Kommentar Grubenunglück und Erdogan: Als Nächstes ein Atomkraftwerk?
Gefährlicher als Erdogans Jähzorn, der sich beim Umgang mit dem Unglück zeigt, ist sein Glaube an Wachstum um jeden Preis. Die nächste Katastrophe bahnt sich an.
D ie Regierung spart nicht nur an der Sicherheit, sondern auch am Mitgefühl: Das ist die Botschaft, die von Erdogans Auftritt in Soma ausging. Am Ort des wohl größten Grubenunglücks in der türkischen Geschichte relativierte der Premier die Tragödie nicht nur mit unpassenden Vergleichen, sondern lieferte sich auch noch ein unwürdiges Handgemenge. Immer öfter zeigt sich Erdogan bei solchen Gelegenheiten als der aggressive Halbstarke aus Kasimpasa, als der er in seiner Jugend galt.
Gefährlicher als sein Jähzorn ist aber sein ungebremster Glaube an Wachstum um jeden Preis. Bei den Kommunalwahlen im März konnte er mit seinem Image als Baumeister des türkischen Wirtschaftswunders noch einmal punkten. Das Grubenunglück in Soma hat klargemacht, wer die Kosten trägt: die einfachen Arbeiter, an deren Schutz gespart wird, weshalb die Zahl der Arbeitsunfälle in der Türkei seit Jahren dramatisch hoch ist. Die Regierung, die vor drei Wochen eine Untersuchung der Sicherheitsmängel in der Unglücksgrube abgeblockt hat, trägt eine kräftige Mitschuld.
Der rücksichtlose Umgang mit Mensch und Natur ist der Grund, warum sich einige der größten Proteste in der Türkei zuletzt an umstrittenen Bauprojekten entzündeten: an einem geplanten Staudamm in Hasankeyf im Südosten des Landes und an der Bebauung des Geziparks in Istanbul als Symbol einer rein profitorientierten Stadtplanung.
Demnächst will die türkische Regierung auch noch zwei Atomkraftwerke bauen, um den wachsenden Energiehunger des Landes zu stillen – in Sinop an der Schwarzmeerküste und in Akkuyu am Mittelmeer, wo das Erdbebenrisiko besonders hoch ist. Kommt noch der laxe Umgang mit Sicherheitsstandards dazu, bahnt sich hier die nächste Katastrophe an. Europa sollte alarmiert sein.
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