Kommentar Erhöhung des Pflegebeitrags: Jeder kann zum Pflegefall werden
Rund fünf Euro mehr müssen Arbeitnehmer zusätzlich in die Pflegeversicherung zahlen. Wem das zuviel ist, sollte sich fragen, wie er später leben will.
E ine Schachtel Zigaretten kostet im Durchschnitt 6 Euro. Manche Menschen kaufen jeden dritten Tag eine neue – oder öfter. Macht im Monat mindestens 60 Euro, die die meisten Raucher*innen gern ausgeben.
Das nur mal so zum Vergleich. Denn die Emotionen kochen vielerorts hoch, weil zu Beginn des kommenden Jahres der Beitrag zur Pflegeversicherung um 0,5 Prozentpunkte steigt. Die Kritik an dem Kabinettsbeschluss von Mittwoch lautet in etwa so: Schon wieder eine ungerechte Erhöhung! Die Verbesserung der Pflege darf nicht zulasten der Betroffenen gehen!
Rechnen wir es mal durch: Bei einem Bruttomonatseinkommen von 2.000 Euro müssen Arbeitnehmer*innen ab Januar jeden Monat 5 Euro mehr in die Pflegekasse zahlen. Weitere 5 Euro übernehmen die Arbeitgeber*innen. 5 Euro! Gleichzeitig soll Pflege – so zumindest stellen sich das viele vor, und so wäre es wünschenswert – funktionieren wie ein Sanatorium mit Rundumvollverpflegung. So ist es aber nicht. Und so wird es auch nie sein. Dazu ist das Pflegedilemma zu groß: Immer mehr Menschen, die intensive Betreuung benötigen, und zu wenige Menschen, die diese leisten. Und die obendrein dafür viel zu schlecht bezahlt werden.
Im kommenden Jahr steigt der Beitrag zur Pflegeversicherung. Das Bundeskabinett beschloss am Mittwoch in Berlin eine Gesetzesvorlage von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), wonach der Pflegebeitrag zum 1. Januar 2019 um 0,5 Prozentpunkte von 2,55 auf 3,05 Prozent des Bruttoeinkommens angehoben werden soll. Kinderlose zahlen einen Zuschlag von 0,25 Prozentpunkten.
Das Defizit betrage in diesem Jahr bereits drei Milliarden Euro, so Spahn. Die jetzt geplante Erhöhung des Beitragssatzes reiche „mindestens bis 2022“, sagte der Minister.
Die Anhebung des Beitragssatzes führt den Angaben zufolge im kommenden Jahr zu Mehreinnahmen der Pflegeversicherung von 7,6 Milliarden Euro. Die Pflegeversicherung hatte nach Jahren im Plus 2017 erstmals wieder ein Defizit von rund 2,5 Milliarden Euro zu verzeichnen. (epd)
Wer jetzt klagt, kann schon bald selbst Pflegefall sein
Gute Pflege gibt es nicht nur nicht umsonst, gute Pflege kostet. Ebenso die Ausbildung von dringend benötigtem Pflegenachwuchs. Von einer besseren Bezahlung des Pflegepersonals gar nicht zu reden. Man muss kein Freund von Gesundheitsminister Jens Spahn sein, um dem Vorstoß des CDU-Mannes etwas abzugewinnen. Man braucht nur ein wenig Realismus. Und wer in der Familie selbst Pflegefälle hat, kennt die Misere und ist dankbar für jede Verbesserung. Dafür gibt man gern 5 Euro mehr im Monat.
Um es weiter zuzuspitzen: Die meisten der heutigen Arbeitnehmer*innen, die sich jetzt über die (geringen) Mehrausgaben beklagen, könnten in einigen Jahren und Jahrzehnten selbst ein Pflegefall sein. Wie wollen sie dann leben? Von wem betreut werden? Welche Therapien in Anspruch nehmen? Und sich dann bitte auch fragen: Wer bezahlt das alles für mich?
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