Kommentar Folter in der Türkei: Falsche Zurückhaltung
Die Folter in der Türkei ist zurück. Die EU muss darauf genauso entschieden reagieren wie auf die Debatte über die Wiedereinführung der Todesstrafe.
M it dem Bericht von Human Rights Watch bestätigt sich, was angesichts einzelner Meldungen und bekannt gewordenen Vorkommnisse bereits befürchtet wurde: Die Folter in der Türkei ist zurück.
Physisches und psychisches Leid zuzufügen war bis kurz nach der Jahrtausendwende vor allem im Umgang mit kurdischen Gefangenen an der Tagesordnung. Es ist ein frühes Verdienst der AKP und des heutigen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan gewesen, parallel zur Entspannung in den kurdischen Gebieten auch die Folter als Verhörpraxis der Polizei zu ächten.
Doch als der Friedensprozesses mit der kurdischen Arbeiterpartei PKK abbrach, hat sich das Blatt schon Mitte des letzten Jahres gegenüber den Kurden gewendet. Und jetzt, nach dem Putschversuch vom 15. Juli, ist Folter offenbar gegenüber allen Untersuchungsgefangenen im Gewahrsam der Antiterrorpolizei wieder die Regel. Schläge, Schlafentzug, sexuelle Nötigung – all das wird wieder systematisch angewandt.
Die Regierung bestreitet die Vorwürfe und redet von einzelnen Verfehlungen. Sie ist bemüht, den Ausnahmezustand vor allem mit Verweis auf Frankreich als normale europäische Antiterrormaßnahme darzustellen. Der französische Außenminister, am Montag zu Besuch in Ankara, hat dagegen nur schwach protestiert. Das ist absolut zu wenig. Die EU und die einzelnen europäischen Länder müssen auf Folter genauso massiv reagieren wie auf die Debatte über die Wiedereinführung der Todesstrafe.
Das kann aber nicht heißen, das Gespräch mit der türkischen Regierung abzubrechen. An diesem Punkt treffen sich derzeit fatalerweise Rechte und einige Linke, konkret CSU und Linkspartei. Die einen, weil sie die Türkei noch nie als EU-Mitglied wollten, die anderen aus echter Empörung. Aber Empörung nutzt nichts, wenn man keinen Druck machen kann. Und Druck ist nur möglich, wenn man im Gespräch bleibt und gegebenenfalls etwas zu bieten hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste