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Kommentar Flüchtlinge am EurotunnelEine völlig perverse Politik

Rudolf Balmer
Kommentar von Rudolf Balmer

In Europa wird viel von Menschenwürde gesprochen und Asyl nur unter Lebensgefahr gewährt. Für diese Politik ist Calais das traurige Symbol.

Warten auf die Überquerung: Flüchtlinge an einer Autobahn in Calais. Foto: ap

G roßbritannien und Frankreich investieren ein paar zusätzliche Millionen in die verstärkte Sicherung der Zugänge zum Eurotunnel unter dem Ärmelkanal. Auf beiden Seiten weiß man, dass auch das die Migranten keineswegs vom Versuch einer illegalen Überquerung abhalten wird. Und wie seit Jahren werden es einige früher oder später auch nach Großbritannien schaffen.

Nur: Das Risiko steigt fast proportional zur Höhe der Zäune und Mauern, die die Anlegestellen für die Fähren sowie die Tunneleinfahrt umgeben.

Die Migranten sind, und das ist noch vorsichtig ausgedrückt, nicht willkommen. Großbritannien verlangt von Frankreich, alles zu tun, um den Flüchtlingsstrom zu stoppen. Umgekehrt wäre es Frankreich recht, wenn die Briten mehr unternähmen, um für die Menschen aus den Krisengebieten und Elendsvierteln der Welt weniger attraktiv zu sein. Zudem setzen fremdenfeindliche Populisten auf beiden Seiten die Behörden politisch unter Druck.

Der Zynismus an beiden Ufern des Ärmelkanals erreicht nun einen neuen Höhepunkt. Offiziell machen französische Polizisten Jagd auf die Flüchtlinge, die versuchen, den Ärmelkanal als blinde Passagiere zu überqueren. Den Behörden bleibt nichts anderes übrig, als ein Flüchtlingslager mit rund 3.000 Menschen in der Nähe der Stadt Calais und nur ein paar hundert Meter vom Eurotunnel entfernt zu dulden. Die Briten protestieren zwar gegen den zunehmenden Ansturm von Flüchtlingen, doch ihre Wirtschaft profitiert schamlos von den billigen Schwarzarbeitern und der Selektion am Kanal: denn nur den Besten und Stärksten gelingt die illegale Einreise.

Das Nadelöhr von Calais wird damit zum Symbol einer völlig perversen Flüchtlingspolitik in Europa, wo viel von Menschenwürde gesprochen wird, während die Betroffenen ihr ­Leben riskieren – für ein Asylrecht, das alle europäischen Länder eigentlich gesetzlich garantieren.

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Rudolf Balmer
Auslandskorrespondent Frankreich
Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.
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14 Kommentare

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  • "Aber die ollen Indianer waren halt nicht hochgerüstet genug, um mit ihren Flotten die europäischen Küsten zu bewachen, um den kriminellen Schlepperbanden das Handwerk zu legen"

    Es hätte völlig ausgereicht wenn die Indianer die ersten Siedler nicht durchgefüttert hätten. Die wären im ersten Winter komplett verreckt und hätten keine Nachrichten über die dummen Ureinwohner, die man nach Belieben melken (und später ausrotten) kann, nach Europa schicken können. Es wäre keiner mehr gekommen.

     

    Ob Einwanderer jemals "Grundrechte, Menschlichkeit, Solidarität" kannten oder nur einen Vorteil für sich und ihre Gruppe herausschlagen wollten...auch eine Frage die nicht diskutiert wird.

  • Es gibt einen Konsens Menschen nicht wegen ihrer Rasse, Religion, Geschlecht oder Alter zu diskriminieren. Das erscheint uns als Inbegriff der Menschenwürde fest zu stehen.

    Gleichzeitig gibt es in den Staaten einen Konsens, dass Menschen wegen ihrer Nationalität diskriminiert werden. Wenn in grösseren Gebieten diese Diskriminierung aufgehoben wird, so führt das dazu dass die Migrantenströme anschwellen und eine Gegenwehr entsteht - so z.B. in der Schweiz mit dem europaweit höchsten Anteil an Migrant_innen (nicht Flüchtlingen).

    Die Diskriminierung der anderen Nationalitäten wird mit einem Recht eines Volkes auf ein bestimmtes Gebiet begründet.

    Für die Konservativen ist die Welt einfach: Sie finden die Diskriminierung wegen der Nationalität uneingeschränkt in Ordnung.

    Die Linke dagegen kritisiert diese Diskriminierung auf der einen Seite, forciert aber gerade in Blick auf indigene Völker ein Recht eines Volkes auf ein bestimmtes Gebiet.

    Beides passt nicht zusammen - ausser unter einem opportunistischem Blickwinkel.

    • @Velofisch:

      Ich sehe da keine Diskriminierung der anderen Nationalitäten.

       

      Zum einen funktioniert eine Demokratie nun mal nur so.

       

      Zum anderen ist es so, das man seine Nationalitäten, und damit auch einen wesentlichen Bestandteil seiner Identität durchaus wechseln kann. Bei der "Rasse" wie sie es nennen, oder dem Alter ist das nicht möglich.

  • Aus meiner Sicht ist das wie bei der Produktion von Waren. Global betrachtet. Einen Gedanken einmal dahingehend zu verschwenden, das unser Wohlstand und unser "ewiges Wachstum" zu großen Teilen auf den Deregulierungsstrategien dieser Politik und wirtschaftlichen Interessen seit vielen Jahrzehnten fusst, kommen einfach zu wenige im Moment.

    Die "Abfälle" von Produktion sind nachrangig möglichst für Peanuts zu entsorgen. Unsere Gesellschaften interessiert es im Detail einen feuchten Kehrwisch, warum 60 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht sind. Von daher kann ich den Begriff einer "perversen Flüchtlingspolitik" durchaus nachvollziehen. Lösungen? U. a. den Kapitalinteressen abschwören so gut es eben geht. Und den Gedanken des humanitären aufnehmen wie in die Breite des täglichen Lebens denken, das wir alle auf diesem Planeten zu Gast sind.

  • Ja. Dise Politik ist wirklich völlig pervers und es kann einem bei der in der ethischen Bedenkenlosigkeit liegenden Härte eiskalt den Rücken runterlaufen. Die Härte dieser Politik bestritt die Kanzlerin gegenüber dem Flüchtlingsmädchen Reem ja nicht. eher hätte sie noch einen drauflegen können: Wir hatten gehofft, dass nach der Einstellung des Programms Mare Nostrum und dem Ertrinken von Flüchtlingen die nächsten Flüchtlinge abgeschreckt würden!

     

    Aber der politische Instinkt der Kanzlerin brachte es mit sich, dass sie zur Optimierung der Prozente der CDU noch einmal eine Kehrtwende zu unverbindlichen Gesprächen über Einwanderung schaffte.

  • Was heißt hier "perverse Flüchtlingspolitik"? Sind Sie Befürworter einer illegalen oder unbegrenzten und ungefilterteten Einwanderung? Damit ist den Flüchtlingen überhaupt nicht gedient, die oftmals nicht aus politischen, sondern aus wirtschaftlichen Gründen ihre Heimatländer verlassen und in den Gastländern auf eine ihnen feindlich gesinnte einheimische Bevölkerung stoßen. Bestes Negativbeispiel ist Deutschland, wo jeden Tag irgendwelche Anschläge auf Flüchtlingsheime ausgeübt werden und die Proteste nicht abreißen. Siehe auch die katastrophale Situation in den Bundesländern, die überhaupt nicht logistisch darauf vorbereitet sind, Flüchtlinge zu beherbergen. Sie meckern nur. Was schlagen Sie denn den europäischen Regierungen vor? Was wäre denn Ihrer Meinung nach die richtige Flüchtlingspolitik?

    • 9G
      970 (Profil gelöscht)
      @Nicky Arnstein:

      Ist Wirtschaft nicht gleich Politik?

    • @Nicky Arnstein:

      Und wenn jemand aus wirtschaftlichen Interessen in ein wohlhabendes Land will, ist das nicht nachvollziehbar? Warum sollen diejenigen, die im Dreck geboren wurden, nicht die gleichen Möglichkeiten bekommen, wie diejenigen, die in einem reichen Land geboren wurden? Im Sport wären solche Regeln undenkbar.

       

      Wer sich wirtschaftlich als Global Player aufspielt, muss auch soziale Verantwortung übernehmen. Man kann sich nicht nur die Rosinen heraus picken.

      • @Joseph Tannhuber:

        "Und wenn jemand aus wirtschaftlichen Interessen in ein wohlhabendes Land will, ist das nicht nachvollziehbar?"

        Doch ist es. Aber dann obliegt er den Einwanderungsbestimmungen des Landes, in dem er leben und arbeiten möchte. Ist es nicht nachvollziehbar, dass sich jedes Land das Recht herausnimmt, seine Einwanderungsbestimmungen festzulegen? Man sollte also zwischen Einwanderern und Flüchtlingen unterscheiden.

      • @Joseph Tannhuber:

        Doch, genau darum geht's: sich die Rosinen rauszupicken. Gut ausgebildete Leute werden gar gesucht und nicht abgewehrt.

        Und @Nickyarnstein: das Verlassen der Heimat aus wirtschaftlichen Gründen hat es schon immer gegeben. Aber die ollen Indianer waren halt nicht hochgerüstet genug, um mit ihren Flotten die europäischen Küsten zu bewachen, um den kriminellen Schlepperbanden das Handwerk zu legen, so wie man das damals mit den DDR-Schleppern gemacht hat.

        Kommt Leute, es geht immer nur darum, was uns persönlich zum Vorteil gereicht, Grundrechte, Menschlichkeit, Solidarität - pfeifen wir drauf. Wir wollen Rosinen und wir werden sie kriegen, bis sie uns im Hals explodieren.

        • @Stechpalme:

          " das Verlassen der Heimat aus wirtschaftlichen Gründen hat es schon immer gegeben." Bestreitet niemand. Natürlich wäre es schön, in einer Welt mit offenen Grenzen zu leben, in der jeder nach Gutdünken leben und tun kann, was er will. Aber in einer solchen Welt leben wir nicht, sondern in einer mit Grenzen und Regeln.

  • 6G
    688 (Profil gelöscht)

    Nee nee, eine völlig perverse Welt- und "Werteordnung" - SCHEINMORAL in "Treuhänder-" und Fachidiotentum, für den "freiheitlichen" Konsum- und Profitautismus im "gesunden" Konkurrenzdenken, "Entwicklungshilfe", "Menschenrechte", "Menschenwürde", viele "Wahrheiten" und Wirklichkeiten in allen denkbaren ...losigkeiten - während eine Minderheit Monopoly spielt, ist die Mehrheit nur Teil des zynischen Tititainment für die Globalisierung der "Dienstleistungs"-Gesellschaft!!!

     

    War es früher schon schlimm genug das Elend im TV Elend sein zu lassen, ist es heute so, daß das Elend normaler Teil des ignorant-arroganten Alltags der Wohlstand- und Gewohnheitsmenschen ist - gestrandete Flüchtlinge, ob lebend oder tot, sind auch kein Grund den Urlaub oder die "Kultur" tiefgreifend und NACHHALTIG zu überdenken!?

     

    Die systemrational-gebildete Suppenkaspermentalität sucht allerhöchstens nach der Schuld bei den "Treuhändern" der leichtfertigen Übertragung von Verantwortung durch Kreuzchen auf dem Blankoscheck, wenn der Sündenbock nicht einfach ...

  • Der Eurotunnel ist doch gar nicht für den Fußgängerverkehr gebaut. Da können doch nur Züge durchfahren.

    • 9G
      970 (Profil gelöscht)
      @Werner W.:

      Die gehen da doch nicht alle zu Fuß durch...

      Die Flüchtlinge versuchen, in den Zug zu kommen bzw. in einen Container bzw. irgendwie "mitzukommen".