Kommentar Elektroautos: Merkels smarte Show
Wir müssen weg vom Öl. Doch der schnelle Umstieg auf Elektroautos ist keine Lösung. Um den CO2-Ausstoß wirksam zu senken, hilft nur eine Einschränkung des Verbrauchs.
I n Berlin beginnt das "weltweit größte Gemeinschaftsprojekt für klimafreundliche Elektroautos", und die Bundeskanzlerin persönlich gibt dafür den Startschuss. Daimler liefert dafür 100 Elektro-Smarts als Prototypen, und der Stromkonzern RWE verteilt dafür 500 Stromladepunkte über die Stadt. Das ist eine Super-Show, die die Autoindustrie da abliefert, gewiss. Und dahinter steckt ein richtiger Gedanke: nämlich, dass der Verkehr möglichst schnell vom knapp werdenden Öl weg muss.
Reiner Metzger ist stellvertretender Chefredakteur der taz.
Es wäre allerdings Irrsinn, die deutsche Straßenflotte von knapp 50 Millionen Fahrzeugen künftig mit Biosprit fahren lassen zu wollen. Der Flächenverbrauch stiege enorm. Beim Strom sieht das realistischer aus. Die Hochschule Aachen hat errechnet, was es bedeuten würde, würden alle Fahrzeuge mit Strom fahren: Sie bräuchten etwa das Doppelte an Leistung von dem, was die deutschen Kraftwerke derzeit produzieren können. Der erforderliche Ausbau der Netze und neuer Kraftwerke würde eine dreistellige Milliardensumme kosten - aber er wäre zu schaffen. Schließlich geben wir schon jetzt einen ähnliche Summe für Autos aus.
Das Problem ist das Tempo, mit dem eine solche Umstellung zwangsläufig vor sich geht. Nicht nur, weil technische Umwälzungen von solcher Tragweite immer Generationen dauern. Sondern auch, weil der nötige politische Druck fehlt. Denn abseits von Vorzeigeprojekten à la Elektro-Smart schützen die deutschen Regierungen aller Couleur traditionell ihre Autokonzerne vor allzu viel Veränderungsdruck. Und die Stromkonzerne träumen natürlich davon, die Elektroautos statt mit erneuerbaren Energien mit billigem Kohle- und Atomstrom anzutreiben.
So haben die Umweltorganisationen leider Recht, die Merkel für ihre Elektroauto-Show kritisieren. Greenpeace hält ihr hämisch entgegen, der Strom-Smart stoße mit seinem derzeitigen RWE-Strommix mehr CO2 aus als dessen Dieselversion. Und der Verkehrsclub Deutschland (VCD) prognostiziert, dass selbst bei optimistischen Schätzungen der Anteil der Elektroautos im Jahr 2020 unter fünf Prozent liegen werde. Natürlich sollte man das Elektroauto zur Marktreife entwickeln. Aber falsche Hoffnungen sind nicht angesagt, denn es wird die Welt nicht vor dem Klimawandel retten - jedenfalls nicht in dieser Generation.
Um den CO2-Ausstoß wirksam zu senken, hilft allein eine Einschränkung des Verbrauchs. Genau hier aber schützt die Kanzlerin die Autohersteller vor wirksamen Regelungen aus Brüssel. Und die Bundesregierung will den Bürgern auch nicht mit einer höheren Energiesteuer kommen, so nötig sie auch ist. Das aber wäre mal ein "wirklich wegweisendes Projekt".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles