Kommentar Kammer-Einflussnahme: Panik an der Spitze
Weil er nicht ertragen kann, dass die Opposition aus dem Plenum zu Wort kommt, versucht der Handelskammer-Präses einen Journalisten unter Druck zu setzen.

D ie Unruhe an der Spitze der Handelskammer muss gewaltig sein, wenn sich der Präses zu einer solchen Aktion veranlasst sieht: Fritz-Horst Melsheimer hat eine Mail-Kampagne gegen einen Journalisten gestartet, der Unliebsames berichtet hat. Er hat ihn gleich noch bei seinem Chef angeschwärzt und das alles auch noch als Undercover-Aktion: Der betroffene Jorunalist ging zunächst davon aus, dass es sich um spontane Mails handelte.
Melsheimers Rundmail offenbart den Geist, der an der Kammerspitze herrscht. Diese versteht das Plenum nicht als Parlament, sondern als Ort der Politikberatung. Nach dem bisherigen Verständnis soll dieses Organ mit einer Stimme sprechen – obwohl darin ja gewählte VertreterInnen der Unternehmerschaft sitzen, die naturgemäß unterschiedliche Interessen und Meinungen haben werden.
Den Anspruch aber, die einhellige Meinung der Wirtschaft zu vertreten, hat die Handelskammer in jüngerer Zeit aufs Spiel gesetzt, indem sie sich dezidiert zu strittigen Großthemen äußerte. Außerdem hat sich der Zeitgeist gewandelt: Der Bürger will mehr mitreden als früher. Sein Informationsanspruch ist gewachsen – zumindest bei Sachverhalten, die ihn direkt betreffen. Es ist kein Wunder, wenn eine solche Entwicklung auch vor der Handelskammer nicht Halt macht.
Statt aber die Zeichen der Zeit zu erkennen, stellt sich die Führung der Kammer auf die Hinterbeine und versucht um jeden Preis, den bisherigen Zustand zu konservieren. Dazu gehört der unglückliche Versuch, Plenumsmitglieder zu bestrafen, die aus den Sitzungen berichten, in denen ja hoffentlich nicht nur über die Personalpolitik der Kammer gesprochen wird. Und dazu gehört der Versuch, den Journalisten Jens Meyer-Wellmann einzuschüchtern – denn anders kann man die Rundmail Melsheimers schwerlich interpretieren.
Dabei hätte sich Melsheimer gar nicht über die angeblich falsche Darstellung aufregen müssen, wenn über Plenumssitzungen genauso berichtet werden könnte wie über Sitzungen der Bürgerschaft. Wenn jeder reden darf, kommen auch alle Meinungen zu Wort. Ein Grund mehr, die Kammer zu reformieren. GERNOT KNÖDLER
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