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Kommentar HamasFahrlässiger Denkzettel für die Hamas

Kommentar von Susanne Knaul

Im Nahen Osten verdrehen sich die Vorzeichen: Die Hamas positioniert sich gegen die Raketen und sucht Hilfe auf der internationalen Ebene.

B enjamin Netanjahu nahm die Raketen in Kauf, die die Islamisten für ihre getöteten Helden auf Israel abschießen würden. Es sei klar gewesen, dass die Hinrichtungen zu einer neuen Gewaltwelle führen werde, meinte er und gab trotzdem das Kommando zum immer gleichen Szenarium: Die israelische Luftwaffe exekutiert einen gesuchten Terroristen, die Islamisten üben mit Raketen Vergeltung, die israelische Luftwaffe schlägt erneut zu, bis nach der Intervention von dritter Seite irgendwann wieder Ruhe einkehrt. Zweifellos hat Israel das Recht, sich selbst zu verteidigen. Nur warum passiert das so selten im Einklang mit den Genfer Konventionen?

Angenommen, die Informationen, die die Geheimdienste auf einen Anschlagsplan schließen ließen, sind doch nicht so dicht, wie Netanjahu es darstellt. Und angenommen, die Luftwaffe brauchte nur einen Vorwand, um den Islamisten im Gazastreifen noch vor dem absehbaren Angriff auf die iranischen Atomanlagen die Botschaft zu vermitteln, sich rauszuhalten aus allem, was danach kommen könnte. Israel würde sich ins Unrecht setzen, sollte sich der Verdacht erhärten, dass die beiden palästinensischen Aktivisten und die vielen anderen Toten nur herhalten mussten, um der islamischen Führung einen Denkzettel zu verpassen.

Und selbst wenn die Geheimdienste recht behalten, die Hinrichtung der beiden Extremisten hinterlässt einen üblen Nachgeschmack. Mag sein, dass die Militärs überfordert sind mit der Aufgabe, Terroristen „in flagranti“ zu erwischen. Aber ist mit der Exekution der beiden Männer die Gefahr wirklich gebannt? Sollte sich tatsächlich niemand finden, der das geplante Attentat an der südlichen Grenze ohne sie zu Ende bringt?

Bild: taz
Susanne Knaul

ist taz-Korrespondentin in Israel.

Die Angriffe der israelischen Luftwaffe bestärken all jene, die die sanft aus dem Gazastreifen tönenden Signale zur Abkehr vom gewaltsamen Widerstand noch im Keim ersticken wollen.

Die Führung der Hamas positioniert sich jetzt gegen die Raketen. Um den Vergeltungsaktionen ein Ende zu machen, müsste sie die Glaubensbrüder ins Gefängnis bringen und würde sich damit innenpolitisch geradewegs selbst ins eigene Bein schießen. Übrig bleibt ihr nur der diplomatische Druck. Die Hamas sucht Hilfe auf internationaler Ebene, um der Gewalt ein Ende zu machen. Im Nahen Osten verdrehen sich die Vorzeichen.

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Redakteurin Meinung
1961 in Berlin geboren und seit 2021 Redakteurin der Meinungsredaktion. Von 1999 bis 2019 taz-Nahostkorrespondentin in Israel und Palästina.
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10 Kommentare

 / 
  • M
    Maayan

    @Holger Mainz: da sie hier schon so geschwollen daherreden, erlauben sie mir eine frage: wie Raketeneinschläge oder wie viele Male mussten sie schon zum Bunker rennen? Wenn sie das Leben hier in Süd-Israel noch nicht erlebt haben, dann werd ich an ihrer Stelle besser schweigen, bevor ich mich mit solch lächerlichen Bemerkungen blamiere...

  • S
    Stefan

    Das nenne ich Comedy vom feinsten: Warum sich Israel nicht an die Genfer Konvention halte? Im Ernst, werte Susanne Kaul, wann hat jemals jemand bei einem Angriff auf das Land Israel oder seine Bürger um irgendeine Konvention gekümmert, geschweige denn, dass sich die Weltgemeinschaft um Israel auch nur im Ansatz gekümmert hätte. Welches von Israel-Feinden mojorisiertes Gremium sollte sich denn Israel beschützen?

    Mit einer schnellen Behauptung, Israel verstoße gegen Menschenrecht, Völkerrecht, Genfer Konvention liegt man immer richtig. Das kommt an.

    Aber es gibt ja auch konkrete Lösungsansätze im Artikel: Israel möge die Terroristen aller Coleur gewähren lassen, damit die Moderateren unter den Terroristen die Chance haben, den aufgehetztem Pöbel zu zeigen, dass etwas weniger Terror vielleicht gar nicht so schlecht wäre. Ja, man solle alle Terroristen weitermorden lassen um den menschen zu zeigen, dass die Juden ja garnicht so bestialisch sind, wie sie in der Propaganda dargestellt werden. Das würde den arabischen Pöbel sicher zum nachdenken bringen, wenn sich die Israelis widerspruchslos ermorden lassen würden. Sicher. In Deutschland klappt das ja auch wunderbar: Wir ignorieren die Nazis ... schon merken die, dass sie nicht landen können und werden friedliche Demokraten. Von einer Hysterie, als ob wir kurz vor einer Machtergrifung stünden keine Spur.

    Sanft tönende Signale ... die sollte man auf jeden Fall ernst nehmen. Egal, wieviele menschenleben es kostet. Genau.

  • G
    Geralf

    @Holger Mainz:

     

    'Anderenfalls hätte ISR längst Abwehrraketenbasen installiert.'

     

    Informieren, ansonsten einfach mal den Rand halten.

     

    http://de.wikipedia.org/wiki/Iron_Dome

     

    http://www.haolam.de/index.php?site=artikeldetail&id=8237

     

    Selber lesen macht schlau!

  • HM
    Holger Mainz

    Die ganzen "Raketen" und das damit verbundene "unerträgliche Leben" sind in Wahrheit nur eine willkommene Ausrede. Anderenfalls hätte ISR längst Abwehrraketenbasen installiert. Tatsächlich haben tausende Raketen so gut wie keine Opfer hervorgebracht.

    Und hätte man nicht das Raketenattentat verübt, hätte man eben einen fischer aus seinem Boot geballert.

  • L
    LankyLanc

    Es ist immer das gleiche. Erst wird Israel gönnerhaft zugestanden es dürfe sich "natürlich" verteidigen und dann wird jede Handlung die der Verteidigung dient als Eskalation verdammt.

    Frau Knaul behauptet hier, die Hamas wende sich nun "gegen die Raketen". Das halte ich für eine sehr gewagte Behauptung, die hier im übrigen mit nichts belegt wird. Es stimmt, dass die Hamas nicht in allzu offenen Jubel ausgebrochen ist und ausmahmsweise nicht direkt für den Beschuss verantwortlich ist. Daraus abzuleiten, die Hamas habe ihre Position zum Judenmord überdacht ist aber sehr wohlwollend.

    Wenn Israel auf die Deutsche Linke hören würde, wenn es um angemessene Selbstverteidigung geht, gäbe es schon längst kein Israel mehr.

    Die selbsterklärten Antiimperialisten hierzulande wollen kein Israel. Sie nehmen es hin, weil sie müssen. Das nationalistische Projekt Palästina, genießt hingegen ihre vollste Sympathie, da schaut man schonmal großzügig über Antisemitismus, Korruption, Terror gegen die Zivilbevölkerung und Homophobie (kurz: Alles was man in Deutschland empört kritisiert) hinweg.

  • MF
    Marcel F.

    "...Zweifellos hat Israel das Recht, sich selbst zu verteidigen..."

     

    Wenn sich beide Seiten nur noch aufs verteidigen beschränken würden, wäre dies schon mal ein Anfang.

  • C
    Charlene

    Angenommen...

    Und angenommen...

    Israel würde sich...

    Und selbst wenn...

     

    Wer seine "Analysen" im Konjunktiv zusammenstammelt, braucht einfach mal eine ordentliche Portion Wirklichkeit. Sehen wir uns in Israel?

  • E
    Eva

    'die die Islamisten für ihre getöteten Helden'

     

    Schöne Umschreibung für Menschen, die ganz bewusst Zivilisten morden. Aber es stimmt, diese Mörder sind für viele (also für wirklich viele) Palestinenser Helden, schon für die Allerkleinsten. (ich verkneife mir jetzt mal das Anhängen beunruhigender Youtubevideos über palestinensische Erziehungspraxen in Bezug auf derartige Helden)

     

    'Zweifellos hat Israel das Recht, sich selbst zu verteidigen.'

     

    Das ist doch mal ein schöner Satz, den Mensch von linker Seite eher wenig zu hören bekommt.

     

    'Angenommen, die Informationen, die die Geheimdienste auf einen Anschlagsplan schließen ließen, sind doch nicht so dicht, wie Netanjahu es darstellt.

     

    Komisch dass es dann genau den Zirkel getroffen hat. Es waren definitiv Drahtzieher von verschiedenen Anschlägen. Hat das Misstrauen gegen einen der besten und sinvoll arbeitenden Geheimdienste weltweit irgendeinen Grund?

     

    '... sollte sich der Verdacht erhärten, dass die beiden palästinensischen Aktivisten und die vielen anderen Toten nur herhalten mussten, um der islamischen Führung einen Denkzettel zu verpassen.'

     

    Ich bitte um Quellen oder wenigstens stützende Argumente für solche Annahmen?

     

    'Nur warum passiert das so selten im Einklang mit den Genfer Konventionen?'

     

    Sehr pauschale Feststellung, dass Israel die Genfer Konventionen nicht einhält. Israel ist der Staat, welcher maximale Anstrengungen unternimmt Zivilisten zu schonen. Kaum ein angegriffenes Land nahm die Genfer Konventionen je so ernst.

     

    Dass der einzige kritische Aspekt, die Tötung ohne Urteil stattfindet, liegt in der Lage und Schwierigkeit des Konfliktes an sich. Sie wissen, wie es ausgeht, wenn Israel einen 'palestinensischen Helden' versucht rechtstaatlich zu verurteilen. Dies ist nicht möglich und führt zu einem unabsehbaren Rattenschwanz an gefährlichen Ereignissen, ja manchmal zu neuen Toten und Ausschreitungen.

     

    Warum mahnen sie die Genfer Konventionen nicht auch genauso deutlich bei der Gegenseite an. Sind Juden andere Menschen? Müssen sie sich an andere Konventionen halten? Warum messen sie mit zwei Maß?

     

    'Die Angriffe der israelischen Luftwaffe bestärken all jene, die die sanft aus dem Gazastreifen tönenden Signale zur Abkehr vom gewaltsamen Widerstand noch im Keim ersticken wollen.'

     

    Komisch, dass in den letzten drei Monaten Israel 50 Raketen auf den Kopf gefallen sind. Bloss weil das vergleichsweise etwas weniger waren sprechen sie von einer Positionierung gegen Raketen der Hamas, von 'sanften Signalen' aus dem Gazastreifen. Soll das Sarkasmus sein, auf solche sanften Signale würde ich auch verzichten wollen.

     

    'Die Führung der Hamas positioniert sich jetzt gegen die Raketen'

     

    Das ist nicht korrekt, die Hamas geben sich neutral. Sie unterstützen also nicht aktiv den Raketenbeschuss, überlassen ihn also anderen Gruppen. Sie haben sich weder dagegen positioniert und wollen ihn auch nicht unterbinden. Es werden hier hier positive Einstellungen der Hamas unterstellt, welche nicht erkennbar sind. Ein Neutral (oder besser gesagt ein Jetzt-Nicht) ist kein Dagegen!

     

    Der Führung der Hamas gehen die Aufmerksamkeit (wegen Iran usw.)- Mittel und Optionen aus. Sie haben Probleme mit Strom und Ägypten und versuchen über Ägypten einen Waffenstillstand auszuhandeln der, wie in der Vergangenheit immer wieder, zum Sammeln der eigenen Kräfte genutzt wird. Dem würde wie schon tausendemal davor eine neue Welle folgen, von den einzelnen zwischendurch einschlagenden Raketen mal zu schweigen.

     

    Das einzige, was gesagt werden kann, diese Eskalation passt der Hamas gerade nicht ins zeitliche Konzept, daraus friedliche Absichten abzuleiten ist fahrlässig.

     

    Eine Eskalation ist es wohl immer erst dann, wenn Israel sich verteidigt, sonst ist der Dauer-Raketenbeschuss wohl keine Eskalation? Interessante Deutung, Israel ist also immer der Eskalator - im Gazastreifen, naja wie gesagt gibt es 'sanfte Töne'-

    Hamas kuscheln.

     

    Können Sie sich vorstellen wie die Menschen von einem derartigen Alltag die Schnauze (sry) voll

    haben.

     

    http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=ygb6VrW8WZw

     

    http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=T9LsrHFKKyQ#!

     

     

    'Die Hamas sucht Hilfe auf internationaler Ebene, um der Gewalt ein Ende zu machen. Im Nahen Osten verdrehen sich die Vorzeichen.'

     

    Ist das so? Drehen sich die Vorzeichen? Ich glaube diese Einschätzung geht weit daneben. Die Hamas will also der Gewalt ein Ende zu machen? Gibts dafür Belege, ausser 'sanfte Töne' - eine Anfrage an Ägypten als Vermittler bedeutet also, dass die Hamas Frieden möchte? Das ist eine sehr weite Interpretation der Hamas Absichten. Villeicht will die Hamas einfach Zeit für neue Gelder und neue Raketen, die nicht so leicht durch Iron Dome abgefangen werden können. (Ist auch nur eine Interpretation, aber eine die in der Vergangenen Systematik der Hamas Waffenstillstandsbemühungen begründet liegen)

     

    Geben sie mal eine Begründung, für die von ihnen konstatierten friedfertigen Absichten der Hamas.

  • J
    J.R

    Liebe Frau Knaul!

    Sollte nicht eine gemeinsame Kommission aus Ägyptern die Vorfälle an der Nationalstraße 10 und auch die Ursache für den Tot ägyptischer Beamter geklärt haben?

    Wurde da nichts darüber ausgesagt, was man über die Hintermänner der damaligen Vorkommnisse herausbekommen hatte.

    War nicht Al Kaissis Vorgänger Kamal Nairab schon im August von den Isrelis im Gazastreifen ermordet worden, also lange vor dem Zusammentreten der Kommission, weil der verantwortlich gewesen sein soll?

    Ich fände es gut, wenn Sie solche Hintergründe mit bereitstellen würden, denn der Leser im Alltag ist auf solche Infos angewiesen und muss sich stets mit dem Propagandanebel und dessen Sprache aus Tel-Aviv auseinandersetzen.

  • IQ
    Ignaz Quadratwurzel

    Nein, die Vorzeichen im Nahen-Osten verdrehten sich nicht wirklich, zumal wenn man bedenkt, dass nicht die Palästinenser nach Palästina kamen, um andere Menschen zu verdrängen und zu vertreiben. Auch ist unklar was die “gesuchten Terroristen“ sein sollen, wer die Jahre und Jahrzehnte zurückgeht, müsste demnach in „Israel“ Massenverhaftungen“ vornehmen.

    Einzig ist der Hamas zu bescheinigen, sich verantwortlicher und mit größerer Weitsicht zu handeln - wenn man möchte.

     

    Über Wochen hinweg hatte die israelische Diplomatie versucht, der Welt weiß zu machen, der Iran plane einen Holocaust zu begehen und werde von einem Hitler angeführt

    Doch hat diese Darstellung nicht wie gewünscht verfangen, nicht dauerhaft dazu geführt, die Augen vom Nah-Ost-Konflikt abgewandt zu halten.

    Der gestiegene Ölpreis aber macht nicht nur den Bewohnern in den Entwicklungsländern zu schaffen und auf diesem Hintergrund erscheint der US-IS Disput nur als gemeinschaftliches Rückzugsgefecht. Aber die israelische „Diplomatie“ hat sich wieder was anderes einfallen lassen und dies kennzeichnet die letzten Tage.

     

    Es stimmt, im Sommer letzten Jahres gab es einen Anschlag im Süden Palästinas, an der israelisch ägyptischen Grenze in der Nähe von Eilat.

    Aber hatte nicht schon wenige Stunden danach die israelische Luftwaffe Gaza bombardiert und behauptet, ihre Angriffe hätten vor allem die Drahtzieher der Eilat-Attentate treffen und beseitigen sollen.

    Waren dann nicht in den nächsten Wochen alle bislang identifizierten Attentäter nicht Palästinenser aus dem Gazastreifen, sondern Ägypter gewesen, teilweise erst mit dem „arabischen Frühling“ aus ägyptischen Haftanstalten entwichen?

    Kann das der israelischen Regierung unbekannt sein oder einem Berichterstatter aus Westjerusalem entgehen?

     

    Bereits Mitte der Woche waren nahe Hebron 2 Palästinenser erschossen worden, was auch ein Grund für das Abfeuern von selbstgebastelten Kleinraketen aus Gaza hätte sein können. Was sollte also nun der eiskalte Mord an Palästinensern im Gazastreifen, die angeblich (besser einer von ihnen) einen Anschlag an der Grenze geplant hätten mit der anschließenden Eskalation die schon mehr als ein Dutzend Palästinenser tötete?

    Hätte dann nicht eine verschärfte Beobachtung der Grenze ausgereicht?

     

    Am Montag soll das Nah-Ost-Quartett zusammenkommen, um über den Friedensplan zu beraten, der bis zum Ende des Jahres zu einem unabhängigen Palästinenserstaat führen, und die Palästinenser vor weiteren Anträgen in der UN abhalten sollte – liegt auch darin ein zu betrachtendes Motiv?