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Kommentar KirchentagFriede, Freude, Eierkuchen

Jan Feddersen
Jan Feddersen
Kommentar von Jan Feddersen und Jan Feddersen

Leidenschaftlich werden Christen, wenn es um die Sonntagsruhe geht. Bei Themen wie Atomkraft und Migration wirken sie zauderhaft. Was ist da schief gelaufen?

Harmonie überall auf dem Kirchentag. Bild: dapd

D RESDEN taz So sagen es die FunktionärInnen des Kirchentages: Ist es nicht schön, dass wir uns alle in Dresden so wohlfühlen? Und haben sie nicht recht? Durch die Stadt rudelt und wuselt eine Menge von Menschen, die mit ihren frühlingsgrünen Schals auf Anhieb als besuchende Christen und Christinnen zu erkennen sind. Frauenkirche! Zwinger! Kreuzkirche! Sehen all diese Marker im Stadtbild nicht fein aus unter der Sonne?

Sie sind zufrieden, die Organisierenden des 33. Evangelischen Kirchentages - und doch fehlt ihnen der Blick, was einmal der Kern dieses Laientreffens der protestantischen Kirche war: der Streit.

Der um die Nachrüstung der Nato im Jahre 1981 auf dem Hamburger Kirchentag; oder der um Asylbewerber in den frühen Neunziger Jahren, um Atomkraft, Geschlechterdemokratie oder den Islam - Kirchentage waren, gerade im Streit, gelingende Foren gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Hier konnte erörtert werden, was jenseits dieses Rahmens nicht zusammen kommen konnte.

Wo bleibt der christliche Zorn?

taz

JAN FEDDERSEN ist Redakteur der taz.

Das ist passé. Das Programm des Dresdner Kirchentags hat, neben einer Fülle von netten, wichtigen, kostbaren und gewiss irgendwie interessierenden Veranstaltungen, keinen Fokus aktueller Art. Fukushima ist immerhin bei einer Veranstaltung das Thema. Aber das Thema Flüchtlinge? Gibt es Erörterungen und Debatten zu Wanderungen von Afrika nach Europa? Findet man im Programmheft das Stichwort Lampedusa? Oder: Berlusconi und der Rechtspopulismus? Gar: Aushebelung des Schengen-Abkommens durch dänische Rechtspopulisten?

Tut sich was auf christlichem Terrain in Dresden in Sachen Neonazis? Gibt es wenigstens kleine Demos? Resolutionen? Empörungen? Werden Kontrahenten - etwa einen, der die europäischen Grenzen schließen will, einen, der sich für eine Migrationspolitik einsetzt, die Einwanderer aus dem Maghreb willkommen heißt - in die Arena gebracht?

Der Kirchentag übt Verzicht. Seine MacherInnen wollen offenbar Ruhe im eigenen Glaubenssprengel. Ihr Ton ist der von beruhigenden ModeratorInnen, es ist ein grüner Sound, der stets darauf setzt, Konflikte zu kastrieren. Schade um die gute Energie, die aus jedem Streit hervorgeht.

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Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!
Jan Feddersen
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Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!
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12 Kommentare

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  • H
    Hannes

    Es mag sein, dass dem Kirchentag der "revolutionäre" Charakter fehlt und vieles etwas hohl klingt, wenn es nicht mit Taten untermauert wird. Allerdings ist dies ein generelles Problem unserer Gesellschaft. Die evangelischen Christen die ich kenne sehen den Kirchentag als Forum zur Diskussion von Problemen und zum gegenseitigen Austausch. Daraus sind meines erachtens in den letzten Jahren viele Impulse in den Gemeinden gesetzt worden. Seien es ökologische Gesichtspunkte (Projekte wie "Grüner Gockel"), Aufzeigen von Problemen der Globaliserung (habe hierzu selber eine Vortrag auf dem Münchner Kirchentag gesehen und daraufhin mein Kaufverhalten umgestellt) und vieles mehr.

    Daher finde ich den Kirchentag durchaus sinnvoll, wenn auch nicht perfekt. Das hier so viel Kritik daran geübt wird kann ich nicht nachvollziehen, waren alle Kritiker schon einmal auf einem Kirchentag?

    Grüße Hannes

  • JF
    Jan Frey

    Der Kommentar ‚Ein Kirchentag ohne Streit: Friede, Freude, Eierkuchen’ (in der Printausgabe unter dem Titel: ‚Vermisst: Streit’ ) offenbart unfreiwillig eine wichtige Ursache für die im Text wortreich verkündete Vermisstenmeldung. Selbst Jan Feddersen spart die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit für die in Deutschland durch Arbeitslosigkeit, Krankheit und Armut ausgegrenzten Menschen weitgehend aus. Er befindet sich damit letztlich wohl in einer Linie mit der Pressesprecherin des Bremer Kirchentags, Katja Tamchina, die verschiedene Bestrebungen, betrunkene Obdachlose für die Dauer des Kirchentages in Bremen aus der Innenstadt zu verbannen, mit der verständnisvollen Bemerkung quittiert haben soll: "Wenn die Stadt sagt, sie wolle sich schön präsentieren, dann freut uns das". vgl. http://www.taz.de/1/nord/artikel/1/wo-bleibt-der-mensch/

    Dazu passt, dass sich die EKD inzwischen selbst eingestehen muß: "Ärmere Menschen sind in vielen christlichen Gemeinden in Deutschland wenig oder gar nicht sichtbar" vgl. hierzu: http://www.ekd.de/si/projekte/abgeschlossen/armut_herausforderung_kirchengemeinden.html Wenn diese Kirche Christi sich scheinbar so gut darin eingeübt hat, in solcher Weise mit denen umzugehen, um die sich ihr Namensgeber bevorzugt gekümmert haben soll, wird ihr gar nicht auffallen, dass ihr die Kraft des heiligen Zorns fehlt. Dass der Redakteur hier auch einen blinden Fleck zu haben scheint, könnte allerdings Anlaß sein, das diesbezügliche politische Selbstverständnis in einer stillen Stunde vielleicht einmal dahingehend zu reflektieren, ob der in Lampedusa gestrandete Flüchtling das grüne/ evangelische Biedermeier so stark stört wie der sogenannte Penner vor den Lieblingsitaliener, etwa am herbeigesehnten verkaufsoffenen Sonntag.

  • V
    vic

    Liebe Güte, Leute.

    Merkt ihr denn nicht, wie verkniffen ihr seid, wie eng und angepasst eure kleine heile Welt ist?

  • S
    Sokrates

    Eben - verbürgerlichte Kuschel-Christen.

     

    Jesus, nicht Christus, war der erste Revolutionär. Als Jesus zum Christus theologisiert worden war, also zu Gottessohn erhoben wurde, war die Gemeindebildung schon auf dem Weg zur Institution der römisch-katholischen Kirche. Die schlimmste Verbiegung erhielt die Kirche im 4.Jhdt. durch Kaiser Constantin, nämlich den Status der Volkskirche. Von da ab ging es so richtig mit der Botschaft Jesu bergab und alle Irrungen und Wirrungen beschäftigen uns bis heute.

  • MM
    Müllers Meinung

    Danke Rita... so siehts leider aus... Pharisäer wider besseres Wissen. Selbstverliebt und von der eigenen, immer währenden Option auf die absolute Wahrheit, wie das "mit Gott und so" ist, verblendet. Von amerikanisch-evangelikalem Gedankengut durchsetzte, so genannte "Wahrheit". Man schaue hinter die Kulissen der

    Führungsriegen der protestantischen Landeskirchen...-

  • L
    Laila

    @Stefan: die taz ist beschäftigt, uns den Islam schön zu reden. Darüber fällt hier im Blättchen kein kritisches Wörtchen. Über den Rest, dieses christliche DingsBums, wird völlig sinnfrei hergezogen.Frau Pohl schwärmt nicht umsonst vom emanzipatorischen Charakter der Burka.

  • H
    hto

    "Was ist da schief gelaufen?" - na das ist doch einfach: das "Christentum" ist ein funktionaler Ableger des Judentums, konfusioniert in gutbürgerlich-gebildeter Suppenkaspermentalität auf systemrationaler Sündenbocksuche, von rechts nach links und umgekehrt.

     

    Wenn wir alle wirklich-wahrhaftige Christen wären, dann wären wir automatisch kompromisslos-konsequente Sozialisten.

  • WB
    Wolfgang Banse

    Widersprüchlich

    Der 33 Deutsche Evangelische Kirchentag,der in der Landeshauptstadt Dresden zur Zeit stattfindet,ist ein Kircehntag der das eine und andere gesellschaftlich relevante Thema aufgreift,sber nicht`s umsetzt.Es verbleibt bei Worten.Aber auch Christen werden nicht nur an ihren Worten gemessen sondern an ihren Taten.

    Man läßt es sich gut gehen auf diesen Kirchentag,trotz des Zusammenbrechens der öffentlichen Verkehrsmittel.Die Kirchentagsgemeinde

    nimmt was den Einsatz von öffentlichen Verkehrsmitteln anbetrifft,dies mit Ausdauer und Ruhe hin.Eierschecke,schönes sonniges Wetter,einsatzfreudige Helfer,ohne den der Kirchentag nicht laufen könnte,Konzerte,Diskussionen,an denen das Publikum nur durch schriftliche Fragen beteiligt ist-das zeichnet den 33.Deutschen Evangelischen Kirchentag aus.

    Referenten sind in guten Hotels untergebracht,was auch die leitenden Geistlichen anbetrifft-Distanz ist programiert.Ein Gemeinschaftsgefühl kann so nicht aufkommen.

    Nächstenliebe wird nicht bgerade praktiziert,zumindestens was die Kreuzkirche anbetrifft.Ein Teilnehmer des Kirchentages wandtze sich an den Pfarrer der KreuzKirchengemeinde Zirkler im Bezug auf einen schlafplatz.Der Pfarrer ließ den Teilnehmer stehen.Eine Provokation,im Bezug auf die immer wieder genannte Nächstenliebe.

    Wort und Tat sollten nicht in einem gewissen Widerspruch stehen.So wirkt man nicht für Aufrichtikeit und Glaubwürdigkeit.

    Christen sind keine besserern Menscehn mit einem Heiligenschein,sondern das C,welches für christlich steht,wird immer so definiert und umgesetzt wie es gerade in der jeweiligen Situation passt.

  • H
    Hansi

    Natürlich hat die Kirche — wie jede Institution und jeder Bürger — das Recht sich zu jedem Thema zu äußern. Ich bin der Kirche aber immer sehr dankbar, wenn sie von diesem Recht nur wenig Gebrauch macht. Dampfplauderer wie Huber und Käßmann sind schwer erträglich. Und um gegen Nazis oder Abschaffung des Asylrechtes zu sein, braucht man kein Christ sein. Nur Mensch.

     

    Die Kirche sollte sich um das Seelenheil ihrer Schafe kümmern. Christsein heißt daran zu glauben, daß ein grausamer Vatergott in Unzufriedenheit mit seiner eigenen Schöpfung seinen Sohn-Gott brutalstmöglich geopfert hat, um sich selbst zu beschwichtigen. Wer das ganze glaubt und eifrig vom Sohn ißt, kommt in den Himmel. Wer nicht, der ist verdammt. Ist doch logisch, oder?

     

    Vielleich sollte es mal einen Kirchentag im Stile des XX. Parteitages geben, auf dem die Kirche endlich bekennt, daß die Bibel nicht mehr Maß der Dinge ist, daß es keinen persönlichen Gott gibt und daß die Jesus-Figur der Bibel nie existiert hat. Das wäre doch mal spannend!

  • AD
    Archibald Douglas

    Feddersen hat bei seiner Aufzählung die neuen Kriege Deutschlands, insbesondere seine Beteiligung am Krieg gegen die Taliban vom Hindukusch, verschwiegen. Das ist klar, er möchte nicht, dass darüber diskutiert wird, warum, weiß man nicht, vielleicht ist er als GRÜNER einfach FÜR den KRIEG. Dabei wäre das ein Thema, worüber sich die Christen, die glauben, Krieg solle nach Gottes Willen gar nicht sein, herrlich aufregen könnten. Aber sie haben keinen Sprecher. Und, wenn eine doch was in der Richtung sagt, dann gibt es sofort massive Schläge von der Presse unter die Gürtellinie. Obwohl angeblich die meisten Deutschen gegen den Krieg sind, findet er statt, denn den Führer sind dafür. Und sie haben die Presse auf ihrer Seite. Fest. Alternativlos.

  • R
    rita

    hallo was sind denn christliche Ziele ? Jesus Christus war der erste echte Revolutionär ! Er hat für die Wahrheit gekämpft ! Für die Liebe ! Wo seid ihr denn heute ? Er würde euch auch aus den Tempeln jagen, ihr wißt doch garnicht, wer er ist !Wenn er heute wiederkäme würdet ihr ihn verjagen wie einst !

  • S
    Stefan

    Der Kirchentag sollte sich um christliche Themen kümmern, nicht um die Umsetzung der TAZ-Positionen. Mich wundert, dass das Thema Glaubensfreiheit oder Christenverfolgung einen so unbedeutenden Platz einnimmt. Die kümmern sich um alles, nur nicht um ihre Glaubensbrüder.