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Kommentar EU-AußenpolitikNicht länger wählerisch

Eric Bonse
Kommentar von Eric Bonse

Die EU will mit dem syrischen Diktator Assad reden. Merkel hofiert Erdogan. Beide sind nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems.

Erst wenn die Flüchtlinge nach Europa ziehen, wie hier auf Lesbos, steht die Türkei im Fokus. Foto: dpa

J ahrelang hat Europa weggeschaut, während der Krieg in Syrien eskalierte und Millionen Menschen vertrieben wurden. Auch für den Beitrittskandidaten Türkei zeigte die EU kein gesteigertes Interesse. Erst jetzt, da die Flüchtlinge en masse aus Syrien über die Türkei nach Europa wandern, stehen beide Länder plötzlich im Fokus.

Man müsse mit dem syrischen Diktator Assad reden und den türkischen Herrscher Erdogan hofieren, heißt es nun in Brüssel und Berlin. Kanzlerin Merkel will sogar eigens nach Ankara reisen, um Erdogan gnädig zu stimmen. Er sei zwar kein idealer Partner, doch in der Krise dürfe man nicht wählerisch sein, heißt es zur Begründung.

Zynischer geht’s kaum noch. Erdogan ist nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Er hat den Islamischen Staat nicht nur geduldet, sondern sogar aktiv unterstützt. Er sieht sich in der Flüchtlingskrise nicht als Partner der EU, sondern als Gegenspieler, der die Flüchtlinge als Druckmittel nutzen kann.

Eine Woche nach dem schwersten Terroranschlag in der türkischen Geschichte nach Ankara zu reisen, wie es Merkel plant, zeugt von Instinktlosigkeit. Die Kanzlerin setzt damit gleich zwei falsche Zeichen: Sie wertet Erdogan mitten im Wahlkampf auf, und sie übernimmt nun auch noch in der Türkeipolitik die Führung in der EU.

Wer jedoch hofft, Brüssel habe einen besseren Plan, der irrt sich gewaltig. EU-Kommissionspräsident Juncker treibt die so genannte Realpolitik, die in Wahrheit eine Irrealpolitik ist, auf die Spitze: Er will die Türkei allen Ernstes zum „sicheren Herkunftsland“ erklären, um Asylbewerber schneller abschieben zu können.

Und die EU-Außenvertreterin Mogherini möchte mit dem Schlächter Assad reden, dessen wichtigsten Verbündeten – Russland – jedoch gleichzeitig in die Schranken weisen. Die EU-Politiker sollten die Flüchtlingskrise besser zur Aufarbeitung ihres außenpolitischen Versagens nutzen, statt neue zynische „Initiativen“ zu ergreifen.

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Eric Bonse
EU-Korrespondent
Europäer aus dem Rheinland, EU-Experte wider Willen (es ist kompliziert...). Hat in Hamburg Politikwissenschaft studiert, ging danach als freier Journalist nach Paris und Brüssel. Eric Bonse betreibt den Blog „Lost in EUrope“ (lostineu.eu). Die besten Beiträge erscheinen auch auf seinem taz-Blog
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7 Kommentare

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  • Teil des Problems sind die beiden sicher. Erst Recht Teil des Problems sind aber Leute wie Herr Bonse, die letztlich jede Politik zum Stillstand bringen würden, wenn man nicht mit Teilen des Problems reden oder sogar kooperieren darf. Die Welt richtet sich nicht nach Deutschland und noch weniger nach den Vorstellungen eines Herrn Bonse, wie die Welt schöner wäre - diese Vorstellungen teile ich sogar. Aber auf dem Weg dahin wird man keinen Millimeter vorankommen, wenn man nicht die Realtität akzeptiert und Lösungen sucht, die von dieser Realtität ausgehen.

  • Frankreich, GB, Jordanien, gehören mit zur Koalition der Willigen. Qatar macht in etwa dasselbe wie SA nur mit weniger guten Kontakten zur Al Qaeda. Israel scheint sich neue Gebiete nördlich der Golanhöhen krallen zu wollen und unterstütz Al Nusra direkt, und ISIS über Luftangriffe auf die SAA. Das hat aber vorerst sein Ende gefunden, da Syrien nun deren Drohnen vom Himmel holt (ohne die gibt es kein Leitsystem für Luftschläge). China unterstütz Russlands Plan einer Lösung mit Assad, liefert Gerät an die SAA und hat ein paar Schiffe ins Mittelmeer geschickt aber keine großen Bodentruppen im Gegensatz zu Irak, Iran und Hisbollah. Ägypten unterstützt ebenfalls Russlands Anliegen, allerdings weiß ich von keiner direkten Einmischung, über Gelder, Geräte oder Truppen. Ach ja Afghanistan hätte jetzt auch gerne Unterstützung von Russland. Währenddessen scheint mir, die Rolle der Kurden zweischneidig, die Türkei bombardiert sie weiter munter im Irak und unterstützt ISIS gegen sie, während im Inland ein Anschlag dem nächsten folgt, und Waffen von den USA an die YPG geliefert werden. Zudem scheinen die kurdischen Gruppen sich ebenfalls mit der russisch-iranisch geführten Allianz abzusprechen. Für Karten die vielleicht ein wenig Übersicht verschaffen können, gibt es diverse Twitter Acoounts z.B. https://twitter.com/petolucem

  • "Die EU will mit dem syrischen Diktator Assad reden. Merkel hofiert Erdogan. Beide sind nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems."

     

    Beide? Ich würde sagen, alle vier.

  • ...in Minsk, Militärchef al-Sisi aus Ägypten empfangen in Berlin nach der Festnahme eines oppositionellen Journalisten auf ägyptischen Haftbefehl, Handel mit Iran, mit Saudi-Arabien.

    EU steht also voll auf Aufstandsbekämpfung.

  • Die Infos sind leicht zugänglich, auch wenn die taz kaum darauf eingeht. Die Paradetruppe der USA ist die SFA. Um etwa 5000 man aufzustellen, wurden in 4 Jahren ca. 500 Mio investiert, und Leute hauptsächlich in türkischen Stützpunkten von den USA ausgebildet. Letzte Woche wurde offiziell bekannt, dass davon 4-5 Kämpfer übrig geblieben sind, der Rest ist natürlich samt Waffen zu ISIS und anderen Gruppen übergelaufen. Diese handvoll Kämpfer wurde dann durch Al Nusra ihres Kriegsgeräts beraubt (für freies Geleit). Es bleiben Gruppierungen wie Al Nusra, die die USA jetzt als moderat bezeichnen. Zum Glück also gibt es ISIS sonst würde es womöglich leicht auffallen, dass man mit Al Nusra nun sogar offiziell mit Al Qaeda operiert und an sie Waffen liefert. Z.b. wirft SA weiter 500 TOWs (Raketenwerfer gegen Panzer) aus den USA in den Ring. Letztere werfen versehentlich Waffenlieferungen über ISIS Territorien ab. Zuletzt hat es geklappt und die kurdische YPG wurde mit 50 Tonnen Handfeuerwaffen beliefert, weitere 100 sollen laut deren Angaben folgen. Solche Waffen landen überall, da all diese Gruppierungen miteinander kooperieren, und ihre Deals auch mit Waffen aushandeln. ISIS Konvois am hellichten Tag zeugen davon wie ernst es den USA mit ihrer jahrelangen Anti ISISLuftkampagne war, was dazu geführt hat, dass der Irak nun mit Iran, Syrien, Russland und Hizbollah kooperiert, und in Bagdhad ein gemeinsames Kommandozentrum eingerichtet hat. Gleich nebenan sind die Reste der US Militärpräsenz noch stationiert.

  • Herr Bonse ,... gibt es in Syrien derzeit noch eine Adresse außer "dem Schlächter Assad ...(und) dessen wichtigsten Verbündeten – Russland" , mit der man politisch reden könnte ? Etwa mit den "gemäßigten" u/o "radikalen Rebellen" ? Seltsam , dass man über diese in den Medien wenig bis nichts Genaueres erfahren kann . Z.B. zu Fragen wie : Welche Ziele verfolgen sie ? Aus welchen Interessen ? Wie stabil sind sie ? Gibt es feste Führungsstrukturen ? Wie ist ihr Verhältnis zu anderen "Oppositions"gruppen ? Was ist von ihnen zu erwarten für den Aufbau eines neuen Syrien nach Ende des Bürgerkrieges ? Von welchen Staaten werden sie wie und aus welchen Motiven/Interessen gestützt , bewaffnet , gefördert ?

    Und , nicht zu vergessen : Inwieweit läßt das kaum aufzudröselnde Kuddelmuddel von unterschiedlichen Interessen ,Abhängigkeiten und Rücksichtnahmen von USA ,EU , Israel , SA überhaupt eine kohärente Syrienpolitik und Strategie zu ?

  • Sie werfen Assad und Erdögan in denselben Topf, was sicherlich sehr naiv ist. Assad kämpft um Damaskus zu halten und die Russen unterstützen ihn. Erdögan bekriegt die Kurden und die Syrer und hat, zumindest einige Zeit lang, radikale Terroristen unterstützt. Während Assad/Russland nun systematisch Terrain zurückgewinnt, platziert Erdögan ein Attentat in Ankara, metzelt lustig die Kurden und möchte eine türkische Zone in Nordsyrien. Was Frau Merkel mit Erdögan bereden will, erschließt sich mir nicht. Dass die EU endlich mit dem Präsidenten Syriens über den Syrienkrieg reden will, scheint mir logisch.