Kommentar Chinas Diplomatie: Die Panda-Dialektik
Die Kulleraugen von knuffigen Bären dürfen nicht von den Menschenrechtsverletzungen in China ablenken. Egal, wie süß sie sind.
Tiere gehen immer“, lautet eine alte journalistische Weisheit. Sie wird längst auch in der Politik beherzigt. Mit dem diplomatischen Einsatz seiner knuffigen Pandabären hat es das Regime in Peking dabei zur Meisterschaft gebracht. Zum zweiten Mal bekommt jetzt Berlin so ein putziges Pandapaar. Die diplomatischen Sondergesandten der Volksrepublik mit den Kulleraugen sollen vergessen machen, dass in China Zensur, Menschenrechtsverletzungen und diktatorischer Machtmissbrauch an der Tagesordnung sind.
Just in diesen Tagen dienen die Bären als propagandistisches Gegengewicht zu den Berichten über das Schicksal des seit Ende 2008 inhaftierten Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo. Er ist im Gefängnis schwer an Leberkrebs erkrankt, doch darf er China nicht verlassen, weil das Regime seine öffentliche Kritik fürchtet. Wie gut für Peking, dass die Pandas gerade jetzt ein freundliches Bild von China abgeben und so von Liu ablenken. Am Ende aber dürfte dieser Trick nicht so gut klappen, wie es sich die Pekinger Politiker erhoffen.
Es ist wahr: China besteht nicht nur aus Menschenrechtsverletzungen, ebenso wenig wie es nur Heimat süßer Pandas ist. Aber der Blick auf die Bären öffnet womöglich auch den Blick auf andere, weniger hübsche Seiten in China. Und da geschieht derzeit vieles, das große Besorgnis auslösen muss – nicht zuletzt die Brutalität, mit der kritische Geister wie der Friedensnobelpreisträger Liu und zahlreiche Bürgerrechtler behandelt werden.
Zum Verständnis Chinas, seiner Politik und Gesellschaft bedarf es eines differenzierten Blicks. Die Pandas können auch als Ausgangspunkt für eine fundierte Auseinandersetzung mit der Volksrepublik dienen. Allerdings müssen die hiesigen Politiker dafür auch bereit sein, notfalls auf die putzigen Tiere und die erhofften Millioneneinnahmen für den Zoo zu verzichten. Dreht sich alles nur um die Kulleraugen, dann gehen wir Chinas Regierung auf den Leim.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen