Kommentar Europas Flüchtlingspolitik: Hinweisschild „Unwillkommen“
Die Flüchtlingspolitik will abschrecken: Bilder von überfüllten Lagern und Berichte über Massenabschiebungen sind hilfreich.
O bergrenzen für Flüchtlinge, Wartezonen, beschleunigte Abschiebung, Druck auf Herkunftsländer. Die Politik in Deutschland und Österreich, der man vor Kurzem noch ihre „verfehlte Willkommenskultur“ vorgeworfen hatte, überlegt heftig und teilweise erratisch, wie man das Hinweisschild „Unwillkommen“ so formulieren kann, dass es funktioniert und nicht offen der Genfer Flüchtlingskonvention widerspricht.
Die seit den Ereignissen vom Kölner Silvester gekippte Stimmung in der Bevölkerung will bedient werden. Wichtige Wahlen stehen an. Das macht den Homo politicus nervös, vor allem, wenn er an die Umfragewerte von AfD und FPÖ denkt, die seit Köln stetig ansteigen. Wahlkampf schaltet bekanntlich die Vernunft aus. Das Volk, so scheint es in den War Rooms der Parteien Konsens zu sein, verlangt nach starken Ansagen.
Da Kriegsflüchtlinge schlecht nach Aleppo, Mossul oder Dschalalabad zurückgeschickt werden können, schießen sich die Politiker auf die „Wirtschaftsflüchtlinge“ ein, wenn sie den Charme des Grenzbalkens wiederentdecken. Diese kommen bevorzugt aus dem Maghreb, stehlen Handtaschen und fallen im öffentlichen Raum über deutsche Frauen her.
Es wird suggeriert, die „Wirtschaftsflüchtlinge“ seien nicht nur viele, sondern könnten auch leicht identifiziert werden. Durch die Hautfarbe? Den Akzent? Die Frage nach dem Fluchtmotiv? Alles andere als ein faires Verfahren vor dem Asylgericht wäre Rechtsbruch. Also setzt man auf Abschreckung. Die Menschen sollen gar nicht erst an unseren Grenzen anklopfen. Bilder von überfüllten Flüchtlingslagern und Berichte von Massenabschiebungen sind da hilfreich.
Die „Grenzen dicht“-Politik verlagert das Problem aber einmal mehr an die Außengrenzen der EU oder Europas. Schon jetzt erlebt das Schleppergewerbe einen neuen Aufschwung. Davon zeugen die Ertrunkenen, die am Wochenende aus der Ägäis gefischt wurden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Schraubenzieher-Attacke in Regionalzug
Rassistisch, lebensbedrohlich – aber kein Mordversuch