Kommentar EU-Ratspräsidentschaft: Dauerstreit in Bukarest
Mit Beginn des neuen Jahres hat Rumänien die EU-Ratspräsidentschaft übernommen – ein Land, das zutiefst zerstritten ist.
W as der rumänische Staatspräsident Klaus Iohannis kurz vor Weihnachten in einer gemeinsamen Presseerklärung mit dem österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz zu verkünden hatte, klang mild und zuversichtlich. Seinen Worten war zu entnehmen, dass Rumänien für die Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft durchaus vorbereitet sei. Die Anwesenheit von Kanzler Kurz in Bukarest bezeichnete er als einen „symbolischen Moment“. Dieser, so Iohannis, markiere eine vorgezogene Übergabe der Ratspräsidentschaft an Rumänien durch Österreich, das im letzten halben Jahr diesen Vorsitz innehatte.
Im winterlichen Bukarest dieser Tage scheint der Dauerstreit zwischen Präsident und Regierung eingefroren zu sein. Iohannis, der sich seit seinem Mandatsantritt 2014 die Korruptionsbekämpfung auf die Fahnen geschrieben hatte, gibt sich jetzt staatsmännisch souverän und neutral und versucht, die Wogen zu glätten. Noch vor einigen Wochen bezeichnete er die derzeitige Regierungskoalition, bestehend aus sogenannten Sozialdemokraten und Liberaldemokraten, als einen „Unfall der Demokratie“. Vertreter der Koalition konterten und erklärten den Staatschef zum „Landesverräter“ und kündigten ein Amtsenthebungsverfahren an.
Aus Brüssel kamen immer wieder mahnende Worte und vorsichtige Kritik an der von der Regierung eingeleiteten Justizreform, von der es hieß, sie sei nichts anderes als ein Versuch, den Chef der Sozialdemokratischen Partei (PSD) und Vorsitzenden der Abgeordnetenkammer Liviu Dragnea vor einer drohenden Haft zu bewahren. Dragnea wurde 2015 wegen Wahlfälschung zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt und in diesem Jahr wegen Machtmissbrauchs zu dreieinhalb Jahren. Letzteres Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig.
Der permanente Schlagabtausch zwischen Präsident Iohannis und Dragnea, den einige Zeitungen als Chef einer kommunistischen Nachfolgepartei dämonisieren, eskalierte und führte auch zu einer Polarisierung der rumänischen Öffentlichkeit. Zehntausende protestierten immer wieder gegen die Regierung. Es waren allerdings eher diffuse Proteste, deren einziges Ziel sich in dem realitätsfernen Wunsch äußerte, die Regierung zu Fall zu bringen. Neuwahlen hätten in letzter Instanz keinesfalls zu einer Verschiebung der derzeitigen Machtverhältnisse geführt. Aus vorgezogenen Wahlen wäre die Sozialdemokratische Partei (PSD) erneut als Siegerin hervorgegangen.
Die Opposition ist schwach
Die im Parlament vertretenen Oppositionsparteien, darunter auch die stärkste, die Nationalliberale Partei (PNL), haben momentan nur eine geringe Chance auf eine solide Mehrheit. Das beweisen alle Umfragen. Nur 31 Prozent der Wahlberechtigten sind zudem der Meinung, dass die PNL eine „aktive Oppositionspolitik“ betreibt. 24 Prozent der Befragten erblicken hingegen in Victor Ponta, dem früheren sozialdemokratischen Premier und Rivalen Dragneas, der inzwischen eine eigene Partei gegründet hat, den aktivsten rumänischen Oppositionspolitiker.
Die politische und doktrinäre Unglaubwürdigkeit aller rumänischen Parteien spiegelt eine weitere Umfrage wider, in der die Wähler ihre Einstellung zu den jeweiligen Präsidenten ihres Landes äußerten. In der zu Weihnachten veröffentlichten Umfrage bekundeten 64,3 Prozent der Rumänen nach wie vor ihre Sympathie für den 1989 gestürzten und hingerichteten, national-kommunistischen Präsidenten Nicolae Ceauşescu. Den niedrigsten Sympathiewert auf der Umfrageskale hat dessen Nachfolger, Ion Iliescu, dem im politischen Diskurs sämtliche Verfehlungen und Versäumnisse der postkommunistischen Demokratie angekreidet werden.
Klaus Iohannis als „warmherzig“ beliebt
Der einzige Präsident, neben Ceauşescu, den die rumänische Wählerschaft (50,7 Prozent) positiv bewertet, ist Klaus Iohannis. Als Vertreter der rumäniendeutschen Minderheit wird Iohannis nun insbesondere von den Nationalisten aus den Regierungsparteien als Agent ausländischer Kräfte beschimpft, der als Instrument von Merkel und Macron Rumänien zunehmend seiner Souveränität beraube und das Land in ein totales finanzielles, wirtschaftliches und politisches Abhängigkeitsverhältnis von der europäischen Bürokratie hineinpresse. Man wünsche sich einen „warmherzigen“ rumänischen Präsidenten, so Dragnea in einer Rede vor Vertretern seiner Partei, der sein Vaterland liebe und es auf europäischem Parkett würdig vertrete.
Die erneute, unmissverständliche Anspielung Dragneas auf die deutsche Volkszugehörigkeit von Iohannis hatte bereits in den letzten Monaten die Nationalisten aller Parteien beflügelt und eine Vielzahl von absurden Attacken auf den Demokratischen Verband der Deutschen in Rumänien (DVDR) produziert, dessen ehemaliger Vorsitzender der heutige Staatspräsident war. In den wüsten Angriffen hieß es, der Verband sei nichts anderes als die Nachfolgeorganisation der ehemaligen NSDAP der Deutschen Volksgruppe aus Rumänien. Der rumäniendeutsche Verband habe sich nun zum Ziel gesetzt, das Eigentum der 1944 verbotenen Naziorganisation unter den Nagel zu reißen, inklusive gewaltsam „arisierte“ jüdische Besitztümer. Gegen derlei Anfeindungen protestierte der Parlamentsabgeordnete der deutschen Minderheit, Ovidiu Ganţ.
Angesichts der bevorstehenden Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft durch Rumänien erklärte er konziliant in einem Gespräch mit der deutschsprachigen Bukarester Allgemeinen Deutschen Zeitung, er könne nur hoffen, dass sich sein Land im nächsten halben Jahr nicht blamiere. Wenn es um Europa geht, meinte er, müsse man das Kriegsbeil begraben. Trotz der „riesigen Meinungsunterschiede“ zwischen Regierung und Präsident, meinte Ganţ, müsse man „zusammenarbeiten“, wenn es „um die derzeit wichtigste nationale Frage geht, nämlich um die Frage der EU-Ratspräsidentschaft“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“