Kommentar Frauenprotest gegen Erdoğan: Hayır!
Schwester, Tochter, Ehefrau, Mutter – mehr nicht. In vielen türkischen Städten demonstrieren Frauen gegen reaktionäre Einstellungen der AKP. Gut so.
E rdoğans AKP-Regierung hat allen Grund, sich zu fürchten. Im Vorfeld des Verfassungsreferendums im April ist – allen Drohungen, gewaltsamen Übergriffen, Verhaftungen und hässlichen Hetzkampagnen zum Trotz – ein lautes, deutliches „Nein“ zu vernehmen. Und zwar allen voran von Frauen.
Sie nutzten den 8. März in diesem Jahr nicht nur dazu, für Gleichberechtigung und gegen Frauengewalt auf die Straße zu gehen. Sondern auch, um explizit für ein Nein zur neuen Verfassung zu werben, die noch mehr Macht dort konzentrieren will, wo sowieso schon zu viel Entscheidungsgewalt liegt: beim obersten Patriarchen, dem Staatspräsidenten.
Frauen sollten weniger lachen, Abtreibung sei Mord, Schwangere dürften sich nicht in der Öffentlichkeit zeigen: eine frauenfeindliche Parole nach der anderen haben die AKP und ihr nahestehende Prediger in den vergangenen Jahren von sich gegeben. Insofern ist es unerheblich, dass im neuen Verfassungsentwurf nichts Wortwörtliches zu Frauenrechten steht. Es langt schon, dass die Macht des Parlaments dem Staatsoberhaupt übertragen werden soll. Einem Mann, für den die Frau politisch nur als Schwester, Tochter, Ehefrau oder Mutter existiert.
Überhaupt ist die Frau der AKP nur dann wichtig, wenn sie sich für die eigenen Zwecke instrumentalisieren lässt. So spricht Staatspräsident Erdoğan dieser Tage wieder häufiger von der Einführung der Todesstrafe. Als Rechtfertigung muss sexuelle Gewalt gegen Frauen herhalten. In sozialen Netzwerken argumentieren Verfechter der Todesstrafe: Vergewaltiger müsse man hängen.
Und noch bevor über die neue Verfassung abgestimmt wird, hat die Regierung schon damit begonnen, Frauen in der Politik zu entmachten. So sitzt die einzige Frau, die eine Fraktion im türkischen Parlament leitet, HDP-Ko-Chefin Figen Yüksekdağ, seit Monaten hinter Gittern. Und nicht nur das: Kürzlich wurde ihr der Abgeordnetenstatus aberkannt, ohne dass es eine gesetzliche Grundlage dafür gäbe.
In fast allen türkischen Städten wurde am 8. März deshalb marschiert. Im Südosten waren die Demos teilweise nicht genehmigt, wegen des Ausnahmezustands. Doch das hielt die Frauen nicht davon ab, mit Transparenten auf die Straße zu gehen und den Polizisten ihren knappen Slogan entgegenzubrüllen: „Hayır!“ – Nein!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Jeder fünfte Schüler psychisch belastet
Wo bleibt der Krisengipfel?
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern