu lösen, hinter der er seine Rauflust - meist, Ausnahme z. B. der Gorbatschow-Goebbels-Vergleich - zu verbergen gelernt hatte. Das Buch macht ebenso plausibel, dass weder H. Schwan noch Jens mit dem eigentlichen Inhalt der Bünder, vielleicht mit Ausnahme der Darstellung von Kohls Reaktion nach dem Tod von H. Kohl, viel anfangen konnten. Soweit Kohl selbst oder von M. Richter unterstützt heute redet, fällt er wieder vollständig in den Politikerjargon zurück. Wenn sich nur jemand fände, der die Bänder sozusagen gemässigt zusammenfassen könnte, man würde enorm viel darüber, wie Politik in der BRD organisiert wurde!

  • ja und warum hat Kohl diese Interviews gegeben-natürlcih waren die für die Nachwelt bestimmt-stundenlange Gespräche ???

    • @Georg Schmidt:

      Ich halte es mit der Bibel. Dort (Matthäus 10,27) steht es als Imperativ:

      "Was ich euch sage in der Finsternis, redet im Licht, und was ihr ins Ohr geflüstert hört, ruft aus auf den Dächern! "

       

      In Zeiten des Internet kann und darf es kein Recht auf Geheimnis(krämerei) geben. Allgemein nicht und bei Personen des öffentlichen Lebens im Besonderen nicht und bei Politikern, von denen besondere Authentizität gefordert wird schon dreifach nicht. Bei Jauch wurde das Thema noch einmal angesprochen. Ein Archiv darf nicht auseinander gerissen werden und es kann keine Trennung zwischen privat und öffentlich geben. Punkt.

  • rechtlich vertretbar, politisch unhaltbar - nur wer grenzen überschreitet, kann grenzen wahrnehmen. kohl hat rechtlich - "ehrenwort" - und politisch - "geistig-moralische wende" - alle grenzen überschritten: er gehört an den pranger der geschichte,.

  • Zunächst mal - Herr Rath - Kompliment: das Bild (wenn es auch ein Stock-Photo ist) ist mal klasse gewählt. Schön, solch alte Schinken noch zu sehen.

     

    Zum Thema: ich finde es mehr als gerechtfertigt, wenn der liebe Herr Schwan die Dialoge, welche er im Auftrag Kohls geführt hat, öffentlich macht. Dafür waren sie größtenteils ja auch bestimmt.

     

    All das, was nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war oder kastriert an die Öffentlichkeit sollte, ist eine bodenlose Frechheit des Herrn Dr. Kohl.

     

    Der hat wohl die Chuzpe gehabt, so über seine Zeit- und Parteigenossen herzuziehen, aber nie die Eier in der Hose, denen das ins Gesicht zu sagen. Hat er sicher nicht, denn viele seiner Wegbegleiter würden ihn wohl nicht mehr anschauen, wenn sie das so seinerzeit gewusst hätten.

     

    Was lehrt uns das? Traue niemandem, denke nur das Schlechteste und lasse dich positiv überraschen, und ganz wichtig: die Medien machen eine Figur - mach dir selbst deine Meinung.

     

    Ich sag' nur: Pfui, Herr Dr. Kohl!

  • Die TAZ vertritt hier eine eigenartige Sichtweise. Natürlich interessiert es niemanden, ob "Angela Merkel früher eher laxe Tischsitten pflegte", interessant ist, ob sie das nach Ansicht von Kohl getan hat. Von dem Kanzler mit der längsten Regierungszeit und mit dieser politischen Karriere, ist sein Weltbild von Bedeutung, Wie sehen die Mächtigen die Welt? Hat sich Kohl als selbst mächtig gesehen? Hat sich Kohl als Mann mit besonderer Einsicht gesehen? In anderen Publikationen geht es um das "System Kohl". Falls sich Kohl als weniger mächtig betrachtet hätte, wenn hielt er dann für bedeutend?

     

    In einem Buch der Memoiren geht es um das persönliche, um die Zwischentöne, um die Informationen zwischen den Zeilen, das nicht Ausgesprochene. Die Gabel der Kanzlerin ist nur die Oberfläche. Zu befürchten ist zwar, dass Heribert Schwan viel von seinem Wissen verschweigen wird, insbesondere das, was im Kohl schon bei den Aufnahmen verschwiegen hat. Trotzdem wird sein Buch unser Bild vom Altkanzler abrunden, in der einen oder anderen Weise. Ich kann es mir nicht verkneifen, Hinweise, über die Gerüchte Kohl, sei leiblicher Vater der Kanzlerin, und hätte so die erste Familiendynastie geschaffen, wird man in dem Buch wohl vergeblich suchen. "Sein Mädchen" und seine ungeliebten Söhne erinnern an griechische Tragödien.

     

    Andererseits hat Kohl wichtige Verträge zu GATT und der WTO unterschrieben, die uns heute als CETA und TTIP wieder auf die Füße fallen. Wie groß war sein Beitrag damals und in welche Richtung hat Kohl auf den Vertragstext eingewirkt?

  • Diese Form der Veröffentlichung wäre in einem anderen Fall nicht akzeptabel - in diesem Fall ist es wohl die einzige Möglichkeit, noch an die ungefilterte Meinung und das, was er der Öffentlichkeit mitteilen will, zu kommen.

     

    Seit Jahren hat Helmut Kohl keine Kontrolle mehr über seinen Kontakt zur Aussenwelt, das scheint alles seine überaus fähige Ehefrau zu handhaben. Was Helmut Kohl uns sagt, das muss ihr gefallen oder nützen.

     

    Dieses Buch ist wahrscheinlich die letzte Chance, den wahren Kohl zu erleben.

  • Spitzeln einmal umgekehrt, und schon ist es verboten. Hut ab vor soviel Staatsloyalität.