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Kommentar CDU-ParteitagAb durch die Mitte

Kommentar von Jens König

Ein einziger Trick genügte Kanzlerin Angela Merkel, um die inhaltliche Beliebigkeit ihrer Partei wie Klarheit aussehen zu lassen.

Bild: taz

JENS KÖNIG ist Leiter des Parlamentsbüros der taz.

Was für ein gerissener Auftritt Angela Merkels! Die CDU-Vorsitzende wendete auf dem Programmparteitag in Hannover einen einzigen kleinen, schmutzigen Trick an. Und schon sah es so aus, als habe ihre Partei kein Orientierungsproblem mehr - als wisse sie ganz genau, welche Politik für dieses Land die richtige sei.

Merkel erklärte die CDU einfach zum Synonym für "Mitte" und, umgekehrt, die "Mitte" zum Synonym für CDU - fertig war ihre Grundsatzrede. "Da, wo die Mitte ist, sind wir", sagte sie. "Und da, wo wir sind, ist die Mitte." Noch Fragen?

Diese Sätze sind eine Unverschämtheit? Ja. Sie sind außerdem Blödsinn? Natürlich. Aber sie sind auch verdammt clever. Merkel schuf mit ihnen die Voraussetzung dafür, dass die inhaltliche Beliebigkeit der CDU plötzlich wie Klarheit aussah. Kampf gegen sittenwidrige Löhne und Ablehnung eines allgemeinen Mindestlohns, Verteidigung des Rechtsstaats und Einsatz der Bundeswehr im Innern, Nachhaltigkeit der Energieversorgung und Festhalten an der Kernenergie - all das ist vernünftig, all das ist "Mitte", all das ist CDU.

Widersprüche zwischen einzelnen dieser politischen Forderungen? Existieren für Merkel nicht. Ihre Welt ist ein hermetisch geschlossenem System. Darin erscheint das Selbstbewusstsein der Partei als Ergebnis einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung: Die CDU ist deshalb so stark, weil sie sich stark fühlt. Sie ist so erfolgreich, weil sie Erfolg hat. Zu einer solchen kollektiven Selbstsuggestion wäre eine weltanschaulich geprägte Partei wie die SPD gar nicht in der Lage.

Eine pragmatische, unideologische Partei wie die CDU hingegen sieht großzügig über ihre Identitätskrisen hinweg. Sie beschloss in Hannover mit großer Mehrheit ein neues Grundsatzprogramm, das die Frage, was soziale Marktwirtschaft in einer globalisierten Welt eigentlich ausmacht, nicht einmal im Ansatz beantwortet.

Merkels Mitte-Bohei funktioniert, so überdreht er auch wirkt. Erst wenn die Kanzlerin ihrer Partei keine Wahlsiege mehr garantiert, wird die CDU von ihren Selbstzweifeln übermannt. So lange gilt: Die Mitte ist da, wo der Erfolg ist, darum ist die Mitte der Platz der CDU.

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