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Kommentar Hartz IV für SelbständigeEigeninitiative wird eingedämmt

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

Unternehmer werden häufig Unternehmer, weil sie keine Anstellung in ihrem Beruf bekommen. Dass sie keinen Anspruch mehr auf Sozialleistungen haben, ist absurd.

D as klingt erst mal logisch: Selbstständige, die von ihrem Gewinn nicht leben können, sollen laut Bundesagentur-Chef Frank-Jürgen Weise kein Hartz IV mehr bekommen. Es ist eine einfache Regel des Kapitalismus, dass der Staat ein unsinniges Geschäftsmodell nicht finanzieren muss. Entweder eine Idee funktioniert, weil es dafür einen Markt gibt. Oder eben nicht.

Auch aus einem anderen Grund sollen UnternehmerInnen keinen Anspruch auf unterstützende Sozialleistungen haben, argumentiert die Bundesagentur. Schließlich zahlen die meisten von ihnen nicht in die Arbeitslosenversicherung ein. Das wiederum tun Angestellte – weswegen sie auch Hartz IV bekommen könnten, wenn ihr fester Job zum Leben zu wenig abwirft. Aber das Argument ist falsch: Hartz IV wird nicht aus der Arbeitslosenversicherung, sondern aus Steuermitteln finanziert.

Hinter der Weise-Idee steht die Angst vor Sozialmissbrauch. Ja, es gibt UnternehmerInnen, die sich arm rechnen und den Sozialstaat betrügen. Manchen ist auch mit hartnäckiger kriminalistischer Recherche nicht beizukommen.

Bild: privat
Simone Schmollack

ist Redakteurin im Inlandsressort der taz.

Aber die meisten prekären Selbstständigen sind nicht am Mitnahmeeffekt interessiert, sondern legen regelmäßig und ehrlich ihre mageren Einkünfte offen. Sie würden durch Restriktionen mitbestraft. Ihre Existenzen wären bedroht, viele müssten aufgeben – und würden damit zu kompletten Hartz-IV-EmpfängerInnen.

Zudem würde ihre eigene Aktivität eingedämmt. Ist diese aber nicht ausdrücklich von Arbeitslosen und Hartz-IV-BezieherInnen gefordert? Viele haben sie zudem kaum eine andere Möglichkeit, als ihr eigenes kleines Unternehmen zu gründen, weil sie in ihrem Beruf keine Stelle bekommen. Auch das Argument mit den Umschulungen entpuppt sich als Mythos. Die werden von den Jobcentern häufig nämlich nicht bezahlt.

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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11 Kommentare

 / 
  • LL
    lebenslangem Lernen

    "Selbstständige, die von ihrem Gewinn nicht leben können".

    Der gesamte Staat kann nicht von seinem Gewinn der Innenfinanzierung leben. Kündbare Politiker gibt es nicht, die lebenslange Fußkette.

    Die gigantischen Rettungsschirme, explosionsartige Verschuldung mit mehreren Billionen zeigen das der Begriff "Kapitalismus" eindeutig neu definiert werden muss.

    Der letzte Finanzcrash soll laut Fachleute das gesamte Weltbruttosozialprodukt der letzten 300 Jahre vernichtet haben. Wer hat bei wem die Schulden?

     

    Während alle Bürger ihre nachhaltige Innenfinanzierung, ob Selbstständig oder Angestellt, durch vernünftige Planung hinbekommen müssen, vollzieht der Staat-Politiker eine nicht planbare Verschuldung für alle. Die Überschrift Planwirtschaft!

    Hinzu kommt die Verschiebung der Verantwortung, alle Bürger in Ordnungs-/Beugehaft.

    Kaum das Licht der Welt erblickt, schon Schulden. Die mit Euro Einführung Schuld-/Leistungsrechtsänderung zeigt Richtung Calvinismus. SPD Neusprech Subsidiaritätsprinzip, Arme amputieren und selbstbestimmte Eigenverantwortung fordern. ARGE, H4.

    Es gibt keinen unendlichen Markt, mit der Cauchy-Schwarzsche Ungleichung, Heisenbergsche Unschärferelation schon. Finanzmathematiker rechnen mit der Unendlichkeit, spez. HFT.

     

    Deutschland und seine Wertschöpfung/Wirtschaft ist ein unsinniges Geschäftsmodell, welches normalerweise ebenso wenig unterstützt werden sollte.

    Der sogenannte Wirtschaft und seine kapitale Finanzmathematik versagt auf ganzer Linie, dem Untergang entgegen.

    Wenn Geld als Ware mehr Geld bringt, als Ware durch reale Wertschöpfung, läuft einiges verkehrt.

    Die Verwalter, Blockwärter sind da.

  • K
    klaerchen

    Ich bin selbst "selbstänig", da ich mit w 52 und massiven gesundheitlichen Einschränkungen weder Vollzeit noch Teilzeit einen Job finden kann. Aufstockung vermeide ich, da die Hürden sehr hoch sind und ich die Antragsstellung mit totaler Offenlegung entwürdigend finde. Von meiner Tätigkeit kann ich leben, weiß aber nicht, wie lange noch. Rente kommt nicht in Frage, da zu niedrig und dann der Strudel aus verwerten von Besitz erst richtig in Gang käme. Aber ich schließe mich der Meinung an, daß solange große Unternehmen Löhne bezahlen, die einer Aufstockung durch die Allgemeinheit bedürfen, solange kann auch der einzelne kleine Unternehmer diese Steuergelder beanspruchen.

  • HS
    h s

    @CLW: Die Bereithaltungskosten fuer eine Dienstleistung sind natuerlich Teil der hereinzuholenden Kosten. Wenn die mangels Auftragslage nicht verdient werden, gibt es entweder keine kostendeckende Nachfrage oder der verlangte Preis ist zu gering.

     

    Mangelnde Nachfrage staatlich zu subventionieren sollte eine gut begruendete Ausnahme sein. Und wenn, dann nicht ueber HarzIV sondern ueber zielgerichtete Foerderung.

     

    Teilzeit aus gesundheitlichen oder familiaeren Gruenden ist mE getrennt zu behandeln: da wird von vorneherein kein Vollverdienst angestrebt oder moeglich sein.

  • P
    Phönix

    Zitat: "Selbstständige, die von ihrem Gewinn nicht leben können, sollen laut Bundesagentur-Chef Frank-Jürgen Weise kein Hartz IV mehr bekommen. Es ist eine einfache Regel des Kapitalismus, dass der Staat ein unsinniges Geschäftsmodell nicht finanzieren muss. Entweder eine Idee funktioniert, weil es dafür einen Markt gibt. Oder eben nicht."

     

    Wer "A" sagt, Herr Weise, der sollte auch "B" sagen. Logische Konsequenz müsste nach Ihrer Argumentationslinie nämlich auch sein, dass Arbeitgeber ihren Beschäftigten existenzsichernde Löhne zahlen, damit die Beschäftigten nicht durch Hungerlöhne gezwungen sind, mit Hartz IV aufzustocken.

     

    Wenn sich Wirtschaftsunternehmen ihre Hungerlöhne indirekt mit Hartz IV sponsern lassen, müsste dies nach der Logik von Herrn Weise mindestens genauso verwerflich sein wie wenn ein prekär lebender Kleinselbständiger mit Hartz IV aufstockt, weil sein Einkommen nicht zum Leben reicht.

     

    Die verquere Logik der Denke von Herrn Weise ist Ausdruck eines gespaltenen Denkens: Unternehmen werden durch HartzIV-Aufstockungszahlungen Milliarden hinterhergeworfen, die tatsächlich nichts anderes als Lohnsubventionen sind.

  • S
    Susanna

    Geschäftsmodelle, die so wenig abwerfen, dass man seinen Angestellten weniger als Hart IV zahlt sind also legal. Wenn die Angestellten sich selbstständig machen und dann genauso wenig verdienen, soll das verboten werden? Ein hoch auf den Kapitalismus, in dem nur Großunternehmer den Sozialstaat ausbeuten dürfen.

    Was für ein Schwachsinn. Ich kenne so viele selbstständige Hartz-IV-Empfänger, die dann eben zu 100% vom Staat leben würden. Weil es einfach keinen Job für sie gibt.

  • H
    Hafize

    Mir gefällt die Position von Simone Schmollack, aber Weise unterstellt den Sozialmissbrauch einfach und pauschal.

     

    Das ist durchaus noch ein Unterschied.

    Hier zeigt der oberste BA-Mensch, Frak-Jürgen Weise, was er wirklich von schlechtverdienenden Selbständigen hält: Nichts.

     

    Er hält sie generell für Betrüger, für Schmarotzer. Ich hoffe, dass die nächste Regierung diesen Mann entlässt, denn er ergreift schon wieder eine politische Initiative, die ihm nicht zusteht. Es ist die Aufgabe der Politiker zu sagen, wir wollen keine Selbständigen als Aufstocker. Es ist die Aufgabe des Gesetzgebers, nicht der ausführenden Behörde. Und es gehört zunächst in die Behördenpost, in den internen Arbeitsablauf, nicht in die Öffentlichkeit.

     

    So einfach ist das und ich hoffe, dass wir diesen Frak-Jürgen Weise loswerden können, denn im Prinzip verdreht er stetig seine Aufgabenbeschreibung und Hartz-IV ist seit 2005 hinter den Zielmarken geblieben.

     

    „Das kann nicht sein“ (Zitat)

     

    Ja, das sollte wirklich nicht sein.

  • C
    CLW

    Bei manchen Lesern liegt hier ein Missvertändnis vor:

     

    Anders als bei vollzeitbeschäftigten Aufstockern drückt ein selbständiger Aufstocker eben nicht zwangsläufig die Preise.

     

    Vielleicht bekommt er einfach nur nicht genug Aufträge, um regelmäßig auf 40 Wochenstunden zu kommen, muss aber zeitlich flexibel bleiben - oder er ist chronisch krank und kann gar nicht in Vollzeit arbeiten, will aber im Rahmen seiner Möglichkeiten trotzdem etwas leisten.

     

    Und das soll ihm jetzt nicht mehr gegönnt werden?! Na toll.

  • I
    ion

    "Aber die meisten prekären Selbstständigen sind nicht am Mitnahmeeffekt interessiert, sondern legen regelmäßig und ehrlich ihre mageren Einkünfte offen.";

    Was zu beweisen wäre ??

    Und dennoch wäre – entgegen Frau Schmollacks’ Schreibe – die einzige Lösung eben nicht die, die aktuelle Praxis beizubehalten; Warum nicht das verwaltungsschlanke bedingunslose Grundeinkommen? Wer dann immer noch das "prekäre" ‘Kaufmannsladenspiel’ aus welchen (psychischen) Gründen (¿"eigene Aktivität"?) auch immer weiter 'führen' will, muss, bitte sehr.

  • HS
    h s

    Bei den abhaengig Beschaeftigten fordert man den Mindestlohn, damit jeder von seiner Vollzeitarbeit leben kann. Minijobs sind ebenfalls als Problem erkannt, da letztlich die Sozialleistungen fehlen.

     

    Warum sollte man nicht-tragfaehige Selbststaendigkeit als bequemes Konstrukt zur Kostenminimierung bestehen lassen? Letztlich subventioniert man damit einen Wettbewerber auf dem Markt, der die Preise drueckt.

  • J
    Jaheira

    Ein guter Kommentar. Ich denke aber nicht, dass Weise-Vorschlag auf Unternehmer abziehlt, die sich arm rechnen, sondern auf folgendes Geschäftsmodell:

    Hartz 4

    + etwas mies bezahlte Arbeit (100-200 Euro Verdienst)

    + evtl. Schwarzarbeit

     

    Bei schlecht bezahlten Tätigkeiten wie haushaltsnahen Dienstleistungen lohnt sich dieses Modell mit großem Abstand vor der legalen Vollzeittätigkeit für unter 1000 Euro/Monat.

  • R
    Robbin

    Diesem Artikel ist nichts mehr hinzuzufügen.

     

    Ich habe gerade eine E-Mail an Hr. Weise geschickt und ihn gebeten, auch alle prekären Arbeitsangebote zu verbieten. Schließlich müssen auch hier die Sklaven - ich meine natürlich ArbeitnehmerInnen/ArbeiterInnen - aufstocken, weil diese Praxis in das Geschäftsmodell eingerechnet ist.

     

    Es ist einfach nur noch ekelhaft, was unsere ReGIERung da so frabriziert!