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Kommentar FlüchtlingspolitikStellt endlich Visa aus!

Eric Bonse
Kommentar von Eric Bonse

Die Betroffenheit über die Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer ist groß. Trotzdem beharrt die große Politik auf der „Festung Europa“. Das ist brutal und zynisch.

12. April 2015: Flüchtlinge in einem lecken Boot auf dem Mittelmeer. Bild: dpa

W ie viele Menschen müssen sterben, damit die EU einen Sondergipfel einberuft? Seit Montag kennen wir die brutale und zynische Antwort: 1.000 müssen es schon sein. Denn noch wenige Tage zuvor, als „nur“ 700 Flüchtlinge elendig im Mittelmeer ersoffen waren, drückten sich Brüssel und Berlin vor der Verantwortung.

Kommissionschef Jean-Claude Juncker wollte ebenso wenig mit dem Problem zu tun haben wie Ratspräsident Donald Tusk oder Bundeskanzlerin Angela Merkel. Nun haben sie ihre Meinung geändert, endlich. Am Donnerstag wird es also einen EU-Sondergipfel zur „Flüchtlingsproblematik“ geben, ein Zehn-Punkte-Plan liegt bereits vor.

Doch ein Grund zur Entwarnung ist das nicht. Ein echtes, ernst gemeintes Umdenken zeichnet sich nämlich keineswegs ab. Das würde nämlich voraussetzen, die „Festung Europa“ in Frage zu stellen und legale, sichere Wege der Einwanderung zu erschließen. Genau das ist jedoch bisher nicht geplant. Die EU will zwar mehr für die Rettung Schiffbrüchiger tun, doch gleichzeitig die umstrittene Grenzschutzagentur Frontex aufrüsten. Sie soll künftig sogar Schleuser-Boote vernichten.

Die Schleuser werden zu Feinden erklärt, ein ganzes Arsenal soll ihnen das schmutzige Handwerk legen. Kriminalisierung und Militarisierung werden das Problem jedoch nicht lösen, denn die Ursachen liegen woanders: in Elend und Krieg jenseits des Mittelmeers. Darauf hat die EU aber keine Antwort. Eine weitere bittere Einsicht kommt hinzu: In diesem Fall ist die EU nicht die Lösung, sondern Teil des Problems.

Mit ihren restriktiven Asyl- und Einwanderungsregeln hat sie die Menschen erst auf die Boote getrieben, denn auf legalem Wege einreisen können sie nicht. Mit ihren Gipfelprozeduren und Abstimmungsverfahren hat sie es erst möglich gemacht, dass Deutschland und andere Nordländer die betroffenen Staaten am Mittelmeer, etwa Italien und Malta, ausbremsen und lähmen konnten. Die wollten nämlich schon vor zwei Jahren handeln, bei der ersten großen Flüchtlingskatastrophe vor Lampedusa.

Doch Merkel sagte Nein. Das wird die Kanzlerin diesmal zwar nicht mehr wagen. Der öffentliche Druck ist zu groß, dieser Sondergipfel muss Ergebnisse liefern. Doch humaner wird Europa deshalb nicht werden. Bestenfalls ein bisschen weniger brutal und zynisch.

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Eric Bonse
EU-Korrespondent
Europäer aus dem Rheinland, EU-Experte wider Willen (es ist kompliziert...). Hat in Hamburg Politikwissenschaft studiert, ging danach als freier Journalist nach Paris und Brüssel. Eric Bonse betreibt den Blog „Lost in EUrope“ (lostineu.eu). Die besten Beiträge erscheinen auch auf seinem taz-Blog
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8 Kommentare

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  • "Stellt endlich Visa aus!"

     

    Wie viele und an wen?

  • Wenn Europa jetzt Verantwortung für die Zustände in Afrika übernehmen soll dann sind wir im Grunde genau bei der Aussage die das Elend des Kolonialismus überhaupt erst moralisch untermauert hat: "Die Afrikaner schaffen es nicht alleine, wir hingegen wissen wie es geht, also müssen wir handeln - Notfalls auch gegen die Interessen der örtlichen Regierungen und Warlords." Will das wirklich irgendwer?

    Ansonsten treibt die EU nicht die Flüchtlinge in die Boote, es sind die afrikanischen Staaten/Verhältnisse die dies tun. Wer die EU brutal und zynisch nennt sollte also im gleichen Atemzug erwähnen dass sie dennoch ein Engel gegen die Afrikanischen Staaten ist - oder derartige Verallgemeinerungen am besten gleich sein lassen.

    Und die "Gipfelprozeduren" die hier angeprangert werden sind der demokratische Prozess. Wenn hier ein diktiertes und zeitnahes Flüchtlingsrettungsprogramm gefordert wird, dann sollte man aber auch so ehrlich sein und bei der nächsten Debatte dass die EU nicht demokratisch genug sei die Hand heben und " ...und das ist auch gut so" sagen.

    • 1G
      19122 (Profil gelöscht)
      @Questor:

      Sehr guter Kommentar! Hilfe zur Selbsthilfe wäre angesagt, aber die gibt es nicht, weil sie nur mit Waffengewalt durchsetzbar wäre, was in Duckmäuserdeutschland Tabu ist. Boko Haram und IS bauen völlig ungestört ihre Gottesstaaten auf, wir nehmen die Vertriebenen auf. Dieses unsägliche Prinzip wird durch jeden aufgenommenen Flüchtling weiter zementiert, da er dem örtlichen Widerstand nicht mehr zur Verfügung steht.

  • Danke für den Kommentar. Das Verhalten der europäischen Politiker erfüllt längst den Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung mit Todesfolge. Ich mache mir keine Illusionen, dass es deswegen zu Gerichtsverfahren kommt. Aber im historischen Rückblick werden die Toten im Mittelmeer genauso mit Merkel, Gauck etc. in Zusammenhang gebracht werden wie die Toten an der Mauer mit Honnecker und Krenz.

    • @Lazy tiger:

      "Das Verhalten der europäischen Politiker erfüllt längst den Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung mit Todesfolge."

       

      Nein, denn:

      "Das deutsche Strafrecht gilt für Taten, die im Inland begangen werden." (StGB 3)

       

      "Ich mache mir keine Illusionen, dass es deswegen zu Gerichtsverfahren kommt."

       

      Angesichts der Rechtslage sehr weise.

       

      Empörung wirkt einfach mitreissender, wenn sie mit ein wenig Sachkenntnis einhergeht.

      • @Marzipan:

        §7 (2) StGB

        .... ...Für andere Taten, die im Ausland begangen werden, gilt das deutsche Strafrecht, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt und wenn der Täter

         

        1.

        zur Zeit der Tat Deutscher war oder es nach der Tat geworden ist oder....

      • @Marzipan:

        Immerhin bestreiten Sie nicht, dass es sich beim Verhalten der europäischen Politiker um unterlassene Hilfeleistung mit Todesfolge handelt. Und das ist ein Makel, der unabhängig von strafrechtlichen Konsequenzen an unseren Politikern hängen bleiben wird.

  • Es geht nicht um Einwanderung, sondern um Pflicht zur Hilfeleistung und um Asyl insbesondere auch für viele Syrer, aber auch Somalia und andere Teile Afrikas sind ist nicht als vor Krieg, Mord und Totschlag sicheres Gebiet einzustufen..

     

    Es ist übrigens gar nicht so lange her, als darüber berichtet wurde, dass die MS Deutschland, auch als das "Traumschiff" bekannt, darunter leiden würde, nicht ausgelastet zu sein.

     

    Kapaziäten, um die Menschen aus Libyen sicher herauszuholen müssten also vorhanden sein.