Kommentar Gedenken in Rostock: Deutschland schaut weg
Joachim Gauck forderte beim Gedenken in Rostock, das Pogrom „immer wieder zu betrachten“. Doch ARD und ZDF zogen es vor, das Ereignis großzügig zu übergehen.
S chön wär’s. Mit Verve hat Joachim Gauck am Sonntag in Rostock-Lichtenhagen von der Verpflichtung gesprochen, die Krawalle von vor zwanzig Jahren nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, sondern sie „immer wieder zu betrachten, zu analysieren, um aus den Fehlern und Versäumnissen von damals zu lernen“. Fragt sich, an wen er dabei gedacht hat.
An den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten ging sein Appell jedenfalls vorbei. Denn ARD und ZDF zogen es mehrheitlich vor, das Gedenken an das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen großzügig zu übergehen. Hätte der Spartensender Phoenix dem Anlass nicht vor ein paar Tagen einen ganzen Themenabend gewidmet – der Totalausfall wäre komplett gewesen.
Den meisten öffentlich-rechtlichen Sendern hingegen war das Thema keinen eigenen Sendeplatz wert. Nicht mal der Norddeutsche Rundfunk hielt es für nötig, auch nur die Sonntagsrede des Bundespräsidenten zu übertragen. Und Günther Jauch wollte an diesem Tag lieber mit der konservativen Publizistin Gertrud Höhler über deren Brass auf Angela Merkel plaudern, als Lehren aus Rostock-Lichtenhagen zu ziehen.
ist Redakteur im Inlandsressort der taz.
Schlimm ist, dass er damit die wichtigste Polit-Talkshow im deutschen Fernsehen mal wieder zur schnöden Werbeplattform für ein peinliches Krawall-Buch degradierte. Schlimmer ist, dass damit mal wieder eine Gelegenheit verpasst wurde, über rassistisches Denken und Handeln in Deutschland zu sprechen.
Der Bundespräsident hat in Rostock über die „Angst vor dem Fremden“ gesprochen, die sich bei manchen bis zum Hass steigern könne, und darüber, warum solche Gefühle in Ostdeutschland besonders verbreitet sind. Das Wort Rassismus vermied er, und über die berechtigten Ängste und die Wut – etwa von Migranten – verlor er, wie die öffentlich-rechtlichen Medien, dagegen kaum ein Wort.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!