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Kommentar DIW-PrognoseElend der Wirtschaftswissenschaften

Kommentar von Nicola Liebert

Das Forschungsinstitut DIW möchte für das nächste Jahr keine Prognose wagen - und verschließt die Augen vor der Wirklichkeit.

D er Boom geht weiter! So bejubelte die Presse vor zwei Jahren das Frühjahrsgutachten der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute, das für 2007 und 2008 je 2,4 Prozent Wachstum versprach. Drei Monate später, im Juli 2007, begann mit der Pleite zweier US-Hedgefonds die Finanzkrise. Vor einem Jahr glaubten die Wirtschaftsforscher immer noch an 1,8 Prozent Wachstum in 2008 (tatsächlich wurden es 1,3 Prozent) und an 1,4 Prozent in 2009 (jetzt werden minus 5 Prozent erwartet).

Es ist keineswegs nur die Unberechenbarkeit der Finanzkrise, die die Ökonomen ins Stolpern bringt. Im Frühjahr 2000 etwa sagten sie für 2001 ein Wachstum von 2,8 Prozent voraus. Es wurden nur 0,6 Prozent. Ein Jahr später lag die Prognose bei 2,2 Prozent, die Realität bei 0,2 Prozent. Man könnte mit einem Kopfschütteln darüber hinweggehen, würde nicht basierend auf solchen Prognosen und den dahinter stehenden theoretischen Annahmen reale Wirtschaftspolitik betrieben.

Über „das Elend der Philosophie“ lästerte einst Marx. Er meinte die Theorien des Anarchisten Proudhon, der die realen wirtschaftlichen Zusammenhänge nicht begriffen habe. Heute würde Marx vermutlich das Elend der Volkswirtschaftslehre beklagen. Diese kann einpacken, wenn sie nicht anfängt, über ihre ökonometrischen Modelle hinaus die Wirklichkeit wahrzunehmen. Neue Situationen wie die derzeitige Kreditklemme werden in den Modellen gar nicht oder erst verspä- tet berücksichtigt. Auch dass Marktteilnehmer nicht nur rational, sondern auch emotional handeln – der Begriff der Börsenpanik deutet es an –, wird trotz mehrerer Nobelpreise für entsprechende Theorien weitgehend ignoriert. Psychologie lässt sich halt schlecht mit dem Computer berechnen. Harte Ökonomen tun sie als „weiche“ Wissenschaft ab.

Das Berliner Forschungsinstitut DIW kapitulierte jetzt vor der Realität und legte sich für nächstes Jahr auf keine Zahl mehr fest. Es wäre schön gewesen, wenn die Wirtschaftswissenschaftler nicht nur ihre Unfähigkeit, längerfristige Prognosen zu erstellen, eingestanden hätten, sondern auch offensiv die Probleme thematisieren würden, die dahinter stehen.

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6 Kommentare

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  • M
    Max

    Worauf möchte der Artikel hinaus? Prognosen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen?

     

    Allen Ökonomen ist klar, und besseren Journalisten sollte es auch sein, dass "Konjunkturprognosen" prinzipbedingt ungenau sind und höchst selten exakt zutreffen -- erst recht wenn extreme externe Schocks die Wirtschaft aus dem Gleichgewicht werfen. Aber all das mindert nicht die nützlichkeit und notwendigkeit derlei Prognosen: Sie sind genau dann nützlich, wenn sie ein genaueres Bild erlauben als ohne sie oder nach "Pi mal Daumen" möglich wäre. Und hier sind sie viel besser als ihr Ruf: Simple Regeln á la "morgen wird's genauso wie heute" schlagen sie deutlich.

     

    Das "Prognosen" nicht exakt sind ist geradezu ein absurder Vorwurf denn das versteht sich von selbst.

    Wenn das DIW jetzt seine Prognose einstellt ist das wohl hauptsächlich ein billiger PR Trick -- ansonsten sind Konjunkturprognosen, die zB für die sinvolle Erstellung eines Bundeshaushalts unerlässlich sind, nützlich und hilfreich -- und vor allem viel besser als ihr ruf.

     

    Einem Journalisten, der gut recherchiert statt nur billige Populismuspunkte zu sammeln, wäre das wohl auch aufgefallen

  • IN
    Ihr Name chrescht beneke

    Die Hintergründe zum DIW wurden gestern schon bei den nachdenkseiten aufgezeigt. "Das DIW macht mit seinem Verzicht aus seiner Not eine Tugend. Dieses Institut ist aus dem Gemeinschaftsgutachten wegen mangelnder Qualität herausgeflogen. Der Chef des DIW, Klaus Zimmermann, hatte das ehemals vom Mainstream abweichende Institut in die neoliberale Phalanx der Forschungsinstitute eingereiht und Gustav Horn, den heutigen Leiter des IMK, mit ziemlich üblen Methoden rausgeworfen; auf dem Feld der Konjunkturforschung verlor das DIW daraufhin seinen wissenschaftlichen Ruf. Mit dem Rauswurf als Gemeinschaftsgutachter floss natürlich auch kein öffentliches Geld mehr. Von daher dürfte der Verzicht auf ein eigenes Konjunkturgutachten ziemlich leicht gefallen sein."

  • F
    Franz

    Warum thematisieren die Wirtschaftswissenschaftler nicht endlich die wirklichen Probleme? Dann müssten sie sich und der Öffentlichkeit eingestehen: Das System ist das Problem!

    Wer macht sich schon gerne selbst überflüssig?

    Zumal, wenn man sehr gut bezahlt wird und von Arbeitslosigkeit nicht bedroht ist? ...

     

    Haben sie die Lösung?

    Oder sind sie selbst ein Teil des Problems?

  • AD
    Axel Dörken

    Wer nicht ständig das gesamte System hinterfragt und mehr und mehr von der Pauschalisierung abweicht, der wird eben regelmäßig Krisen erleben, die systembedingt sind. Und er wird erleben, dass die nächste Krise stets umfassender ist als die vorausgegangene.

     

    Da werden Kredite noch immer nur dann vergeben, wenn der Antragsteller schlau genug ist, die Zahlen zu benennen, die der Kreditgeber lesen will.

     

    Ein Businessplan gewinnt meines Erachtens nicht an Aussagekraft, wenn er dem "Vier-Augen-Prinzip" Stand hält.

     

    Den Großteil des Businessplans macht der Unternehmer selbst aus. Denn es ist sein Geist, durch das Unternehmen beseelt wird.

     

    Aber das ist eine Terminologie, die bei Bankern, Politikern, Wirtschaftern, Finanziers noch immer auf taube Ohren trifft.

     

    Wie sage ich so gerne: Menschen, die von sich sagen, dass sie Realisten seine, sind faktisch Realtitätsverweigerer.

  • B
    Brezel

    Hans Christian Andersens Märchen „Des Kasier’s neue Kleider“, ein sehr aktuelles Märchen – der Statt in der Rolle des Kaisers, die „wissenschaftlichen Prognostiker“ in der Rolle der Hofweber, die taz in der Rolle „Stimme der Unschuld“, darin (warum eigentlich) aber noch sehr zaghaft.

  • M
    Mistral

    Genauso wie in der Philosophie, existieren auch in der Ökonomie unteschiedliche Denkschulen.

     

    So gab es mehr als genug Ökonomen die rechtzeitig vor der Krise gewarnt haben - beispielsweise Nouriel Roubini ("Dr.Doom"). Richtig ist, dass dieses Marktversagen nicht mit der neoklassischen oder monetarisitschen ("Chicago School") Lehre erklärbar ist, da ein solches Szenario dort nicht vorkommt - im Keynesianismus bzw. Post-Keynesianismus sind solche Marktungleichgewichte demhingegen bereits die Grundannahme (siehe u.a. "Minsky-Moment" nach Hyman Minsky)

     

    Allerdings wurden die wirtschaftswissenschaftlichen Diskussionen hierzulande über Jahre von den angebotsorientierten ("Trickle Down") Ökonomnen dominiert, die sich nun aus den erwähnten (weltanschaulichen) Gründen mit einer umfassenden Erklärung der Krise naturgemäß schwertun.