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Kommentar Flüchtlinge im MittelmeerZynische Belege aus Lampedusa

Michael Braun
Kommentar von Michael Braun

Für die Ausrufung des Notstandes in Italien besteht kein Anlass. Europa könnte den Flüchtlingen ohne weiteres helfen, wenn es nur wollte.

W ieder einmal herrscht "Notstand" in Lampedusa. In bloß zwei Tagen sind an die 900 Flüchtlinge in schiffbrüchigen Kähnen auf der Insel südlich von Sizilien eingetroffen, wieder ist das dortige Flüchtlingslager mit 2.000 Insassen heillos überfüllt.

So geht es jeden Sommer, wenn das Meer ruhig und die Überfahrt von der libyschen Küste eine halbwegs kalkulierbare Sache ist. Und jeden Sommer schaffen die Bilder, die Nachrichten aus Lampedusa - ganz genauso wie die von den Kanarischen Inseln - die Gelegenheit, den Chor vom Notstand, vom Drama an Europas Süd-Vorposten anzustimmen. Gemeint ist dabei immer: "Wir" sind da einem Notstand ausgesetzt, dem "Anbranden" einer enormen Flüchtlings-"Welle".

Nichts könnte unwahrer sein. Jahr für Jahr sind es lächerliche 20.000 Menschen, die den Weg über die Straße von Sizilien schaffen; auch dieses Jahr wieder kamen bis Ende Juli gerade einmal 11.000 Bootsflüchtlinge an. Das ist kein Drama - das ist ein Klacks für das reiche Europa, für ein Europa, das es zugleich ohne das kleinste logistische Problem schafft, auf Lampedusa zehntausende, auf den Kanaren gleich Millionen Touristen "unterzubringen" und zu "versorgen". Je nach Jahr kommen bloß 4 bis 12 Prozent der boat-people auf dem Seeweg nach Italien; der übergroße Rest reist ganz unspektakulär mit Touristenvisum ein.

Nicht wir erleben da ein Drama - sondern die, die in den Booten sitzen, die ihr Leben riskieren, um Bürgerkriegen, Armut, Perspektivlosigkeit zu entfliehen. Monat für Monat bilanziert zum Beispiel die Organisation "Fortress Europe" die Zahl derer, die im Mittelmeer und im Atlantik umgekommen sind; im Juli summierten sich allein die dokumentierten Todesfälle auf 158.

Dieses Drama steht aber nicht auf der europäischen Agenda. "Kriminellen Schleppern das Handwerk legen" heißt zwar der politische Schlachtruf bei uns - doch wenn es darum ginge, hätte schon lange eine Diskussion über sichere Einreisewege eingesetzt. Stattdessen verfolgt Europa ein anderes Ziel: den Flüchtlingen jeden Zugang zu versperren. Dafür taugen dann auch die "Notstands"-Bilder aus Lampedusa - als zynischer Beleg dafür, dass noch mehr Abschottung nötig ist.

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Michael Braun
Auslandskorrespondent Italien
Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.
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2 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • M
    Marga

    ....alle, die lautstark sich für die Flüchtlinge aus Afrika (Lampedusa, Melilla, Kanaren ) einsetzen, sollten mindestens einen dieser Migranten in ihren privaten Haushalt k o s t e n l o s aufnehmen und ernähren....vor allem die großmäuligen Politiker, die scheinheilige Kirche usw usw usw....dann wäre das Problem doch gelöst....oder ???

     

    Wenn ich an meine Situation denke...

    wegrationalisiert aus einem jahrzehntelangen Berufsleben....hineingeschubst worden in Alg2....herausgerechnet aus der Arbeitslosenzahl (wegen 58erRegelung) inzwischen durch mehrere Krankheiten schwerbehindert und kann trotzdem noch nicht in Rente, weil sonst Abzüge gemacht werden von der sehr kleinen Rente....

    ....also...wer hilft mir???

    ....muss unerbittlich darauf schauen, dass ich nicht zuviel Heizkosten und Strom verbrauche....da unsere Regierung vorschreibt, wieviel davon verbraucht werden darf als sogenannter (Schimpfwort !) Harz-4-Empfänger...

    meine Wohnung ist nicht isoliert und verbraucht irre viel Heizkosten...und das Warmwasser (und alle Stromkosten) muss ein "Alg2-Bezieher" = HARZ-4-Empfänger !!! auch aus dem sogenannten 351Euro-Riesenbetrag monatlich finanzieren...also, es gibt auch in unserem sogenannten Wohlstandsdeutschland genug arme Menschen und Früh(Rentner) die durchaus keine Sozialschmarotzer sind...

    (jetzt können Sie entscheiden, ob sie auf diese meine Zeilen reagieren oder ob meine Nachricht wegen Desinteresse gelöscht wird...weil ein älterer kranker Mensch in Deutschland sowieso keinen Nutzen mehr für die Allgemeinheit bringen kann....aber ein armer Migrant aus Afrika eine super-gute Arbeitskraft für jeden Betrieb in Europa ist....vor allem für die geldgierigen Firmenbosse...

    MfG

  • A
    anke

    'Woher diese Panik?', habe ich mich schon oft gefragt, wenn mal wieder eines der kleinen Boote "entladen" wurde an einem europäischen Strand. Inzwischen glaube ich es zu ahnen: Die afrikanischen Boatpeople haben nicht nur kein Geld und sehr wenig Ahnung, sie haben leider auch keine "Volksvertreter".

     

    Sämtliche europäische Staaten sind zwar mehr oder weniger demokratisch, sie sind allerdings auch allesamt durch und durch hierarchisch strukturiert. Ihre "innere Ordnung" wird vor allem dadurch aufrecht erhalten, dass man "oben" Regeln aufstellt, die "unten" befolgt werden. Voraussetzung dafür, dass das Prinzip funktioniert, ist, dass sowohl "oben" als auch "unten" von einer (vielleicht nicht so ganz perfekten aber immerhin vorhandenen) gemeinsamen Grundlage ausgegangen wird: der westlichen Kultur eben. Man glaubt, einander zu verstehen. Deswegen glaubt man auch, einander (in gewissem Umfang) beeinflussen zu können und also einander vertrauen zu dürfen. Einwanderer aus anderen Kulturkreisen treffen in Europa fast nirgendwo auf der mittleren oder gar oberen Ebene auf "ihresgleichen". Allenfalls empfielt man ihnen einen Ausländerbeauftragten ohne Kompetenz und Budget. Sie fühlen sich also ganz zu Recht nicht im mindesten repräsentiert und meinen deswegen, ihr Geschick ausschließlich in die eigenen, mitunter tatsächlich recht ungeübten Hände nehmen zu müssen. Umgekehrt werden die Neuzugänge auch von den Einheimischen mit starkem Misstrauen beäugt, sind sie doch in die (wie sagt man so schön?) gewachsenen Strukturen überhaupt nicht eingebunden. Und wer nicht regiert wird, ist und bleibt verdächtig in den Augen der Allgemeinheit - allen von bunt frisierten Bürgerkindern bewohnten Autonomen Zentren zum Trotz.

     

    Und nun? Tja, gute Frage, wo kaum eine Hand voll Ossis einen eigenen Weg gefunden haben, sich auf Dauer ganz weit oben einzubringen. Mag sein, wir brauchen einen eigenen Obama. Wie ich uns aber kenne, müsste das dann schon einer sein, von dem alle Welt weiß, dass er in vierter Generation hausgemacht ist.