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Kommentar EGMR-Urteil zu TimoschenkoDie Willkür ist jetzt aktenkundig

Kommentar von Barbara Oertel

Das Urteil des Straßburger Gerichts stellt fest, dass Ukraines Justiz nicht unabhängig ist. Kommt es nicht zur Freilassung Timoschenkos, muss die EU reagieren.

Timoschenko-Anhängerin mit dem Konterfei der Politikerin bei einer Soli-Demo im März in Kiew. Bild: dpa

E in Sieg auf der ganzen Linie ist der Urteilsspruch des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte für Julia Timoschenko ganz sicher nicht. Dabei geht es nicht in erster Linie um diejenigen Beschwerdepunkte, wie Mißhandlung in der Haft, mit denen die ukrainische Oppositionspolitikerin in Straßburg keinen Erfolg hatte.

Vor allem geht es um die juristische Feststellung, dass der gesamte Prozess eindeutig politisch motiviert gewesen sei. Dies ist beim besten Willen nicht aus dem Urteil herauszulesen. Deshalb sollten sich alle diejenigen, die jetzt die sofortige Freilassung der „politischen Gefangenen“ Timoschenko fordern und sich dabei auf den jüngsten Urteilsspruch aus Straßburg beziehen wollen, lieber in vornehmer Zurückhaltung üben.

Dennoch ist die Gerichtsentscheidung auch eine Genugtuung - nicht nur für Timoschenko, sondern für alle Menschen in der Ukraine. Einmal mehr ist jetzt aktenkundig - und das von höchster Stelle -, dass von einem Rechtsstaat mit einer unabhängigen Justiz in der Ukraine keine Rede sein kann, sondern Gesetzlosigkeit und Willkür herrschen sowie Menschenrechte verletzt werden.

Bild: taz

ist Co-Leiterin und Osteuropa-Redakteurin des Auslandressorts der taz.

Die entscheidende Frage ist jetzt, wie die ukrainische Regierung und dabei vor allem Staatspräsident Wiktor Janukowitsch auf das Urteil reagieren werden. Übt sich Janukowitsch in Ignoranz, so wie Russlands Staatschef Wladimir Putin das kaltschnäuzig mit Entscheidungen aus Straßburg tut? Oder erkennt er an, dass im Fall Timoschenko fundamentale Rechte verletzt wurden, was eine unverzügliche Freilassung zur Folge haben müßte?

Anders als im Fall des ehemaligen Innenministers Juri Lutzenko, der unlängst begnadigt und aus der Haft entlassen wurde, lehnt Janukowitsch bisher eine Freilassung Timoschenkos strikt ab. Bleibt er dabei, so ist das nichts anderes als eine klare Absage an wirkliche Reformen und demokratische Werte. Brüssel, das immer noch ein Assoziierungsabkommmen mit Kiew in der Schublade liegen hat, sollte dieses unmissverständliche Signal zu deuten wissen.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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18 Kommentare

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  • W
    Wisniewska

    Fünf Anmerkungen zum Urteil des Menschengerichtshofs:

    1. Es geht nicht um den Prozess gegen T., sondern um ihre Untersuchungshaft. Ersteres wird von deutschen Medien suggeriert... 2. "Willkür" bei Untersuchunghaft bedeutet nicht, dass politische Gründe massgeblich waren. Das wird von deutschen Medien suggeriert... (War der Haftbefehl gegen Hoeness nicht auch willkürlich?) 3. T. wird von deutschen Medien als "Gallionsfigur der Oppostition" imaginiert. (Sie ist als Regierungschefin abgewählt worden, nach Umfragen ist ihre Unterstützung durch Wähler mickrigst...) 4. Im Jahre 2009 sind die Zustände in ukrainischen Gefängnissen von AI angeprangert worden (Das hat die ukr. Regierung unter T. nicht interessiert...) 5. Wo existiert Amtsmissbrauch als Straftat? (Nicht in der EU... Na also...)

  • BH
    Bettelmönch Hartz4

    In Deutschland wird die Religionsfreiheit mit füßen getretten .

    Ständig gibt es Beschneidungen im Vermieterrecht und Verschärfungen im Waffengesetz und Steuergesetz .

  • F
    Friedrich_zwei

    Billiges mainstream-Nachplappern.

    Könnte auch von der BILD oder dem Focus

    kommen.

    Wenn die taz.de sich jetzt langsam, aber sicher dem mainstream nähert, darf sie sich nicht wundern, wenn sie dann auch dessen penetranten Gestank annimmt.

  • SF
    Sissy Fuß

    @Ursula: Ihre Charakterisierung der Timoschenko-Clique ist durchaus zutreffend. Jetzt müßten Sie bloß noch erklären, was der Unterschied zur Janukowitsch-Clique ist. Viel mehr als „Äh …“ wird da wohl nicht kommen. Aber vielleicht können Sie stattdessen erklären, was Sie antreibt, im Kampf zweier Mafiabanden Partei zu ergreifen?

  • SF
    Sissy Fuß

    Nicht daß Julia Timoschenko im Gefängnis sitzt, ist das Problem. Sondern daß sie dort so einsam ist. Wäre die Ukraine ein Rechtsstaat, hätte sie eine zahlreiche Gesellschaft.

  • T
    toro

    Gerne will ich noch folgendes zum Kommentar von Frau Oertel ergänzen:

    Bei der Ukraine geht es vorrangig darum, so schnell wie möglich in dieser kostbaren Region die NATO zu stationieren. Und das auf jede Art und Weise und so schnell wie möglich. Das "Warum" kann ich mir bei Ihnen sicher sparen!

  • T
    toro

    Liebe Frau Oertel,

    gestatten Sie mir bitte die Behauptung, dass Sie lang genug auf der Welt sein dürften, um zu wissen, dass weder eine Institution noch eine Person auf dieser Welt (vor allem weltanschaulich) unabhängig sind.

    Gerade für eine Journalistin setze ich dieses Wissen voraus. Die Philosophen hatten bereits festgestellt, dass das Sein das Bewußtsein bestimmt.

    Ich nehme anmaßender-und einfacherweise einmal an, es existieren drei Grundanschauungen. Die einen sind dafür, die anderen dagegen. Der Rest ist weder/noch, zum Teil deshalb, weil ihnen die Medien des jeweiligen Systems ihre Gehirne aufs Abstellgleis geschoben haben.

  • H
    Herbert

    Ein peinlicher und sachlich falscher Kommentar!

    Des Gericht hat lediglich die Modalitäten der Untersuchungshaft und deren Begründung moniert, aber nicht das Urteil und die Haft, also eine klare Niederlage für Frau T.

    Vielleicht erklärt die angeblich so linke taz dem einfachen Brüger der Ukraine mal, wie Frau T. innerhalb von 7 Jahren in einem relativ armen Land ein Vermögen von 4,2 Milliarden anhäufen konnte. Das Stichwort ist Korruption (oder Diebstahl von Volksvermögen).

  • U
    Ursula

    Wieder mal ist die pathologische Ostfeindlichkeit eines solchen EU- gesteuerten Gerichts aktenkundig. Mehr nicht.Peinlich nur, dass sich die taz ausgerechnet auf die Seite von Leuten stellt, deren

    verbrecherische Bestechlichkeit in der Ukraine

    sprichwörtlich ist, die mit ihren westeuropäischen

    Amigonetzwerken das Land um Milliarden Dollar brachten -u.a. für eine nie gebaute Ölpipeline nach Deutschland-.Wer da mit Justiz-und Rechtsfreiheiten

    in Kommentaren jongliert, sollte erst einmal dafür sorgen helfen, dass in Deutschland die Betrüger nicht

    länger Kautionsfreigänger bleiben dürfen und es bei Prozessen das f r e i e Recht der Presse auf Teilnahme gibt !Dieser Timoshenko wurde sogar mit Geldern des deutschen Steuerzahlers eine exklusivere

    Gesundheitsbetreuung zuteil als jedem ehrlichen

    Rentner hierzulande !!Fragen sie mal bei der Charite

    nach, wie medizinisch dringlich das war.....

  • L
    logig

    "Willkür jetzt aktenkundig", woher nimmt die Redakteurin diese reißerische Schlagzeile, aus dem Urteil und teilweise auch dem Artikel geht das nicht hervor. Die Kritik des Gerichthofes richtet sich ausschließlich gegen die auch lt. ukrainischer Gesetzlichkeit unbegründete Untersuchungshaft sowie die dadurch mögliche Vorverurteilung und keineswegs gegen die Verurteilung der Timoschenko deren ungesetzliche Handlungen (z.B.Gasverträge)nachgewiesen sind. Bisher glaubte ich die TAZ würde sich von anderen Medien durch Sachlichkeit und korrekte Berichterstattung auszeichnen - leider habe ich mich getäuscht!

  • H
    Horsti

    Ist die deutsche Justiz etwa unabhänig?

    Ich erinnere da mal an den Fall Mollrath.

  • KP
    korrupte Politiker

    Korrupte Politiker und Oligarchen gehören einfach in den Knast... Egal ob der Prozess politisch motiviert ist oder nicht.

    Dass die europäische Institutionen und Politiker das anders sehen, ist sonnenklar.

  • HW
    Helmut Wolff

    "Deshalb sollten sich alle diejenigen, die jetzt die sofortige Freilassung der „politischen Gefangenen“ Timoschenko fordern und sich dabei auf den jüngsten Urteilsspruch aus Straßburg beziehen wollen, lieber in vonehmer Zurückhaltung üben."

     

    "Oder erkennt er an, dass im Fall Timoschenko fundamentale Rechte verletzt wurden, was eine unverzügliche Freilassung zur Folge haben müßte?"

     

    Was denn nun?

     

    Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte bezieht sich übrigens ausschließlich auf die Verhängung der Untersuchungshaft und nicht auf den Prozess und dessen Urteil an sich. Es gibt also absolut keinen Grund für eine Freilassung.

  • A
    Arne

    "Oder erkennt er an, dass im Fall Timoschenko fundamentale Rechte verletzt wurden, was eine unverzügliche Freilassung zur Folge haben müßte?"

     

    Häh? Das Gericht hat festgestellt, dass sie unrechtmäßig in Untersuchungshaft saß, nicht dass sie zur Zeit unrechtmäßig wegen einer strafbaren Handlung sitzt. Ihr steht Schadensersatz deswegen zu, aber keine Freilassung. Weil jemand unrechtmäßig in U-Haft saß, heißt das nicht, dass er unschuldig ist und nicht verurteilt werden darf. Muss der Kindermörder Görgen jetzt auch unverzüglich freigelassen werden, weil ihm widerechtlich Folter angedroht wurde??? Oder ist es, dass er noch einsitzt auch eine "eine klare Absage an wirkliche Reformen und demokratische Werte"???

  • IN
    Ihr Nameegal

    soweit kommts noch das diese verbrecherin frei kommt und das nur um russland und seinen verbündeten zu schaden.sie stand 2 jahre auf der fahandungsliste von interpol.ihr berater wurde in den usa wegen mordes verurteilt,man prüft noch sie wegen beihilfe zu belangen.richterbestechung und mafiöse strukturen in ihren familienclan zeichen die ehemalige vidiothekbesitzerin aus.sie schafte es in 5 jahren von einer kleinunternehmerin fast zur millardärin.

  • WS
    winston smith

    Wie soll die ukrainische Justiz auch unabhängig sein, wenn dies nicht einmal die deutsche ist?

  • GB
    Gilchid Blumenbaum

    Wenn es um russische und ukrainische MilliardärInnen geht, entdecken unsere Hofberichterstatter und Lohnschreiber plötzlich ihr investigatives Äderchen und halten die Fahne der journalistischen Freiheit hoch.

    Da werden großmäulige Rechtspopulisten oder 10.000 demonstrierende X5- oder Q7-fahrende Jungunternehmer als Opposition gegen Diktatoren gefeiert, da werden Todesopfer bei einer Geiselbefreiung nicht den Terroristen ("Rebellen"), die hunderte von Schülern in ihre Gewalt gebracht hatten, sondern den Sicherheitskräften angelastet, welche eine einseitige Verblendung…

     

    Erinnert mich an Ho-Chi-Minhs Ausspruch:

    "Was? Ihr wollt unser Land befreien? Haha, befreit Ihr doch erst einmal euer eigenes Land!"

  • B
    Benz

    Ich verstehe diesen Artikel ehrlich gesagt nicht. Im Strassburger Urteil steht nichts davon, dass die Verurteilung Julias politisch motiviert oder gar willkürlich gewesen sei. Julia ist in diesem Punkt vor Gericht erneut unterlegen, und auch in den meisten anderen Klagepunkten wurde ihr nicht Recht gegeben. Warum ist dann der Artikel mit ''Jetzt ist die Willkür aktenkundig'' überschrieben?

     

    So nebenbei: Dass eine verurteilte Kriminelle in zahlreichen westeuropäischen Medien lautstark gefeiert und mit viel Propaganda unterstützt wird, hinterlässt bei mir einen ziemlich unangenehmen Nachgeschmack.