Kommentar Israel: Bewegung in der Stagnation
Das rechte Spektrum hat sich ausdifferenziert, es wird nicht leichter für Netanjahu. Fest steht im Moment nur: Frieden mit den Palästinensern wird es nicht geben.
D er Wahlausgang in Israel bringt zwei große Überraschungen: „Halikud Beitenu“, eine Fusion der Parteien Benjamin Netanjahus und Avigdor Liebermanns, hat die Wahl zwar gewonnen. Doch schon jetzt ist klar, daß sich Netanjahu als kommender Premierminister schwer tun dürfte, eine regierungsfähige, seinen gesinnungsgestählten Vorstellungen entsprechende Koalition zu bilden, die zudem eine volle Amtsperiode durchhalten kann.
Dass seine Partei nur knapp über 31 Mandate erringen würde, das war noch vor einer Woche ganz und gar nicht abzusehen.
Als noch größere Überraschung allerdings dürfte der mit 19 Mandaten überwältigende Wahlerfolg Yair Lapids und seiner Partei „Yesh Atid“ gelten, womit der Polit-Newcomer, ehemaliger TV-Moderator und Publizist, an der Spitze der zweitgrößten Partei der kommenden Legistlaturperiode steht.
Die Arbeitspartei unter Führung von Schelly Jachimowitsch, die orientalisch-orthodoxe Klientel bedienende Shas-Partei, die rechte nationalreligiöse Partei Neftali Bennetts „Habayit Hayehudi“, die allesamt mehr oder minder würdige Wahlerfolge zu verzeichnen haben, und die eher enttäuschende „Hatnua“ Tsippi Livnis – sie alle vermitteln das Gefühl einer Pattsituation.
ist Professor für Geschichte und Philosophie an der Uni Tel Aviv. Im Laika-Verlag erschien sein jüngstes Buch: „Wider den Zeitgeist: Aufsätze und Gespräche über Juden, Deutsche, den Nahost-Konflikt und Antisemitismus“ (Laika).
Nicht von ungefähr verkündete Netanjahu kurz nach Bekanntwerden der vorläufigen Wahlergebnisse, eine möglichst breite Regierungskoalition bilden zu wollen.
Arie Deri, starker Mann der Shas-Partei, rief gar zur Bildung einer nationalen Großen Koalition auf. Wie das aber gehen soll, dürfte zur Zeit niemandem so recht klar sein. Denn Yair Lapid muß unbedingt als gewichtiger Koalitionspartner berücksichtigt werden; er will sich auch an der kommenden Regierung beteiligen, und zwar an prominenter Stelle.
Wie aber soll er sein populistisch proklamiertes Wahlversprechen einhalten, für die Gleichheit in der Wehrdienstleistung zu kämpfen, wenn genau dieses Ziel den orthodoxen Parteien, den sogenannten "natürlichen Verbündeten" Netanjahus, als ein nicht hinnehmbarer Tabubruch gilt?
Wie soll das unter einen Hut gehen?
Kommt es hingegen zu einer Koalition ohne die orthodoxen Parteien – ein Novum in der israelischen Parlamentspraxis –, wie soll sich Tsippi Livnis Anspruch auf Bewegung in den Friedenverhandlungen mit den Palästinensern mit der kruden Siedler-nahen Ideologie Naftali Bennetts (und letztlich auch Netanjahus) vereinbaren lassen?
Sollte sich Shelly Jachimowitsch dazu bewegen lassen, einer Großen Koalition beizutreten, wie soll sich ihre sozialdemokratische, auf „soziale Gleichheit“ ausgerichtete Gesinnung mit Netanjahus radikalkapitalistischen Neoliberalismus unter einen Regierungshut bringen lassen?
Schafft man es aber nicht, eine breite Koalition zu konsolidieren, dürfte sich bei einem Kräfteverhältnis von 60 Mandaten für den rechten und 60 Mandaten für den mitte-linken Block (ausgezählt sind 99 Prozent der Stimmen) die Lebensfähigkeit der nächsten Regierung als eher erbärmlich erweisen.
Nichts Gutes
Eines freilich ist jetzt schon klar: Für das schiere Anvisieren des Konflikts mit den Palästinensern, geschweige denn, für seine Lösung, verheißt dieser Ausgang der Wahlen nichts Gutes.
Überraschend ist das nicht, denn genau dieses „Thema“ wurde von allen Parteien, die bei der jetztigen Wahl gute Erfolge erzielt haben, in ihren Wahlkampagnen wohlweislich ausgespart. Jene, die sich damit um Wählerschaft bemüht haben – „Meretz“, die Kommunisten, aber eben auch Livnis „Hatnua“ –, sind vom Wähler weiter marginalisiert worden.
Was trotz des Lippenbekenntnisses Netanjahus zu Beginn der auslaufenden Legislaturperiode in ihrem dann folgenden Verlauf permanent unterminiert wurde, wird sich strukturell in der kommenden Legislaturperiode fortsetzen: kein Frieden mit den Palästinensern, lediglich ein wenig Bewegung in der zur Ideologie geronnenen Stagnation.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Wir unterschätzen den Menschen und seine Möglichkeiten“