Kommentar EGMR-Urteil zu Timoschenko: Die Willkür ist jetzt aktenkundig

Das Urteil des Straßburger Gerichts stellt fest, dass Ukraines Justiz nicht unabhängig ist. Kommt es nicht zur Freilassung Timoschenkos, muss die EU reagieren.

Timoschenko-Anhängerin mit dem Konterfei der Politikerin bei einer Soli-Demo im März in Kiew. Bild: dpa

Ein Sieg auf der ganzen Linie ist der Urteilsspruch des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte für Julia Timoschenko ganz sicher nicht. Dabei geht es nicht in erster Linie um diejenigen Beschwerdepunkte, wie Mißhandlung in der Haft, mit denen die ukrainische Oppositionspolitikerin in Straßburg keinen Erfolg hatte.

Vor allem geht es um die juristische Feststellung, dass der gesamte Prozess eindeutig politisch motiviert gewesen sei. Dies ist beim besten Willen nicht aus dem Urteil herauszulesen. Deshalb sollten sich alle diejenigen, die jetzt die sofortige Freilassung der „politischen Gefangenen“ Timoschenko fordern und sich dabei auf den jüngsten Urteilsspruch aus Straßburg beziehen wollen, lieber in vornehmer Zurückhaltung üben.

Dennoch ist die Gerichtsentscheidung auch eine Genugtuung - nicht nur für Timoschenko, sondern für alle Menschen in der Ukraine. Einmal mehr ist jetzt aktenkundig - und das von höchster Stelle -, dass von einem Rechtsstaat mit einer unabhängigen Justiz in der Ukraine keine Rede sein kann, sondern Gesetzlosigkeit und Willkür herrschen sowie Menschenrechte verletzt werden.

Die entscheidende Frage ist jetzt, wie die ukrainische Regierung und dabei vor allem Staatspräsident Wiktor Janukowitsch auf das Urteil reagieren werden. Übt sich Janukowitsch in Ignoranz, so wie Russlands Staatschef Wladimir Putin das kaltschnäuzig mit Entscheidungen aus Straßburg tut? Oder erkennt er an, dass im Fall Timoschenko fundamentale Rechte verletzt wurden, was eine unverzügliche Freilassung zur Folge haben müßte?

Anders als im Fall des ehemaligen Innenministers Juri Lutzenko, der unlängst begnadigt und aus der Haft entlassen wurde, lehnt Janukowitsch bisher eine Freilassung Timoschenkos strikt ab. Bleibt er dabei, so ist das nichts anderes als eine klare Absage an wirkliche Reformen und demokratische Werte. Brüssel, das immer noch ein Assoziierungsabkommmen mit Kiew in der Schublade liegen hat, sollte dieses unmissverständliche Signal zu deuten wissen.

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Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.

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