piwik no script img

Kommentar CastorprotesteDie Moral des Protestes

Ingo Arzt
Kommentar von Ingo Arzt

Gegen Atomkraft demonstrieren? Es gibt doch einen Ausstiegsbeschluss! Wer so argumentiert, liegt falsch – es geht um die Moral.

W er jetzt noch gegen Atomkraft und Castortransporte demonstriert, Gleise und Straßen blockiert und tagelange, Millionen Euro teure Polizeieinsätze provoziert, der hat doch was auf die Fresse verdient. Schließlich sind wir Deutschland, einig Atomausstiegsland.

So ungefähr dürfte es so manchem konservativen Politiker dieser Tage durch den Kopf gehen, wenn im Wendland das traditionelle Katz-und-Maus-Spiel zwischen Castorgegnern und Sicherheitskräften zelebriert wird. Selbst der Grüne Winfried Kretschmann findet, Protest gegen Atomkraft habe jetzt keinen Sinn mehr: Es gibt doch einen Ausstiegsbeschluss.

Nach dieser Argumentation kann man auch Pazifisten anraten, ihren Kampf für Frieden einzustellen, weil wir uns in Deutschland nicht mehr totschießen.

taz
INGO ARZT

ist Redakteur im Umwelt- und Wirtschaftsressort der taz.

Wer Atomkraft für unverantwortlich hält und Fukushima und Tschernobyl als wiederkehrende Tragödien begreift, der würde unmoralisch handeln, wenn er jetzt nicht mehr demonstrierte – und den Rest der Welt mit dem Strahlenproblem alleinließe. Zudem gilt: Solange in Europa Atomkraftwerke stehen, können wir auch hierzulande beim nächsten Super-GAU im schlimmsten Fall ganze Landstriche evakuieren.

Und was ist mit der Endlagerung in Gorleben, gegen die so kräftig demonstriert wird? Bundesumweltminister Röttgen versprach schließlich eine neue, "ergebnisoffene Suche" nach dem besten Standort, eine Forderung der Atomkraftgegner. Problem dabei: Seit Jahrzehnten ist das Thema Endlagersuche ein reines Instrument der Politik. Gorleben musste einfach funktionieren, um Atomkraft zu legitimieren.

Die Geschichte von Gorleben steckt voll Lug und Trug. Da reicht ein nett lächelnder Röttgen nicht aus, um das Misstrauen zu zerstreuen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Ingo Arzt
ehem. Wirtschaftsredakteur
Beschäftigte sich für die taz mit der Corona-Pandemie und Impfstoffen, Klimawandel und Energie- und Finanzmärkten. Seit Mitte 2021 nicht mehr bei der taz.
Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • J
    Johann

    Lieber Maik,

     

    wie wäre es denn mit dem Vorschlag: Um den Standort Gorleben nicht durch eine weitere Einlagerung zu zementieren, die zu fahrende Strecke des Castos zu verkürzen und die mittlerweile über dem Grenzwert liegende Strahlenbelastung in Gorleben nicht noch weiter zu erhöhen, wird der Atommüll in anderen deutschen Zwischenlagern eingelagert. Wie zum Beispiel in Phillippsburg. Winfried Kretschmann, Ministerpräsident BW, hatte diese Lösung jedenfalls präferiert.

  • M
    Maik

    Sehr geehrter Ingo Arzt, die Sache mit Lug und Trug kann man so sehen, das trifft auf viele Vorgänge in diesem Lande zu. Aber: wenn die Regierung nun den Castor nicht weiter nach Gorleben bringt, wo sollte dann der radioaktive Mist ganz aktuell nun hin? Auf der Strecke bleiben oder zuvor in Frankreich? Wie auch SPD/Grüne während ihrer Regierungszeit erkannten, ist das Zeug da. Deshalb riefen die Grünen ihre "Freunde" auch auf, nicht zu demonstrieren und fuhren das Zeugs ebenfalls nach...Gorleben. Nun legt Merkel AKWs still, steigt aus der Atomkraft aus...wohin nun also mit dem Mist bis zu einer endgültigen Lösung? Um zu deeskalieren, würde ich an Merkels Stelle den Transport vor einer Blockade stehen lassen und auf aktuell vorhandene sofortige Lösungsansätze warten....(was real an der Gefahrenquelle Atomstrahlung scheitert)

  • IA
    Ingo Arzt

    Hallo Joe,

     

    wir können leider nicht in jeden Text alles schreiben und hier handelt es sich um einen kurzen Meinungsbeitrag, deshalb steht "Kommentar" drüber. Aber dir stehts es natürlich frei, dich mit dem Thema Gorleben und der Art und Weise, wie das womögliche Endlager als Endlager ins Gespräch kam, auseinanderzusetzen. Ich persönlich komme, nachdem ich mich lange und intensiv mit dem Thme beschäftigt habe, zu dem Schluss, dass es sich eben um eine Geschichte voller Lug und Trug handelt. Ich empfehle u.a. diesen Text:

    http://taz.de/Zeitzeugen-im-Untersuchungsausschuss/!80780/

     

    Es grüßt,

     

    Ingo Arzt

  • J
    Joe

    was meint der Propagandist Arzt damit wenn er schreibt:"Geschichte von Gorleben steckt voll Lug und Trug" Bitte Schreiberling: Sag was du meinst! Was genau und zwar ganz genau ist Lug und Trug? .....ach so, nur weil nicht sein kann, was nicht sein darf....

  • D
    drubi

    Klar, es geht um Moral, darunter tun wir's sowie so nicht. Meiner Erfahrung nach kommen meisten solche mit der Moral daher, die zu dumm sind, die vernünftigen Argumente, die es ja gibt, vernünftig zu formulieren. Nicht selten, weil sie sie selbst nicht verstehen. Eben jene, denen "Moralpredigten" in anderen Zusammenhängen auf den Wecker gehen, verfallen dann ausgerechnet, wenn um die Verteidigung ihre eigenen persönlichen Vorlieben geht, auf den Notausgang Moral. Sehr überzeugend diese Möchtegern-68, und so sympathisch ...

  • D
    drubi

    Es tut mir leid, aber ich kann nicht mehr erkennen, dass es bei den Protesten um die Sache eines Ausstiegs aus der Kernenergie geht. Es läuft ab wie ein sehr teures Freizeitevent für Hobby-Oppositionelle und Berufskrawallierer. Es ist in keiner Weise erkennbar, dass damit mehr Bürgern vermittelt werden soll, worum es geht und weshalb einige Vorgänge um Gorleben und Asse wirklich empörend sind. Jede Fronleichnamsprozession ist sinnvoller als das hier gezeigte stupide öffentliche Vorsichhertragen persönlicher Meinungen und Gesinnungen. Es geht dabei kaum darum, mit Mitbürgern zu diskutieren sondern vor allem, sich mit seiner Gesinnung öffentlich als erleuchtet und aufgeklärt zu prostituieren. Eine nicht wirklich neue Übermensch-Variante.

  • H
    hto

    Welche Moral? - es geht um Gewissenberuhigung, Kompensation von Ohnmacht, Interessen-Vertretung, Hip sein, anders sein, um blödsinnigen Wettbewerb in der Konfusion durch Überproduktion von Kommunikationsmüll!

     

    Protest, Demonstrationen, Forderungen und / oder Mahnungen an die Adresse der "Treuhänder" der leichtfertig-übertragenen Verantwortung durch Kreuzchen auf dem Blankoscheck und ..., ist systematisch-systemrationale Funktionalität der gutbürgerlich-gebildeten Suppenkaspermentalität auf Sündenbocksuche, die keinen der Profitler dieses entmenschlichenden Systems auch nur beunruhigt.