Kommentar Flugzeugabsturz: Das Dilemma mit der Sicherheit
Der Copilot hat Flug 4U 9525 absichtlich abstürzen lassen. Der ständige Versuch, Risiken auszuschließen, schafft am Ende neue Risiken.
E ntsetzlicher hat man sich das Geschehen an Bord des Germanwings-Fluges gar nicht vorstellen können. Kein technischer Defekt war die Ursache für den Absturz mit 150 Toten, sondern menschliches Versagen. Nach derzeitigem Stand der Ermittlungen hat der Copilot die Maschine absichtlich gegen das Bergmassiv in den Alpen krachen lassen. Aus welchem Grund auch immer. Was bleibt uns da noch? Die Angst des Passagiers vor dem Piloten?
Nach dem Terroranschlag im September 2001 wurden die Sicherheitsanforderungen für Flugzeuge extrem erhöht. Dank umfangreicher Kontrollen der Passagiere vor dem Flug ist die Wahrscheinlichkeit einer Attacke aus dem Passagierraum auf den Piloten auf annähernd null gesunken. Das ist ohne Zweifel ein positiver Effekt. Und doch zeigt sich hier das Dilemma sämtlicher Sicherheitspolitik.
Denn nur aufgrund einer das Risiko senkenden Bestimmung hat der Copilot von Flug 4U 9525 seinen unbegreiflichen Plan durchführen können. Er konnte die Tür zum Cockpit unwiderruflich verriegeln, um eine Störung aus dem Passagierraum zu verhindern. Eine Abwehrstrategie, die wunderbar funktioniert – solange der Pilot zu den Guten gehört. Dass auch das Gegenteil der Fall sein kann, hat entweder niemand bedacht oder es wurde bewusst in Kauf genommen.
Das klingt entsetzlich, ist aber nur pragmatisch. Denn irgendwo muss man eine Grenze ziehen. Zwar könnte man das Risiko Mensch weiter minimieren, indem man Piloten eines Tages komplett durch Computer ersetzt. Aber wollen wir das? Sind Computer nicht auch fehleranfällig? Und werden die letztlich nicht doch wieder von einem Menschen programmiert, der mit oder ohne Absicht Entscheidungen trifft, die mit Sicherheit in die Katastrophe führen?
Oder verzichten wir aus Angst vor dem Risiko „Pilot“ komplett auf Flugreisen – und steigen auf das Auto um, das zwar statistisch gesehen viel gefährlicher ist, bei dem wir aber wenigstens das Steuer selbst in der Hand haben? Auf all diese Fragen gibt es keine endgültige Antwort. Wenn überhaupt, muss sie jeder Einzelne für sich selbst finden.
Vor allem bleibt – wieder einmal – die Erkenntnis, dass es eine letztliche Sicherheit nicht geben wird, nicht geben kann. Schlimmer noch, dass der ständige Versuch, Risiken auszuschließen, am Ende sogar erst neue Risiken schafft. Das ist das Dilemma, mit dem wir leben müssen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren