Kommentar EU-Streit um Polen: PR statt Politik
Brüssel rollt Polen den roten Teppich aus. Die Angst vor einem EU-Austritt ist größer als der Wille, die Demokratie und den Rechtsstaat zu verteidigen.
V or Weihnachten herrschte Eiszeit, nun ist schon wieder Tauwetter angesagt. Oder wie soll man den betont herzlichen Empfang für den neuen polnischen Regierungschef Mateusz Morawiecki in Brüssel sonst deuten?
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gab sich jedenfalls alle Mühe, die Eskalation der vergangenen Wochen vergessen zu machen. Mit Handschlag und Schulterklopfen empfing er Morawiecki am Dienstagabend zum Dinner.
Journalisten mussten draußen bleiben, eine nichts sagende Pressemitteilung lobte die „freundschaftliche Atmosphäre“ und „konstruktive Debatte“. Der Streit um Rechtsstaat und Demokratie war Junckers PR-Leuten nur einen Satz wert.
Dabei hätte die europäische Öffentlichkeit schon gerne gewusst, wie es mit der umstrittenen polnischen Justizreform und dem historischen europäischen Sanktionsverfahren weiter geht. Erstmals wird ein EU-Land mit dem Verlust des Stimmrechts bedroht.
Kurz vor Weihnachten hatte Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans das so genannte Artikel-Sieben-Verfahren eingeleitet. Theoretisch könnte es zur teilweisen oder vollständigen Entrechtung Polens in der EU führen.
Autoritäre Ostfront steht
Doch dazu wird es nicht kommen – denn dafür wäre Einstimmigkeit nötig, und Ungarn hat bereits ein Veto angekündigt. Die autoritäre und nationalistische Ostfront steht, das EU-Verfahren droht ins Leere zu laufen.
Das wissen natürlich auch Timmermans und Juncker. Sie möchten eine Blamage vermeiden. Deshalb suchen sie nun nach einer goldenen Brücke, um eine Kampfabstimmung im Ministerrat – und die drohende Niederlage – zu vermeiden.
Doch muss man deshalb gleich den roten Teppich ausrollen? Ist es wirklich ein Zeichen von Entspannung und Entgegenkommen, wenn Morawiecki kurz vor seinem Besuch in Brüssel ein paar besonders EU-feindliche Minister feuert?
Eher schon sieht das nach einem Bauernopfer in Warschau aus – und nach einem Ablenkungsmanöver in Brüssel, wo man offenbar immer noch keine klare Linie gegen die autoritäre Bedrohung aus dem Osten gefunden hat.
Keine Strategie erkennbar
Timmermans und Juncker schwanken zwischen Drohung und Beschwichtigung, Eskalation und Entspannung. Eine Strategie steckt nicht dahinter. Nur der Wunsch, Polen in der EU zu halten, lässt sich aus dem Schlingerkurs herauslesen.
Nach dem Brexit will Brüssel keinen weiteren Austritt riskieren. Zudem treibt Juncker die Sorge um, Polen und Ungarn könnten eine für Juni geplante Reform der europäischen Migrations- und Asylpolitik blockieren.
Deshalb sucht man nun einen gesichtswahrenden Deal. Doch irgendwann wird sich die EU entscheiden müssen. Was ist wichtiger: den Laden zusammenzuhalten oder Demokratie und Rechtsstaat zu verteidigen? Es ist ein Alarmsignal, dass sich die Antwort nicht mehr von selbst versteht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag