Kommentar Israel: Netanjahus kleinstes Übel
Der israelische Premier hat gegen den Willen des Volkes Palästinenser amnestiert? Mehr als Kalkül steckt nicht dahinter.
2 6 Palästinenser, die mehr als 20 Jahre hinter Gittern verbracht haben, sind wieder auf freiem Fuß. Jeder von ihnen hat einen Menschen auf dem Gewissen. Die Wut der Angehörigen, die zusehen müssen, wie die Mörder ihrer Kinder, Geschwister oder Eltern nach Hause gehen und dort als Volkshelden gefeiert werden, ist nur zu verständlich.
Für Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu war die Amnestierung der gut zwei Dutzend Langzeithäftlinge aber das kleinste Übel. So emotionsgeladen die Rückkehr der palästinensischen Helden ist, so gering bleiben letztlich konkrete Folgen. Die 45- bis 60-jährigen Entlassenen sind für den Einsatz an der Terrorfront zu alt. Kaum einer von ihnen wird heute noch einem Israeli gefährlich werden.
Um US-Außenminister John Kerrys Mission gelingen zu lassen und Verhandlungen zu ermöglichen, waren auf beiden Seiten Gesten des guten Willens nötig. Die Palästinenser ließen von ihrer berechtigten Forderung ab, dass Israel den Siedlungsbau einstellt. Israel hätte umgekehrt anstelle der Amnestie für den Baustopp entscheiden können oder für die Waffenstillstandslinie von 1967 als Ausgangspunkt für die Verhandlungen. Beides wollte Netanjahu auf keinen Fall.
Aus palästinensischer Sicht ist die Amnestie von insgesamt 104 Männern „too little too late“. Schon vor fünf Jahren versprach Ex-Regierungschef Ehud Olmert die Entlassung von 250 Gefängnisinsassen. Die Angehörigen der Fatah, der Partei Präsident Mahmud Abbas’, mit dem Israel Frieden schließen will, blieben jedoch hinter Gittern.
Stattdessen gelang es der Hamas, im Tausch gegen den entführten Soldaten Gilad Schalit die Freilassung von über 1.000 Palästinensern zu erzwingen. Eine Amnestie als Pfand für Friedensverhandlungen ist weitaus sinnvoller als eine Kapitulation vor skrupellosen Geiselnehmern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht macht BND für Irrtum verantwortlich
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?
Kretschmer als MP von Linkes Gnaden
Neuwahlen hätten der Demokratie weniger geschadet