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Kommentar Irak-RückzugGeordneter Rückzug, chaotische Lage

Der von der Mehrzahl der Iraker ersehnte Abzug der US-Truppen lässt sich als solcher kaum feiern. Zu groß ist der bittere Vorgeschmack auf das, was da noch kommen mag.

Bild: taz

Karim El-Gawhary ist Korrespondent der taz im Nahen Osten. Er lebt und arbeitet in Ägyptens Hauptstadt Kairo.

Seit heute betrachten die Besatzer ihr Werk also vom Stadtrand aus. Gemäß der irakisch-amerikanischen Sicherheitsvereinbarung hat sich die US-Armee aus den irakischen Bevölkerungszentren zurückgezogen. Es war ein geordneter Rückzug, der allerdings alles andere als geordnete Verhältnisse hinterlässt.

Keine Sicherheit, kaum Wiederaufbau, staatliche Dienstleistungen, die den Namen nicht verdienen, keine wirkliche nationale Versöhnung sowie ein gutes Dutzend unbewältigter politischer Konflikte: Die Besatzer hinterlassen eine Erbschaft, die kaum ein Iraker antreten möchte - so froh er auch darüber sein mag, dass die fremden Truppen nun endlich zumindest vor seiner Haustür verschwunden sind.

So lässt sich der von der Mehrzahl der Iraker ersehnte Abzug als solcher kaum feiern. Zu groß ist der bittere Vorgeschmack auf das, was da noch kommen mag. Das Land ist an einem Punkt, an dem die Besetzten nicht mehr wissen, ob sie sich wirklich das Ende der Besetzung wünschen sollen. So legitimiert sich die Besatzung, wenngleich spät, durch das, was sie selbst angerichtet hat.

Die blutigen Anschläge der letzten Wochen zeigen, dass es genug militante Gruppen gibt, die das entstandene Vakuum füllen wollen. Deren Strategie ist einfach und zynisch: Mit Sprengsätzen, die möglichst viele Menschen zerreißen, versuchen sie, erneut die Geister des Bürgerkriegs zu wecken. Die irakische Regierung schickt inzwischen widersprüchliche Signale. Premier Nuri al-Maliki lässt den 30. Juni zum "Tag des Sieges" und zum amtlichen Feiertag erklären. Am gleichen Tag warnt Vizepräsident Tarek al-Haschimi seine Landsleute davor, stark frequentierte Plätze und Märkte aufzusuchen, um sich nicht der erhöhten Gefahr von Anschlägen auszusetzen. Der Irak versucht sich mit seinen besatzerfreien Städten neu zu definieren. Dort soll es nun die irakische Armee richten. Ob sie dazu wirklich fähig ist? Das politische Klima ist jedenfalls wenig hilfreich: Man kann sich immer noch nicht auf ein Gesetz einigen, das die Verteilung der Öleinnahmen regeln soll, genauso wie sich Araber und Kurden weiter um die Stadt Kirkuk streiten.

Und die Amerikaner? Die stehen nur noch an der Seitenlinie, blicken zu ihren neuen Herausforderungen in den Iran, nach Afghanistan und Pakistan. Man kann nur hoffen, dass sie aus ihren Fehlern im Irak gelernt haben.

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Karim El-Gawhary
Auslandskorrespondent Ägypten
Karim El-Gawhary arbeitet seit über drei Jahrzehnten als Nahost-Korrespondent der taz mit Sitz in Kairo und bereist von dort regelmäßig die gesamte Arabische Welt. Daneben leitet er seit 2004 das ORF-Fernseh- und Radiostudio in Kairo. 2011 erhielt er den Concordia-Journalistenpreis für seine Berichterstattung über die Revolutionen in Tunesien und Ägypten, 2013 wurde er von den österreichischen Chefredakteuren zum Journalisten des Jahres gewählt. 2018 erhielt er den österreichischen Axel-Corti-Preis für Erwachensenenbildung: Er hat fünf Bücher beim Verlag Kremayr&Scheriau veröffentlicht. Alltag auf Arabisch (Wien 2008) Tagebuch der Arabischen Revolution (Wien 2011) Frauenpower auf Arabisch (Wien 2013) Auf der Flucht (Wien 2015) Repression und Rebellion (Wien 2020)

2 Kommentare

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  • A
    anke

    Für Juristen ist eine Legitimation der Nachweis einer Berechtigung. Für Politiker und Soziologen ist sie bloß die Rechtfertigung einseitig geschaffener Fakten. Nein, berechtigt waren die USA nicht zum Einmarsch in den Irak, und der Fakt, dass die Invasion ein Chaos ausgelöst hat im Land, rechtfertigt sie auch nur dann, wenn man annimmt, dass genau dieses Chaos das Ziel der Bush-Regierung war. Nun bilde ich mir ja gewiss nicht ein, ich wäre als taz-Leser abschließend informiert über Ziele und Strategieren fremder Regierungen. Wenn aber Karim El-Gawhary mehr weiß als ich, muss er damit rechnen, dass sich Leute mit ihm befassen, denen das nicht sonderlich recht sein kann. Ich hoffe für den Mann, er ist sich seines Berufsrisikos bewusst – und lässt seine Leser nächstens tatsächlich teilhaben an seinem Wissen, statt nur so zu tun als ob. Gerüchte können Verwaltungsleute schließlich auch.

  • N
    Nadi

    Es gibt für Kirkuk und Mosul durchaus eine Beschlusslage. Bislang hat die kurdische Autonomiebehörde darauf verzichtet - um nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen.

    Die Frage ist aber, wie sich Mosul und Kirkuk regieren können, wenn eine Autorität nicht vorhanden ist. Zwar sind die Kurden gut organisiert und sicherlich am Besten ausgestattet, aber was nützt das, wenn jährlich junge Männer aus der arabischen Halbinsel ihren Jihad im Irak ausleben wollen?

    Ich befürchte, dass es im Irak noch zu großer Instabilität kommen kann. Letztlich wird diese Regierung auch noch die Zerrkräfte des Landes zu spüren bekommen.

    Wirkliches Interesse an einem demokratischen und föderalen Irak haben wohl nur die Kurden. Der Rest spekuliert heimlich oder öffentlich auf eine Neuauflage für Diktatur, Monopolisierung und exklusive Ausbeute der Rohstoffe.