Kommentar EU-Verfahren gegen Polen: Wenn zwei sich streiten
Die EU eröffnet ein Strafverfahren gegen Polen. Der nationalpopulistischen PiS-Regierung ist das nur recht – sie strebt den „Polexit“ an.
![Justizpalast in Warschau von außen Justizpalast in Warschau von außen](https://taz.de/picture/2463727/14/19745020.jpeg)
P olen lieben Superlative: Man will zu den Ersten gehören, zu den Größten und Besten. Nun steht Polen erneut ganz oben auf dem Treppchen, doch es gibt keinen Grund zum Feiern. Nicht Stolz, sondern Scham verspüren die meisten im Land. Am Mittwoch, den 20. Dezember 2017, eröffnete die Europäische Kommission ein Strafverfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages gegen ein Mitglied.
Dieser Tag wird in die Geschichte eingehen. Denn dies passiert zum ersten Mal in der Geschichte der Gemeinschaft. Und das erste Land, das es trifft, ist ausgerechnet Polen, dessen Bürger so große Ambitionen haben. Nun werden sie EU-weit angeprangert, mit ihren Gesetzen die Rechtsstaatlichkeit im eigenen Lande zu gefährden.
„Dies ist ein trauriger Tag“, kommentierte EU-Ratspräsident Donald Tusk die Einleitung des Verfahrens gegen sein Heimatland. Traurig ist der Tag für beide Seiten – nicht nur für Polen, sondern auch für alle anderen EU-Mitgliedsstaaten.
Polens nationalpopulistische Regierung indes lacht darüber nur. Sie steuerte ganz bewusst auf diese Katastrophe zu. Anders als den EU-Politikern in Brüssel oder Straßburg liegt Jaroslaw Kaczynski (68), dem Parteivorsitzenden der nationalpopulistischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), nichts an Kompromissen und einer Verständigung mit den Partnern. Im Gegenteil: je mehr Streit, desto besser. Ganz nach dem Motto: „Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte“.
In Polen funktioniert das hervorragend: die Opposition ist zerstritten, die Zivilgesellschaft machtlos. Seit die PiS vor zwei Jahren die Wahlen gewann, attackieren Polens Präsident, die Regierungschefs und polnischen Minister die EU. Polens Bürger sollen das Gefühl bekommen, dass es neben der Nato und den USA nur eine einzige Macht gibt, die sie vor drohenden Gefahren und angeblich ungerechten EU-Richtlinien schützen kann: die Kaczynski-Partei.
Ziel der Partei ist der „Polexit“. Die wirtschaftliche Entwicklung in Polen ist so positiv, dass es nur mehr eine Frage der Zeit ist, wann sich Polen vom Netto-Empfänger der EU zum Netto-Zahler wandelt. Kurz davor will Kaczynski sein Land aus der EU führen, die Schuld dafür aber Brüssel und den anderen Mitgliedsstaaten in die Schuhe schieben. Streit mit der EU und Prozesse und Strafen sind dem nationalistischen Politiker daher hoch willkommen. Dadurch lässt sich prima eine Anti-EU-Stimmung bei den Bürgern erzeugen.
„Wir lassen uns nicht erpressen“, versicherte Polens neuer Premier Mateusz Morawiecki vor ein paar Tagen. Und am Mittwoch setzte Präsident Andrzej Duda nicht nur seine Unterschrift unter die letzten beiden umstrittenen Justiz-Reformgesetze, sondern machte in einem Fernsehinterview auch klar, wie „sehr viele Vertreter europäischer Institutionen“ einzuschätzen seien: „Sie lügen, wenn sie über Polen reden.“
Auch dieser Satz wird in die Geschichte der EU eingehen. Ein wirklich trauriger Tag.
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