Kommentar Gute Nachrichten 2009: 2009, Jahr des Lesens
Schlechte Zeiten erfordern Entbehrungen - doch Bücher boomen trotzdem. Zum Beispiel als Hoffnungsträger.
2009 wird ein miserables Jahr, die Armut wird größer, die Staatsverschuldung steigt, das Misstrauen in die Banken wächst, Entlassungen stehen an, politische Hasardeure werden leichtes Spiel haben. Schlechte Zeiten aber sind gute Zeiten für die Literatur.
Wenn die Leute in wirtschaftlich guten Zeiten viel Mist kaufen, so haben sie in schlechten Zeiten kein Geld mehr für Mist. Mit Mist sind hier nicht unbedingt Arztromane gemeint, die neuerdings ja vom Shoppingromanen verdrängt wurden. Auch in schlechten Zeiten leben die Kirche, die Wunderheiler und Ildikó von Kürthy nicht schlecht, Hoffnung ist eine gute Ware. Nein, Mist bezeichnet das Mittelmaß, unwichtige Romane und Erzählungen, die der Kritik und dem Publikum so lange für "wichtig", "imposant" und "überragend" gelten, wie man es sich leisten kann, über schlecht Nachgemachtes und Überflüssiges zu schwadronieren.
Schwadroneure aber, die einem nicht einmal mehr Hoffnung verkaufen, sondern nur heiße Luft, sind nicht gefragt in schwierigen Zeiten. Das kommende wird also ein Jahr, in dem sich das Publikum und erst dann die Kritik (Nachfrage schafft Angebot) auf das Wesentliche konzentrieren, vor allem auf Lyrik, Drama und Erzählungen, allesamt kurze Formen, mit denen man schnell auf die Krise reagieren kann. Der gute Roman wird es im Jahr 2009 noch schwer haben, doch auch ihm wird es bald besser gehen. Denn die Bevölkerung von Ländern, denen es wirtschaftlich schlecht geht, wird oft geradezu biblioman, sie hält sich an den Texten fest, egal ob auf dem E-Book-Reader, dem iPhone oder auf Papier gelesen. Arme Völker kaufen ihren Kindern Kinderbücher, wenn dann noch Geld übrig ist, kaufen sie Bücher für Erwachsene, wenn nichts mehr da ist, stürmen sie die Bibliotheken.
Denn die Kinder sollen es besser haben, und man selbst will es besser haben, und wenn es nicht besser wird, so will man die Situation zumindest besser verstehen. Gute Literatur hilft dabei. Darum wird 2009 ein gutes Jahr für die Literatur. Nicht aber unbedingt auch für die Verlage. JÖRG SUNDERMEIER
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