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Kommentar IndienKaschmir brennt wieder

Kommentar von Britta Petersen

Jahrelang hat Indien an der Befriedung des geteilten Kaschmirs gearbeitet. Nun bricht wieder der Konflikt erneut auf - weil die politische Klasse so unverfroren wie unfähig ist.

Einige Länder sind sich selbst der ärgste Feind. Und wenn eines unter ihnen den ersten Platz auf einer imaginären Rangliste verdient, dann ist es Indien. Jahrelang hat die indische Regierung durch vertrauensbildende Maßnahmen darauf hingearbeitet, das geteilte Kaschmir zu befrieden. Zwar war der geteilte Bergstaat noch immer weit entfernt von einer substanziellen Lösung. Aber es war Ruhe eingekehrt in den letzten Jahren.

Frei nach Willy Brandts Formel "Wandel durch Annäherung" verkehrten wieder Busse zwischen dem indischen und dem pakistanischen Teil Kaschmirs. Die von Pakistan geförderten Islamisten haben sich andere Kampfplätze gesucht und sogar die Touristen kehrten zurück in die romantische Hauptstadt Srinagar. Pakistan hat derzeit andere Probleme und ist mit sich selbst beschäftigt. Bessere Bedingungen, um die Sympathie der Bevölkerung in Kaschmir dauerhaft für sich zu gewinnen, konnte sich Neu-Delhi nicht wünschen.

Doch stattdessen "brennt Kaschmir" wieder, wie am Dienstag eine indische Zeitung schrieb - und zwar ausschließlich weil die politische Klasse sich als so unverfroren wie unfähig erweist. Unnötigerweise brachen die Zentralregierung und die Lokalregierung einen Streit um die Pilgerreise zum Amarnath-Schrein vom Zaun, indem sie entschieden, weiteres Staatsland für Hindu-Pilger zur Verfügung zu stellen. Dabei pilgerten jahrzehntelang Tausende von Hindus friedlich durch das mehrheitlich muslimische Kaschmir. Jetzt aber wurde Separatisten und islamischen Fanatikern eine Steilvorlage geliefert. Aber nicht nur ihnen.

Die größte Oppositionspartei Indiens, die hindu-nationalistische BJP, die schon lange auf der Suche nach einem geeigneten Wahlkampfthema war, hat die Kontroverse skrupellos instrumentalisiert, um sich als wahrer Anwalt hinduistischer Interessen zu präsentieren. Dass sie sich um ein paar hundert oder tausend Tote nicht schert, hat die BJP in der Vergangenheit bereits bewiesen. Auf Kaschmir kommen daher bis zu den Wahlen unruhige Zeiten zu. Wer solche Politiker hat, braucht keine äußeren Feinde mehr.

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1 Kommentar

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  • MR
    Mario Rock

    In der Bevölkerung von Kaschmir heißt es, Indien hätte 700.000 Soldaten in Kaschmir stationiert und zwar nichteinmal nur in Kasernen außerhalb, sondern auch in den Gemeinden und Siedlungen. Täglich wird irgendwer erschossen und nachträglich zum Aufständischen erklärt, Menschen werden verschleppt. Die Frauen der Opfer bekommen keine Entschädigung und verarmen. Soviel zu vertrauensbildenden Maßnahmen: Kaschmir befindet sich dauerhaft im Ausnahmezustand und die indische Regierung zündelt kontinuierlich. Deshalb ist ein Konflikt zwischen Hindus und Muslimen zwar ein kleiner Auslöser, die Proteste werden aber längst vom Ruf nach Freiheit überlagert.