Kommentar Israelis in Bulgarien: Wer steckt hinter dem feigen Anschlag?
Eigentlich kommen nur zwei Gruppen in Frage, den Anschlag auf Israelis verübt zu haben. Die Nahostregion steht gefährlich nahe an einer gewaltigen Eskalation.
A ls stünde die Lage in der gesamten Nahostregion nicht ohnehin schon Spitz auf Knopf. Jetzt kommt auch noch ein Anschlag auf israelische Urlauber in Bulgarien dazu. Die israelische Regierung hat sofort den Iran als Drahtzieher dieser mörderischen Aktion benannt, der Anschlag sei über Mittelsmänner der libanesischen Miliz Hizbolllah ausgeführt worden.
Es gibt bis jetzt noch kein Bekennerschreiben für diese Tat. Und die Ermittlungen sind noch im Gange, auf bulgarischer wie auf israelischer Seite. Da scheint es doch reichlich früh für eine so dezidierte Stellungnahme zu sein.
Und doch. Wenn man einmal die Region darauf abklopft, wer über die erforderliche Infrastruktur für einen solchen Anschlag verfügt, über die notwendigen Materialien und die rücksichtslose Entschlossenheit, dann kommen dafür eigentlich nur zwei Gruppen in Frage. Da sind zum einen al-Qaida-nahe terroristische Zellen, die aus eigener Motivation weiche Ziele angreifen, um den verhassten Westen, Amerika, den Judenstaat und alle mögliche Ungläubigen anzugreifen.
ist Redakteur im Auslandsressort der taz.
Normalerweise läge dann allerdings innerhalb von Stunden eine entsprechende Erklärung oder ein Bekennerschreiben vor, das sich dieser Barbarei rühmt und den blutigen Erfolg mit religiösen Sprüchen garniert. Bislang ist dies nicht der Fall.
Die Feigheit der Tat weist auf Staatsnähe
Die andere Organisation, die über eine ausreichende Vernetzung in islamische „Widerstandskreise“ verfügt, ist tatsächlich die libanesische Hizbollah. Sie hat viele Gründe, sich an Israel für diverse Angriffe und Morde zu rächen. Und sie hat, soweit ist dies jedenfalls aktenkundig geworden, schon mehrfach in anderen Staaten Angriffe auf Israelis geplant, versucht und auch durchgeführt. Dass der israelische Fingerzeig dann von der Hizbollah gleich zum mutmaßlichen Mastermind in Teheran weist, ist nicht weiter verwunderlich. Zumal auch Teheran nachvollziehbare Gründe hat wie etwa die Ermordung von Atomtechnikern, um sich an Israel zu rächen.
Die Feigheit und Gemeinheit dieser Tat könnte, sofern es nicht doch noch ein Bekennerschreiben gibt, dann doch auf staatsnahe Kreise deuten. Da man aus nachvollziehbaren Gründen die dritte islamistische Kraft in der Region, nämlich die palästinensische Hamas, aus den verdächtigen Gruppen ausschließen kann – sie hat bislang nie Operationen im Ausland ausgeführt – ist die Anschuldigung der israelischen Regierung nicht ohne Substanz.
Die Nahostregion steht gefährlich nahe an einer gewaltigen Eskalation. Die Spannungen zwischen Israel und dem Iran haben mit diesem Attentat an Schärfe zugenommen. Der Bürgerkrieg in Syrien ist mit dem jüngsten Anschlag auf den Führungszirkel der Assad-Clique in Damaskus eskaliert. Die Hizbollah ist im Libanon ziemlich isoliert und sucht nach einer neuen Rolle und angesichts des syrischen Ausfalls wohl auch nach neuen Verbündeten. Und zum guten Schluss ist auch im Kernkonflikt dieser Region, dem israelischen-palästinensischen, die Lage hochexplosiv.
Die fortdauernde Landnahme und Siedlungspolitik raubt der Palästinensischen Autonomiebehörde unter Abbas jede Glaubwürdigkeit für eine Verhandlungspolitik mit Israel. Die enormen ökonomischen Defizite seiner Behörde könnten die Lage im Westjordanland schon bald eskalieren. Und die Hundertausende jungen Palästinenser, die keine Zukunft zu haben scheinen, könnten schon bald Teil der großen arabischen Revolte werden. All das verheißt der Region eine äußerst turbulente Zukunft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Berliner Kultur von Kürzungen bedroht
Was wird aus Berlin, wenn der kulturelle Humus vertrocknet?