Kommentar KZ-Besuchspflicht: Betroffenheit per Gesetz
Schleswig-Holstein plant, SchülerInnen den Besuch von NS-Gedenkstätten vorzuschreiben. Das strotzt nur so vor gutem Willen.
W as soll nun dieses? Anke Spoorendonk (SSW), Kulturministerin von Schleswig-Holstein, plant, SchülerInnen den Besuch von Nazi-Gedenkstätten vorzuschreiben. Vor allem die Ausgestaltung der Einzelheiten der Regelung weckt Neugier: Denn ab welcher Klasse greift die Pflicht? Wie oft? Gilt sie auch auf Helgoland? Und: Sind privat abgeleistete KZ-Besuche anrechenbar? Es gibt viel zu klären.
Noch wichtiger indes: Spoorendonk sollte unbedingt ins Gesetz schreiben, dass die SchülerInnen nach dem KZ-Besuch auch emotional berührt zu sein haben. Denn sonst wäre es ja ganz vergebens. Es müsste also eine genaue Messzahl her, ein magnetresonanztomografisch überprüfbarer Normbereich der zu erzielenden Gefühlstiefe, dessen Verfehlen die Nichtversetzung der SchülerInnen und ein Beförderungsstopp für die Lehrkraft nach sich zieht. Schließlich wird nur eine sanktionsbewehrte Pflicht ernst genommen.
Wobei es wohl besser wäre, die quatschige Idee, die Spoorendonk von ihrem Vorgänger Ekkehard Klug (FDP) geerbt hat, höchstens als Symptom dafür ernst zu nehmen, dass der Umgang mit Nazi-Zeit und Holocaust keine verbindliche Form hat. Aber könnte er das? Und hülfe die, wie gewollt, das Wachstum des Neonazismus einzudämmen? In der DDR gab es sie. Da hat das nicht so gut geklappt.
Die Lehrkraft wählt ihre Methode – und eine Exkursion zum authentischen Ort ist eine der Methoden, sich mit Geschichte zu befassen – in nicht-totalitären Schulsystemen frei. Und ja, gerade in diesem Fall tut das Not. Denn ein Gedenkstättenbesuch bedeutet zumal für Jugendliche eine extreme Erfahrung. Sie erfordert individuelle Betreuung. Die zu leisten müssen sich die LehrerInnen schon zutrauen. Ihnen das per Gesetz vorzuschreiben und anordnen zu wollen, dass die SchülerInnen über die nötige Reife verfügen – das strotzt nur so vor gutem Willen. Es ist aber gefährlich dumm.
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