Kommentar Eigenbedarfskündigungen: Dem Missbrauch vorbeugen
Mieter sind rechtlich gut geschützt – nicht jedoch vor Eigenbedarfsklagen. Da treten soziale und menschliche Erwägungen in den Hintergrund.
Ein Mieter stirbt während eines Verfahrens zur Eigenbedarfskündigung, und das Landgericht Berlin stellt lapidar fest, dass damit der zuvor reklamierte Härtefall entfallen sei. Die damit bereits zweitinstanzliche Entscheidung zugunsten der Eigentümerin der Wohnung des hochbetagten Jürgen Rostock ist korrekt, offenbart aber eine systemische Schwäche im Mietrecht.
Wohnungen sind rechtlich besonders geschützte Räume. Nur mit wichtigen Gründen können MieterInnen gezwungen werden, sie aufzugeben. Einer dieser wichtigen Gründe ist der Eigenbedarf durch den Eigentümer. Je mehr Miet- in Eigentumswohnungen umgewandelt werden, umso häufiger tritt diese maximale Interessenkollision auf. Je schneller Miet- und vor allem Kaufpreise steigen (2017 in Berlin um 15,6 Prozent), umso häufiger werden Eigentümer den Hebel Eigenbedarf aber missbräuchlich verwenden, um Wohnungen „leerzuziehen“. Sie sind dann einfach mehr wert. Soziale oder ganz grundlegende humane Erwägungen treten da ganz schnell in den Hintergrund.
Um dem Missbrauch vorzubeugen, braucht es verbindlichere Anforderungen an den Nachweis des Eigenbedarfs und Überprüfungen der tatsächlichen Umsetzung bei gleichzeitiger drastischer Strafandrohung. Am Prinzip der Bevorzugung des Eigentümers vor dem Mieter bei der Nutzung einer Wohnung wird sich kaum rütteln lassen. Seine dramatischsten Folgen ließen sich jedoch mit einem großzügigen Härtefallkatalog abfedern. Dauer des Mietverhältnisses, Lebensalter der Mieter, Behinderungen und weitere soziale Indikatoren könnten dazu gehören.
Dann würden Gerichte vielleicht häufiger nicht nur zu korrekten, sondern auch zu gerechteren und sozialeren Entscheidungen finden. Ein über 80-jähriger Mieter könnte so wirksam vor einer Kündigung und aufreibenden Rechtsstreiten geschützt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen