Kommentar Hartz IV und Facebook: Bitte nicht das Jobcenter liken!
Der Bundesbeauftragte für Datenschutz warnt: Jobcenter könnten soziale Netzwerke zur Erfassung von Daten ihrer Kunden nutzen
U nser kleines Arbeitsamt, das sich seit der netten Agenda 2010 „Jobcenter“ nennt, möchte also in die sozialen Netzwerke einsteigen. Und nicht unbedingt, um viele, viele Klicks und Likes zu bekommen, sondern – wer hätte es gedacht – um ihre Politik der Spionage und Drangsalierung ihrer sogenannten Kunden auch im Internet weiterzuverfolgen.
Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, hat vorsorglich schon einmal eine Warnung in die Republik gerufen: Vorsicht, die Agentur für Arbeit könnte Informationen jagen gehen. Natürlich hat Schaar den Alarm gleich wieder relativiert: „Facebook-Kontrollen“ sind vom Gesetz nicht gedeckt, sogar die Benutzung von Suchmaschinen seitens der Behörde „sei rechtswidrig“.
Trotzdem, so der Chef der obersten Alarmismusbehörde in Sachen elektronischer Fortschritt, sei es ratsam, als Hartzer vielleicht nicht unbedingt ein Foto vom frisch gekauften Sportwagen zu posten oder als Krankgemeldeter sich auf Fotos markieren zu lassen, die mit Party und Sangria aus Eimern zu tun haben könnten.
Was der ungebetenen Ratschläge halt so sind. Zu kritisieren ist dabei zweierlei: Erstens natürlich die Kontrollsucht der Drangsalierungsämter, die im Netz nach weiterer Entfaltung sucht. Nach dem Motto: Es könnte ja sein, dass die Ärmsten der Armen, die also auf der anderen Seite des Schreibtischs, die also, die nicht den Luxus eines Festgehalts genießen – dass diese sich also irgendwelche staatlichen Mittel erschleichen.
Dahinter steckt, seitens der Behörden wohlgemerkt, eine nicht nur zutiefst menschenverachtende, sondern auch ideologisch fragwürdige Grundeinstellung, die sich in bundesdeutschen Amtsstuben, überhaupt in den bundesdeutschen Verhältnissen seit Jahrzehnten hält und besonders auch mittels Ressentimentsorgane vom Boulevard weiter breit macht.
Um es auf den Punkt zu bringen: Die Verachtung der Armen. Zum anderen ist der Alarmismus, den die Datenschützer so gern pflegen, zu kritisieren: Demnach ist Facebook schlichtweg das Böse, weil es hintergründig und gemein Userdaten sammelt (Stichwort: „Datenkrake“). Stimmt natürlich auch irgendwie, so schlimm ist es andererseits aber auch nicht. Und selbst wenn: Was und wem schadet es? Dem aufgeklärten User normalerweise jedenfalls nicht.
Über diesen Alarmismus hinaus wird nämlich übersehen, dass hier wie nebenbei einer Entmündigung des Ottonormalusers das Wort geredet wird – als ob sich ein vernünftiger Kunde mit seinem Fallmanager (dem sogenannten „Pap“, i.e. „persönlichem Ansprechpartner“) befreundet! Und nach all den Warnungen wirklich völlig unkontrolliert schädigende Sachen postet! Als ob niemand wirklich wüsste, wie man seine Daten pflegt und schützt! Und was man postet und was nicht!
Natürlich ist trotzdem auf gut Neudeutsch anzuraten: Don't add your personal Fallmanager. Besser is.
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