Kommentar Jobcenter: Ohne Hartz und Verstand
Die Union war drauf und dran, ein Kernstück der rot-grünen Arbeitsmarktreform zu demontieren.
F ür die erste große politische Blamage im neuen Amt darf sich Arbeitsministerin Ursula von der Leyen bei den eigenen Parteifreunden bedanken. Nicht so sehr beim hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, der diesmal gar nicht der Böse ist. Sondern bei Volker Kauder, dem Vorsitzenden der Unionsfraktion im Bundestag. Er hatte, gemeinsam mit seinem parlamentarischen Geschäftsführer Norbert Röttgen, im Vorjahr die Reform der Jobcenter verhindert, auf die sich Union und SPD im Grundsatz schon geeinigt hatten. Es war absehbar die letzte Möglichkeit, mit der verfassungsändernden Mehrheit der großen Koalition ein positives Kernstück der Hartz-IV-Reform zu retten, die Betreuung von Langzeitarbeitslosen aus einer Hand.
Die Fraktion hatte den Kompromiss seinerzeit aus einer Laune heraus verworfen. Aus dem Gefühl, man habe den Sozialdemokraten schon zu viele Zugeständnisse gemacht. Aus der Abneigung gegenüber dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers, der die Neuregelung mit der SPD ausgehandelt hatte. Bemäntelt mit dem rechtspolitischen Argument, dass man sich über ein Verfassungsgerichtsurteil nicht einfach mit einer Änderung des Grundgesetzes hinwegsetzen dürfe.
Es war damals schon schwer einzusehen, warum die Prinzipientreue ausgerechnet an diesem Punkt erwachte. Gemischte Zuständigkeiten von Bund, Ländern und Kommunen sieht die Verfassung auf vielen Politikfeldern bereits vor, so sinnvoll wie bei der Betreuung der Arbeitslosen ist die Kompetenzvermischung fast nirgends. Mit beachtlichem Eifer und einem gewissen propagandistischen Erfolg macht sich die schwarz-gelbe Regierung an die Revision der rot-grünen Reformen, wobei nicht immer ganz klar ist, ob sie eigentlich rechts oder links daran vorbei will. Bei den Jobcentern war sie kurz davor, einfach mittendurch zu fahren. Wenn Koch das nun verhindert, dann muss man ihm diesmal wirklich dankbar sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen