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Kommentar Familienbesuch in NordkoreaDie Bevölkerung als Geisel

Fabian Kretschmer
Kommentar von Fabian Kretschmer

Kim Jong-Un lässt Familienbesuche von Südkoreanern zu und alle sind gerührt. Nüchtern betrachtet zeigen sie aber nur die Brutalität seines Regimes

Lottogewinn Familienbesuch: Zufalls-Algorithmen haben 89 aus 57.000 Bewerber*innen ausgewählt Foto: reuters

E s sind Fernsehbilder, die am Montag ganz Südkorea gerührt haben: Wenn etwa der 101-jährige Baek Seong Gyu im Rollstuhl zum ersten Mal auf seine Enkeltochter aus Nordkorea trifft – und stolz von seinen mitgebrachten Geschenken für seine lange vermissten Verwandten spricht: „Ich habe extra viel mitgebracht, schließlich sehen wir uns zum letzten Mal.“

Dabei sollte man sich von den Freudentränen nicht blenden lassen: Nüchtern betrachtet sind jene Familienzusammenführungen, die nun seit über drei Jahren zum ersten Mal stattfinden, vor allem tragisch. Für die meisten kommen sie zu spät: Von insgesamt 130.000 Bewerbern aus dem Jahr 2000 sind gerade einmal 57.000 noch am Leben. Das Gros von ihnen wird sterben, ehe es sich noch ein letztes Mal von ihren Familienmitgliedern im Norden verabschieden kann.

Selbst für die 89 vom Computeralgorithmus ausgelosten Südkoreaner behalten die gestern begonnenen Familienzusammenführungen im nordkoreanischen Diamantengebirge Enttäuschungen bereit: Aufdringliche TV-Teams und omnipräsente Aufpasser des nordkoreanischen Regimes erschweren familiäre Intimität. Teilnehmer von früheren Zusammenführungen berichten von schmerzhaften Erfahrungen der Entfremdung, nachdem ihre Verwandten während der Gespräche ständig ihren „geliebten Führer Kim Jong Un“ gepriesen haben.

Ob sie die Wahrheit über ihr Leben in Nordkorea erzählen oder aus politischem Druck ein geschöntes Bild zeichnen? Ihre südkoreanischen Angehörigen werden es wohl nie erfahren.

Insofern rufen die Treffen vor allem die Unmenschlichkeit des nordkoreanischen Systems in Erinnerung: Das Regime in Pjöngjang schottet seine Bevölkerung systematisch von der Außenwelt ab, zudem verhindert es auch das Zustandekommen regelmäßiger Familienzusammenführungen – weil es sie stets an Vorbedingungen geknüpft hat. Die vom Koreakrieg getrennten Familien waren für die Kim-Familie zuallererst politische Geiseln.

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Fabian Kretschmer
Korrespondent in Südkorea
Seit 2024 Korrespondent für die koreanische Halbinsel und China mit Sitz in Seoul. Berichtete zuvor fünf Jahre lang von Peking aus. Seit 2014 als freier Journalist in Ostasien tätig. 2015 folgte die erste Buchveröffentlichung "So etwas wie Glück" (erschienen im Rowohlt Verlag), das die Fluchtgeschichte der Nordkoreanerin Choi Yeong Ok nacherzählt. Betreibt nebenbei den Podcast "Beijing Briefing". Geboren in Berlin, Studium in Wien, Shanghai und Seoul.
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2 Kommentare

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  • Es ist eine Frage der Perspektive. Natürlich ist die Trennung unmenschlich. Die Besuche sind dabei ein winziger Schritt in die richtige Richtung, zeigen aber natürlich, dass das große Problem weiter besteht.



    Von daher ist es falsch, zu sagen dass in den Besuchen sich "nur die die Brutalität des Regimes" zeigen würde. Diesem kleinen Schritt müssen weitere Schritte folgen, wäre die richtige Forderung gewesen.

  • Ja, das ist ein wichtiger Kommentar von Herr Kretschmer.

    Je schlimmer sich jemand verhält desto beruhigter ist man wenn er sich nicht mehr ganz so schlimm verhält. Das kann nicht der Maßstab sein, weder bei Kim noch bei Trump oder Erdo oder sonst welchen Schlimmen.