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Kommentar BürgerbeteiligungZu spät ist nicht zu spät

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Oft wehren sich Bürger erst, wenn alles beschlossen ist. Pech gehabt? Nein. Die Politik muss eine nachholende Bürgerbeteiligung anbieten.

Bei politischer Fehlentscheidung: Menschenkette. Bild: Pinnwand / photocase.com

Stuttgart 21" ist kein Einzelfall. Immer wieder kommen Bürger und Bürgerinnen mit ihrem Protest viel zu spät. Oft wacht die Masse erst auf, wenn die Parlamente längst entschieden haben, die Verwaltung geplant hat und vor Gericht bereits alles überprüft worden ist. Die Frist für Einwände ist dann schon jahrelang verstrichen, Experten und Initiativen sind angehört worden, oft sogar mehrfach. Es also legitim, dass es endlich losgehen soll mit dem Bau des Projekts.

Wut ist nicht berechenbar

Doch trotzdem stehen da auf einmal diese wütenden Bürger da, sind nicht einverstanden, hätten alles ganz anders gemacht und schimpfen auf die Politiker. Richtig beeindruckend wird der Protest oft erst, wenn Zäune aufgestellt, Bagger positioniert und Bäume gefällt werden. Manchmal bekommen Umweltschützer so doch noch die breite Unterstützung, die sie sich schon viel früher gewünscht hatten.

Bild: taz

CHRISTIAN RATH ist rechtspolitischr Korrespondent der taz. Er lebt und arbeitet in Freiburg.

Als Gegenmittel empfehlen Politologen gerne mehr Teilhabe und Transparenz im Vorfeld von Entscheidungen. Man müsse die Bürgerinnen rechtzeitig ernst und mitnehmen. Je demokratischer das Verfahren von Beginn an, desto höher am Ende die Akzeptanz.

Doch die Bürger wollen nicht ständig partizipieren. Die bereits heute vielfältigen Möglichkeiten, sich einzubringen, werden ganz bewusst ignoriert, nicht aus Unkenntnis. Sie überlassen das laufende Geschäft gerne der Politik und den Interessenverbänden. Ob und wann sie selbst laut werden, ist schwer vorherzusagen.

So gesehen könnte eine weitere Verbesserung der Vorfeld-Demokratie sogar kontraproduktiv wirken. Denn natürlich werden auch in Zukunft viele Massenproteste "zu spät" kommen. Sie müssten sich dann aber auch noch vorhalten lassen, dass die Bedingungen für frühzeitige Einflussnahme nun wirklich optimal waren. Es gäbe also kaum weniger verspätete Proteste, sie könnten nur leichter abgebügelt werden.

Dabei sind verspätete Massenproteste vielleicht sogar die zwangsläufige Folge unserer Art, besonders gründlich, arbeitsteilig und langfristig zu planen. Die für kollektiven Aufruhr notwendige Alarmstimmung kommt eben selten auf, wenn der Baubeginn noch sieben Jahre in der Zukunft liegt.

Um das Spät-Engagement der Bürger doch noch produktiv zu nutzen, brauchen wir also Formen nachholender Bürgerbeteiligung. Wenn der Protest eine gewisse Masse erreicht hat, sind offensichtlich noch dringende Fragen offen und ist die Legitimation offenbar noch zu fragil.

Dabei sind zwei Konstellationen zu unterscheiden. Im einfacheren Fall wird über das "Wie" des Projekts gestritten. Hier kann man sich noch einmal an einen runden Tisch setzen, mit oder ohne Schlichter, und an den Plänen feilen. Vielleicht gibt es tatsächlich bisher übersehene Aspekte, die berücksichtigt werden können. Oder es wird ein neuer ausgewogener Kompromiss gefunden, der der Konfrontation die Spitze nimmt.

Last Exit Volksentscheid

Solche Formen der Mediation machen aber wenig Sinn, wenn ein Projekt an sich in Frage gestellt wird, wenn es also um das "Ob" des Vorhabens geht. Ein Kompromiss ist dann kaum möglich. Entweder der Bahnhof wird unter die Erde gelegt oder eben nicht. Neue Konsensgespräche kosten hier nur sinnlos Zeit, die nach jahrelanger Planung eh schon knapp ist.

Noch schlimmer: Solche Gesprächsrunden nutzen zwingend der einen oder der anderen Seite. Wenn Bautätigkeit und Auftragsvergabe ungebremst weiterlaufen, hilft jeder verstreichende Monat dem Projektbetreiber, denn dies schafft Fakten und treibt den Preis für einen Ausstieg in die Höhe. Dagegen nützen Gespräche mit Bau- und Vergabestopp einseitig den Kritikern. Der Stillstand bringt die Planungen durcheinander und erhöht damit die Kosten.

Fair und effizient ist hier deshalb nur eine schnelle neue und legitimere Entscheidung - typischerweise durch einen Volksentscheid, denn das repräsentative System hat den Konflikt ja ersichtlich nicht lösen können. Eine Volksabstimmung hat in dieser Situation ein zusätzliches Legitimationspotenzial, weil sie die Kritiker als Akteure einbindet: Sie können per Volksbegehren die Abstimmung erzwingen, sie können dann für ihre Sicht werben und dürfen schließlich auch noch selbst mit abstimmen.

Abwehrreflexe abwehren

Um diesen Weg gehen zu können, ist allerdings ein entsprechender rechtlicher Rahmen erforderlich. In Baden-Württemberg fehlt dieser Rahmen noch, hier sind die Hürden für einen Volksentscheid unüberwindbar hoch, während direkte Demokratie auf Bundesebene laut Grundgesetz bisher nicht einmal vorgesehen ist.

Damit wird auch auf die Möglichkeit verzichtet, verspätete Massenproteste demokratisch aufzufangen. Es besteht aber die Gefahr, dass eine Protestbewegung ohne faires institutionelles Angebot resigniert und/oder gewalttätig wird. Beides ist für die Demokratie nicht wünschenswert.

Die Union scheint damit keine Probleme zu haben. Von dort war jüngst eher die Sorge zu hören, Deutschland werde unfähig zu ambitionierten Projekten, wenn Bürgerproteste zu oft Erfolg haben. Doch das ist nur Theaterdonner im Kampf um "Stuttgart 21". Schließlich gibt es nicht gegen jedes Infrastrukturprojekt einen vergleichbaren Aufruhr. Und wenn es zu einer Volksabstimmung käme, wäre ja keineswegs gesagt, dass die Regierung verliert. Sie nimmt für sich schließlich in Anspruch, die besseren Argumente zu haben, und sollte deshalb keine Angst vor der Abstimmung haben.

Natürlich muss verhindert werden, dass nur nach lokalen Abwehr-Reflexen entschieden wird. Doch dafür genügt es, die Abstimmungen auf der Ebene abzuhalten, die das Projekt ursprünglich beschlossen und geplant hat. Dann hat das Prinzip "Lieber St. Florian, zünde lieber das Haus meines Nachbarn an" wenig Chancen.

Michail Gorbatschow sagte einst: "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben". Da ist was dran: Wer sich rechtzeitig einmischt, hat immer größeren Einfluss. Die Demokratie kann es sich aber nicht leisten, wütende Nachzügler nur zu tadeln, ohne ihnen zugleich auch ein faires Angebot zu machen.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

35 Kommentare

 / 
  • L
    Lucia

    @ CHRISTIAN RATH:

     

    „...Doch trotzdem stehen da auf einmal diese wütenden Bürger da, sind nicht einverstanden, hätten alles ganz anders gemacht und schimpfen auf die Politiker...“:

     

    Wenn das so ist, und selbst der Leader einer Ex-Volkspartei mal die Parole ausrief:

    „Mehr Demokratie wagen“,

    warum zum Kuckuck werden alle Umfragen zum Türkei-Beitritt von Politikern und taz ignoriert???

    Bürgerbeteiligung?...

  • B
    Berber

    von Euromeyer:

    Wie soll der ökologische Umbau erfolgen, wenn jedes Windrad und jede Überlandleitungleitung verhindert werden können soll?

     

    Indem diese Bauprojekte gar nicht verhindert werden, obwohl sie theoretisch verhindert werden koennten. Nicht jeder will ueber ein hypothetisches Windrad in meinem Garten abstimmen. Ich haette als -hypothetischer- Technologieverweigerer schwere Karten einen Landesweiten Volksentscheid zu gewinnen.

    Wie der Autor schreibt, muesste der Entscheid immer auf der hoeheren Ebene stattfinden.

     

    In der Tat kommt es hier sehr wohl auf das "Feintuning" eines -leider auch hypothetischen- Mehr an direkter Demokratie in der jeweiligen Verfassung an. Welche Ebene entscheidet in welchem Bereich? Darf diese Frage ebenso direkt entschieden werden? Leider hat sich seit Brandts "mehr Demokratie wagen" nicht wirklich viel getan. Das Volk bemerkt eben diesen Umstand, und sieht in S21 ein Paradebeispiel fuer die Schwaeche der Repraesentanten.

    Dies fuehrt zu der oft als "Politikverdrossenheit" verkauften Repraesentiert-und-ignoriert-sein-Verdrossenheit, die sicher schaedlicher ist, als die Schwaechen der dirketen Demokratie.

  • SS
    Stefan Scholl

    Zum Thema "Zu spät" interessiert vielleicht diese Videoaufnahme von 1997: http://www.archive.org/details/Stuttgart_1997&reCache=1

     

    -->

    Stuttgart 1997. Im Rahmen einer "Offenen Buergerbeteiligung" zu Stuttgart 21 kommt der Unmut vieler Anwesender zum Ausdruck, die sich sich um die Moeglichkeit eines grundsaetzlichen Buergerentscheides ueber das Projekt gebracht sehen.

  • L
    Lenz

    Bürgerbeteiligung zu Stuttgart 21 im Jahre 1997. Video zu den Partizipierungsmöglichkeiten der Stuttgarter Bürger

     

    http://www.archive.org/details/Stuttgart_1997

  • E
    Euromeyer

    Natürlich setzt die Politik oft fast heimlich Unpopuläres durch, um sich den Ärger mit dem Volk zu ersparen.

    Natürlich sind maßlose Budgetüberschreitungen ein eklatantes Ärgerniss.

    Aber der Glaube dass Millionen schlagzeilen Gebildeter und Jünger des Sankt Florian Prinzips per se eine `bessere und gerechtere` Sichtweise als Volkssvertretungsausschussmitglieder haben müssen ist leider unwahr.

    Solange das einzig einende Prinzip das Neinsagen und die Furcht vor Neuem ist, kann und darf man nicht Totalverhinderungsinstrumente zulassen. Und wie man fast überall sah, sind verbindliche Volksentscheide ein Garant totalen Stillstandes.

    Es ist doch blos ein Provinzbahnhof und in 20 Jahren weint niemand mehr dem Alten eine Träne nach. Kein Endlager wird errichtet und kein Grosskunstwerk oder Tierart wird vernichtet.

    Blos der Status Quo angerührt-Traurig, dass das ausreicht einen Volksaufstand anzuzetteln.

     

    Wie soll der ökologische Umbau erfolgen, wenn jedes Windrad und jede Überlandleitungleitung verhindert werden können soll?

  • S
    Seppel

    Das ist ja eine nette Idee, aber wie soll das denn bitte praktisch funktionieren?

    Aufträge vergeben, Verträge schließen, alle mit einer Ausstiegsklausel für einen eventuellen Volksentscheid?!? Wie sollen denn Unternehmen mit dem Risiko klarkommen?

    Sie gewinnen eine Ausschreibung, planen, stellen ein, beginnen vielleicht sogar schon, aber dann: BÄMM Volksentscheid?

    Der Bürger ist mündig und auch so zu behandeln. Stuttgart 21 ist nun seit Jahren ein Thema in den Medien und wirklich das einzige, was die Forderung nach einer Erneuerung der Legitimation rechtferitg ist, dass sich die Fakten, einschätzungen und vorallem der Preis massiv von der Grundlage unterscheidet, auf der der Beschluss gefasst wurde.

    Aber in die in diesem Artikel geforderte grundlegende Veränderung würde es unmöglich machen, sich auf getroffene Entscheidungen zu Verlassen, eine Sicherheit, von der vieles abhängt.

  • JK
    Jonas Kramer

    Sehr interessante Betrachtung. Nur übersieht sie, dass hier ein 15 Jahre alter Plan, der von inzwischen völlig überholten Bedingungen ausgeht, zu einem Mehrfachen der projektierten Kosten nun in Form eines hirnlosen Gewaltaktes umgesetzt werden soll. Dagegen protestieren die Bürger, gegen dieses sinnlose Geld-Verbrennen für veraltete Konzepte, die dann wie zum Hohn auch noch als 'zukunftsweisend' angepriesen werden.

     

    Wir erinnern uns - als der Plan um ca. 1994 entstand, ging man davon aus, dass spätestens bis 2000 umfangreiche Neubaustrecken republikweit existieren, denen eben der Knoten Stuttgart angepasst werden sollte. Heute, zehn Jahre später, existieren diese Strecken immer noch nicht, ebensowenig die Aussicht, dass sie 2020 oder 2030 ähnlich wie damals geplant existieren werden. Also fällt auch die Ampassung des Stuttgarter Bahnhofs an diese Strecken als Bedarf aus.

     

    Lieber Autor, sehen Sie die heutigen Proteste doch einfach mal als Reaktion auf unsinnigen Aktionismus, als Produkt des Mitdenkens, als völlig logische Konsequenz der Tatsache, dass 15 Jahre alte Projekte nicht die Antwort auf heutige Fragestellungen sein können. Dann wird Ihnen sicherlich klar, warum heute gegen das Vorhaben protestiert wird, dies vor zehn Jahren jedoch noch nicht stattfand.

  • HK
    H. Krause

    Sorry, wenn das Wirklichkeit wird, wandere ich aus...erst investieren, genehmigen, dann wird protestiert, zurück genommern, Verträge gebrochen, geklagt, gewonnen, verloren....welche Gesellschaft soll das aushalten ??

    Ja, wer zu spät kommt....und ich finde, die Demonstranten kommen mit Ihren Wünschen viel zu spät.

  • HF
    Helmut Frosch

    Bei allem Wohlwollen für das Anliegen der S21-Gegner meinen auch Sie anscheinend, dass die Proteste "eigentlich zu spät" kommen. Tatsache ist aber, dass schon im November 2007 über 60000 Unterschriften für ein Bürgerbegehren in Stuttgart vorgelegt wurden. Dieses wurde im Gemeinderat abgelehnt mit der Begründung, dass bestehende Verträge gebrochen werden müssten, so auch ein folgender Gerichtsentscheid.

    Diese Verträge wurden von OB Schuster unterschrieben während die Unterschriftensammlung noch lief, was als "treuewidrig" (so ein juristisches Gutachten) anzusehen ist. Wie dem auch sei, es war ein übler Verfahrenstrick, um damals schon einen Bürgerentscheid zu sabotieren.

    Sie haben ja recht, wenn Sie schreiben, dass in BaWü die Hürden für einen Bürgerentscheid extrem hoch liegen, aber sie wurden dieses Jahr in Konstanz (Bürgerentscheid gegen ein Kongresszentrum) und Heidelberg (Bürgerentscheid gegen einen Anbau an die historische Stadthalle) überwunden. Auch in Stuttgart wäre dies bei einem fairen Verfahren möglich gewesen.

    Meine Wahrnehmung geht dahin, dass nicht die Bürger zu spät angefangen haben zu protestieren, sondern dass die Medien über diese Proteste erst dann berichtet haben, als diese wirklich spektakulär wurden.

  • OK
    Oma Kruse

    Ich muss schon sagen, Herr Rath, sein haben ein merkwürdiges Demokratieverständnis: Wozu Parlamente da sind, erschließt sich Ihnen anscheinend genauso wenig wie anno dunnemal Wilhelm dem Zwoten; Schwatzbuden?

     

    Jeder Bürger kann wählen, jeder Bürger kann sich wählen lassen und jeder einzelne, verdammte Lobbyverband wird bei einem Großprojekt wie S21 angehört und wem erst nach 30 Jahren einfällt, dass er dagegen ist, der hat halt Pech gehabt.

     

    Unsportlich finde ich es auch, wenn jene, die demokratisch überstimmt wurden, nun versuchen, durch den Druck der Straße eine Entscheidung in Ihrem Sinne zu erreichen.

     

    Mir scheint, dass unsere Gesellschaft in zunehmendem Maße vergreist und der einzige Wunsch ist, dass sich bloß nichts ändert. Ist das links? Nein, das ist einfach konservativ und ein Armutszeugnis.

     

    Auf jeden Fall ist es lächerlich, dem faulen Pack, das sich nicht an der Demokratie beteiligen will, auch noch den Arsch hinterherzutragen.

  • A
    Anna

    Meiner Meinung nach haben die Medien komplett versagt. Wie soll man als normaler, arbeitender Bürger, evtl. noch mit Kindern überhaupt etwas über Korruption und Lügen in der Politik mitkriegen, wenn die Medien dieses nicht publik machen? Und zwar als Schlagzeile, dann würden auch wieder Zeitungen gekauft. Aber nein, die wirklich brisanten Themen werden weder recherchiert, noch der Wichtigkeit für die Gesellschaft entsprechend positioniert. Die meisten Menschen haben nun mal erst die Möglichkeit alles zu erfahren, wenn es sichtbar wird, wenn die Bäume gefällt werden, wenn Züge gestrichen werden und verspätungen sich unerträglich häufen, weil angefangen wird, zu bauen. Erst dann kommt das thema in das Bewusstsein, erst dann informiert der Normalbürger sich. Bei Stuttgart 21 kommen täglich neue Skandale zutage, da kann kein Mensch mehr die Demonstrationen stoppen, die Informationskanäle sind geschaffen, die Menschen unterhalten sich, sie wissen Bescheid!

  • M
    Malzi

    Das Theater wenn auf einmal Straßenprojekte durch Feldhamster/Juchtenkäfer Siedlungen per Volksentscheid durchgedrückt werden, möchte ich mir nicht anhören.

  • K
    Klingelhella

    Danke Hr. Rath, ein sehr treffender und ausgewogener Kommentar. Gerade die Gefahr von "lokalen Abwehrreflexen" sehe ich vermindert, wenn die Bürger, wie auch immer, langfristig und direkt in den Entscheidungsprozess eingebunden werden.

     

    Während bei uns direktdemokratische Ansätze normalerweise sofort mit dem "Todesstrafe"-Argument abgebügelt und somit die Bürger als unzurechnungsfähig dargestellt werden, zeigt sich aus Systemen, die solche Ansätze implementiert haben, dass Bürger durchaus auch für Steuererhöhungen o.ä. unpopuläre Entscheidungen stimmen, wenn die Debatte darüber offen und sachlich geführt wurde.

     

    Tatsächlich aber würde der Trend, dass einige Wenige im Wasserkopf von Konzernen und Institutionen leistungslos von der Arbeitskraft und der Infrastruktur des Gemeinwesens profitieren, endlich aufgehalten werden.

  • BL
    Bürger Lars (aus Stuttgart)

    Ich will hier ein paar Aspekte aus der aktuellen Stuttgarter Diskussion einfließen lassen.

     

    Die Bürger haben sich in Stuttgart zu allen Zeiten gewehrt. Es gab in den bisherigen Planfeststellungsverfahren über 5.000 schriftliche Einwendungen. Diese wurden alle abgebügelt.

     

    Es ist nahezu unmöglich im Planfeststellungsverfahren "Massen" zu mobilisieren, da da noch viel zu unklar und vage ist. In Stuttgart stehen aber, alleine für das Bahnhofsprojekt, noch 2 große Planfeststellungen aus (Bei der Naubaustrecke fehlen die Planfeststellungen noch für etwa 2 Drittel der Strecke).

     

    Die Verantwortlichen hier im Land UND die Bahn pochen aber auf die Unumkehrbarkeit, obwohl das Gesamtprojekt noch gar nicht komplett genehmigt ist.

     

    Sicher können Experten zu den Planfeststellungen bzw. den Planfeststellungsverfahren hier noch ergänzen, dass bei jeder Teilfeststellung das Gesamtprojekt gewürdigt werden muss. Diese Bürgerrechte (und dies ist hier ein Bürgerschutzrecht) werden hier in Stuttgart mit den Füßen getreten.

     

    In Stuttgart kommt noch hinzu, dass nicht nur die Bürger immer gegen das Projekt waren, sondern dass auch im Baden-Württembergischen Landtag die dort vertretenen Grünen seid 15 Jahren (!!!) IMMER und jedes mal gegen das Projekt waren.

     

    Das wurde auch alles unter "den Teppich" gekehrt.

     

    Nichts gegen die Vorschläge des Autors. Aber diese Fakten sollte man nicht ignorieren, wenn man etwas über "Stuttgart" schreibt oder mit Freunden diskutiert.

     

    Viele Grüße aus Stuttgart

     

    Bürger Lars

  • O
    Ogdan Ücgür

    Ich kann die Ansicht des Artikels nicht teilen. Bereits heute sind Vorhaben - egal welcher Größe - durch die langwierigen Bürgerbeteiligungs-, Einspruchs- und Einwendungsverfahren und den langen Rechtsweg, sowie die Umfänglichen Denkmalschutz-, Umwelt- und Auswirkungsprüfungen nicht nur sehr langwierig, sondern auch kaum noch planerisch beherrschbar.

     

    Dadurch sind die Kosten von Vorhaben bis zu 5mal höher, als dies ohne die umfangreichen und langwierigen Prozeduren nötig wäre.

     

    Von daher ist die Argumentation der Grünen auch mehr als unredlich: natürlich haben innerhalb von 15 Jahren, in denen jeden Tag Demokratie gelebt wurde in Bürgerbeteiligung, Rechtsweg und Parlamentsentscheidungen, sich verschiedene Parameter geändert.

     

    Nur wenn man auf die ganzen Verfahren verzichten würde, nur dann würde man planerisch sicherer werden und Kostensteigerungen eindämmen können.

     

    Die Argumentation, wegen der - durch Bürgerbeteiligung Rechtsweg etc. bedingten - Kostensteigerungen, müsse man jetzt nochmals Runden und Schleifen drehen, ist abwegig: billiger wird es nicht mehr. Mit der Zeit wird es nur teurer.

     

    Irgendwann muß man auch anfangen und ein Projekt durchziehen. Nur wenn sich dann technische oder finanzielle Parameter aus dem Projekt heraus verändern, dann sollte man neu entscheiden und ggf. den Stecker ziehen.

  • MM
    mensch meier

    Ja. Soweit so gut.

     

    Beim Verhandeln stellt sich mir nur die Frage:

     

    Mit wem soll die Verwaltung denn verhandeln?

    Eine große Menge Protestierender besteht aus vielen einzelnen. Wer hat die Legitimation für so eine Menge zu sprechen?

     

    Ich bin gespannt, welche praktische Lösung in Stuttgart dafür gefunden wird.

     

    Denn wenn etwas verhandelt wurde, dann ist die Menge erst mal nur um die 4 Leute kleiner, die ggf. verhandelt und zugestimmt haben.

    Alle anderen beurteilen das Ergebnis und entscheiden dann persönlich für oder wider den weiteren Protest.

     

    Das heißt: die Verhandler aus der Protestbewegung haben kein Mandat - die Bau-befürworter dadurch keine verlässlichen Verhandlungspartner.

     

    Konsequenz:

    Man könnte einen "Kompromiss" auch ohne Gespräche anbieten. Überzeugt werden muss ohnehin jeder einzelne...

  • A
    alberto

    lieber christian rath, da wird in postdemokratischer zeit dein rat(h) zu nachgehender bürgerbeteiligung ein tropfen auf den heissen stein, der wütet, weil die massstäabe nicht mehr stimmen. ein derartiges projekt wie "s 21" hat immer nur einen gewinner - die profiteure, die sich neue investitionsmöglichkeiten erschliessen, während die zivilgesellschaft keinen erkennbaren nutzen ziehen kann und an dieser unbeherrschten wachstums- und klientelpolitik immer weiter verarmt. das ist deshalb nicht nur eine verfahrensfrage, sondern ein klassischer akt des widerstands, der naturrechtlich begründet unsere deutsche art der "revolution" ist, weil wir erkennbar nie eine revolution - bis auf 1989 im osten - erfolgreich gegen den herrscher durchgesetzt haben. es ist dies das "nein" des volkes zu machtstrukturen, bei denen es sein souveränes recht auf mitwirkung selbst durch seine vertreter verspielt sieht. und wenn du dir dann mal deine kollegen von stuttgarter zeitung und süddeutscher vornimmst, wie sie sich in den akzeptanzprozess eingelullt haben - da wird eben auch keine kritische distanz mehr sichtbar, die die gewalten in der balance halten könnten - dann nimmt das volk die angelegenheit wieder in eigene hände. albert klütsch aus kuala lumpur

  • G
    grafinger

    Chapeau, Christian, Du hast es erkannt. Der Bürger muss die Möglichkeit "nachholender Bürgerbeteiligung" (sic!) haben.

    Und so dürfen wir bald darüber abstimmen ob der Artikel 102 GG wirklich auch für Faschparker, Pädosexuelle und jugendliche Intensivtäter mit Migrationshintergrund gelten soll, ob die erworbene deutsche Staatsangehörigkeit den ehemaligen "Gastarbeitern" wieder entzogen werden soll oder ob die "Ostverträge" inclusive des deutschen Verzichtes auf die Gebiete unter polnischer und sowjetischer Verwaltung und der Beitritt zur EU als nichtig betrachtet werden sollen.

    Was, wie bitte, Christian, Du findest das alles voll "Nazi" und revanchistisch? Das mag daran liegen, dass das Volk eben ab und zu eine andere Meinung hat als ein "rechtspolitischr" (sic!) Autor.

  • V
    vic

    Erschwerend kommt hinzu:

    Wichtige Unterlagen wurden unterschlagen.

    Kosten sind explodiert.

    Risiken wurden verdrängt oder nicht beachtet.

    Umweltschäden außer acht gelassen.

    Dieses Projekt ist nicht mehr dasselbe, das vor Jahren abgenickt wurde.

     

    Anmerkung: Der Atomausstieg war auch von allen Seiten beschlossen und akzeptiert.

  • S
    Student

    Ein sinnvoller Artikel, der mal unaufgeregt versucht, die Problematik an der Wurzel zu packen.

  • AS
    Andreas Suttor

    Leider der völlig falsche Ansatz. Ganz im Gegenteil: die Bürger müssen endlich begreifen, daß Demokratie vom Mitmachen lebt - und zwar nicht, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, sondern eben je nach Größe des Projektes auch schon 7 bis 10 Jahre vor Realisierung. Und selbstverständlich müssen Nachzügler abgebügelt werden- damit sie endlich begreifen, daß sie in der demokratischen Gesellschaft eine Verantwortung haben, nicht nur reflexhaft auf das Tagesgeschehen zu reagieren, sondern auch in die Zukunft zu denken.

  • AB
    Adrian Bunk

    Zwei Ergaenzungen zu meinem Kommentar:

     

    Mit entsprechender Ueberzeugungsarbeit, insbesondere was mit den freiwerdenden Flaechen passiert, waere es 2007 vermutlich noch moeglich gewesen 50,0001% der zur Abstimmung gehenden Leute zu ueberzeugen.

     

    Und damit haengt auch ein Problem der jetzigen Situation zusammen, das ich bisher noch nirgendwo erwaehnt gesehen habe:

     

    Es gibt Befuerworter, Gegner, und die Leute dazwischen.

     

    Vereinfacht gesagt gibt es bei einem solchen Projekt vermutlich 10-20% Hardcore-Befuerworter, 10-20% Hardcore-Gegner, und 60-80% Leute die fuer Argumente beider Seiten zugaenglich sind.

     

    Jetzt versuchen in Stuttgart die Hardcore-Befuerworter und die Hardcore-Gegner miteinander einen Kompromiss zu finden, was fast unmoeglich ist.

     

    Bei einem Buergerbegehren reicht es wenn man so viele Leute von seiner Meinung ueberzeugt dass man bei der Abstimmung 50,0001% bekommt.

  • AB
    Adrian Bunk

    Buerger haben auch schon Infrastrukturprojekte gegen den Willen der Regierenden beschlossen.

     

    1996 wurde in Munechen per Volksentscheid sogar gegen den Willen der rot-gruenen Stadtratsmehrheit der Bau von 3 Strassentunneln beschlossen:

    http://www.stadt-muenchen.net/geschichte/a_geschichte.php?id=552

    http://www.wochenanzeiger-muenchen.de/redaktion/lokalredaktion-muenchen/aktuelle-nachrichten/Wie+war+das+damals+mit+dem+Bürgerentscheid_13780.html

     

    Als 2007 ueber 61000 Unterschriften fuer ein Buergerbegehren gegen "Stuttgart 21" uebergeben wurden war in Meinungsumfragen die Bevoelkerung ja auch noch unentschieden, und das Buergerbegehren haette durchaus fuer "Stuttgart 21" ausgehen koennen.

  • I
    Ingo

    Mündige Bürger?

    Genauso, wie Parteien Wahlniederlagen akzeptieren müssen, müssen auch Bürger akzeptieren, wenn sie mit ihren Einsprüchen nicht durchgedrungen sind. - Der Vorsitzende der Grünen Fraktion in Baden Württemberg hat am Donnerstag im Fernsehen betont, dass die Grünen sich seit 15 Jahren gegen das Projekt wehren, und zwar auf allen demokratischen und rechtlichen Ebenen. Wenn man nach 15 Jahren noch nicht "gewonnen" hat, sollte man das akzeptieren und nicht die aufwiegeln, die offensichtlich 15 Jahre lang kein Interesse an diesem Thema hatten. Sollten sich unter diesen mündige Bürger befinden, sollten sie aus diesem Fall lernen, sich rechtzeitig auf den dafür vorgesehenen Wegen, z.B. im Planfeststellungsverfahren einzumischen. Sie haben nach wie vor das Recht, friedlich zu demonstrieren, dürfen aber zum jetzigen Zeitpunkt keinen Einfluss mehr auf die Frage Ja oder Nein haben. Der Staat hat nicht nur das Recht, sondern die Pflicht rechtmäßige Beschlüsse der dafür zuständigen Gremien durchzusetzen, sonst ist er nicht verlässlich für seine Bürger, und auf diese Verlässlichkeit vertrauen doch auch die Demonstranten z.B. im Bereich des Demonstrationsrechtes.

  • W
    WeGe

    Ich sehe Bürgerentscheide sehr kritisch. Die Masse ist nicht so objektiv wie sie zu sein glaubt. Zu einfach lässt sich die Stimmung durch tendenziöse Massenmedien wie die Bild-Zeitung oder "Reportagen im privaten Fernsehen" manipulieren. Zu sehr dominieren emotionale Einflüsse bei der Entscheidung.

     

    Gerade bei komplexen Sachentscheidungen wie bei Stuttgart 21 ist der Bürger auf keinen Fall in der Lage sachlich zu entscheiden. Denn auch wenn man seine eigene Meinung mit Versatzstücken aus Gutachten aufmotzt, heisst das noch lange nicht dass man nun ein fachlich fundiertes Urteil fällen kann. Auch zweifele ich daran, dass die Mehrheit eine Entscheidung treffen würde die Ihr im Zweifelsfalle erst einmal weh tut.

     

    Volksentscheidungen machen vielleicht Sinn wenn es um das Setzen ganz grundsätzlicher Prioritäten geht. Der Ausstieg vom Ausstieg aus der Atomenergie hätte möglicherweise ein solcher Anlass sein können. Aber auf der anderen Seite sind es genau diese Prioritäten die bei der Wahl einer Partei eine Rolle spielen sollten. Weder Stuttgart 21 noch der Ausstieg aus dem Ausstieg waren überraschende Entwicklungen in der Politik der jeweils gewählten Regierungspartei.

     

    Ich glaube das Problem liegt darin dass der Bürger sich nicht ständig an der Politik beteiligt. Zum einen kostet es Zeit und Energie die viele einfach nicht mehr aufbringen können neben ihrem Broterwerb, zum anderen ist die Schwelle auch sehr hoch. Die Fragestellungen sind komplex, die Zusammenhänge intransparent.

     

    Volksentscheide sind nicht Teil der Lösung Problems. Sie schaffen nur wieder neue Probleme. Die perfekte Demokratie verlangt übermenschliches von allen Beteiligten. Konflikte wie in Stuttgart wird es immer geben. Änderungen am "Prozessmodell" der Demokratie werden daran nichts ändern.

  • R
    rugero

    Der brutale Polizeieinsatz ist durch nichts zu rechtfertigen und wird bei den nächsten Wahlen hoffentlich vom Wähler quittiert !!

     

    Insgesamt verstehe ich die Auseinandersetzung aber nicht so richtig. Als ich vor ca.30 Jahren in Stuttgart wohnte hörte ich erstmals von dem Projekt. Irgendwann ging es in die Konkrete Planung und nach langer Vorbereitungszeit soll es nun an die Umsetzung gehen. Bürger, die mit S 21 nicht einverstanden waren hatten Jahrzehnte die Möglich zu protestieren. Etliche Kommunal- und Landtagswahlen fanden statt, mit der Gelegenheit Einfluß zu nehmen und Politiker abzustrafen. Warum die Unzufriedenheit erst jetzt so vehement geäußert wird ist für mich nicht nachvollziehbar.

     

    Wenn wir die Möglichkeiten einräumen teure und jahrzehntelange Planungen am Schluß durch Bürgerbescheid umzukippen, ist der Verschwendung von Steuergeldern aus momentanen launen heraus Tür und Tor geöffnet.

     

    Gut an der Sache finde ich allerdings, daß eine Diskussion über Bürgerbeteiligung ausgelöst worden ist, die eine Veränderung der politischen Landschaft zur Folge haben kann und daß sich die Unzufriedenheit mit der Politik der klassischen Politkaste und ihrem nur auf Machterhalt ausgerichteten Handlungen dokumentiert.

  • DF
    dieter fauler

    sorry, aber wer zu faul ist, sich rechtzeitig ueber die auswirkungen eines projekts zu informieren, verwirkt auch sein recht auf mitbestimmung.

  • TM
    Tino Maurus

    Ein Problem ist leider aber auch die Tatsache, dass viele Bürger Projekte (in ihrer gesamten Tragweite) in frühen Stadien überhaupt nicht wahrnehmen oder beurteilen können. Hier liegt die Verantwortung nicht nur bei den Politikern sondern eben vor allem auch bei den "außerparlamentarischen" Kontrollinstanzen.

     

    Würden unsere Medien - sowohl überregional als vor allem auch regional - im gleichen Maßstab über Großprojekte berichten, wie sie über die Ehe von Prad Pit oder die Krönungszeremonien der europäischen Königshäuser berichten, sähe es in diesem Land vermutlich anders aus.

  • T
    Thea1966

    Oft ist auch die mangelhafte Informationspolitik schuld an verspäteten Protesten. Wenn Gutachten unter Verschluss gehalten und nicht entkräftet werden oder nicht alle Konsequenzen auf den Tisch kommen. Zum Beispiel die Flughafenerweiterung in Braunschweig. Da gab es auch im Vorfeld Proteste und wegen der Abholzung von Bäumen und anderen Umweltfragen. Da war der Protest noch nicht so groß und wurde einfach ganz platt abgebügelt. Jetzt wurde mit dem Bau angefangen, Bäume gefällt UND es kam raus, dass eine Direktverbindungsstraße wegfallen wird weil das Verlegen der Straße zu teuer wird. Erst jetzt wird den Leuten klar, dass sie riesige Umwege haben werden und dass der gesamte Verkehr sich durch Ortschaften Quälen wird da hier auch eine Umleitungsstrecke für die A2 betroffen ist. Darüber hat voher niemand gesprochen. Nutzen werden die BürgerInnen auch nicht vom Ausbau haben da die längere Landebahn angeblich nur für ein Forschungsflugzeug gebaut wird aber eigentlichein Konzern den Flughafen mehr nutzen möchte.

    Also im Vorfeld alle Fakten auf den Tisch!

  • R
    Rolle

    So sehr ich mit Dem Autor das Anliegen für regionale Bürgerbeteiligungsverfahren teile, so skeptisch bin ich allerdings bei seinen Thesen zu einer "nachholenden Bürgerbeteiligung". Es gibt ja durchaus hilfreiche Evaluationen und wissenschaftliche Auswertung zu beteiligungsverfahen (Z. b. von Jörg Bogimil), deutlich ist dabei mmer wider wie Sensibel gerade die beteiligten Bürger auf Enttäuschungen reagieren. Eine erfolgreiche Bürgerbeteiligung ist eben doch mehr als eine Volksabstimmung und hat ein hohes Frustrationspotential, so ein Verfahren muss zumindest immer gut geplant werden.

  • D
    David

    Unergänzendes Applaus klatschen ist mir eigentlich fremd, doch dieser Artikel/Kommentar über demokratische Verwirklichungsprozesse, aufgehängt an der S21 Debatte ist eine der wenigen Stimmen, die Problem und Lösungsansätze auf eine gute analysierten Punkt fokussieren. In einer Zeit voller phlegmatischer Polemik bin ich einfach mal dankbar soetwas zu lesen. Die TAZ-Redakteure sollten sich aber trotzdem mal Gedanken machen, denn damit gerechnet das hier zu finden habe ich nicht.

  • HF
    Helmut Fuchs

    Wieso zu spät? Nur weil die Medien - und auch die taz - jahrelang ignoriert haben, dass es einen Protest gibt, soll es ihn jetzt nicht gegeben haben?

     

    1997 im Rahmen der "offenen Bürgerbeteiligung" wurde ein Bürgerentscheid gefordert.

     

    Bei der Wahl zum Oberbürgermeister hat OB Schuster, mit dem Wahlversprechen einen Bürgerentscheid durchzuführen, gewonnen!

     

    Und schließlich, als offensichtlich wurde, dass der OB wortbrüchig wird, wurden 67000 gültige Unterschriften für einen Bürgerentscheid gesammelt, die OB Schuster durch das setzen einer Unterschrift unter einen Vertrag verhindert hat!

     

    Was man den Stuttgartern bestenfalls vorwerfen kann, ist die Naivität zu glauben, man könne mit Bedenken Gehör finden und die wenigen vorgesehenen Wege zur Bürgerbeteiligung auch nutzen, ohne in Massen auf die Straßen gehen zu müssen!!!

     

    Die Protestbewegung hat an Masse gewonnen eben WEIL jede Form der Bürgerbeteiligung aktiv und mit üblen Tricks verhindert wurde. Und weil immer offensichtlicher wurde, dass die Politik vor Argumenten abtaucht und lieber selbstbespiegelnd Machtpolitik, Pöstchenschieberei und Klientelwirtschaft betreibt, mithin jedes Vertrauen verspielt hat.

     

    Aus meiner Sicht hat Herr Rath also das Thema verfehlt: Es geht nicht darum, ein Kind aus dem Brunnen zu ziehen, dem man beim Fallen zugeschaut hat. Sondern darum, als Bürger endlich zum Tatort vorgelassen zu werden, damit sich Korruption und Vetternwirtschaft nicht ungehindert Bahn brechen können.

  • R
    Rod

    Ich habe den Eindruck, dass man sich häufig erst zu spät gegen etwas wehren kann, weil Politiker die Bevölkerung bewußt und mit raffinierten Mitteln hinters Licht führt.

    Einige Beispiele:

     

    Unpolpuläre Entschlüsse werden ohne große Presse klammheimlich in Sommerlöchern getroffen.

     

    Informationen werden nur scheibchenweise oder verfälscht herausgegeben. Baukosten werden z.B. von Politikern viel zu niedrig angegeben nach dem Motto "so werden das die Bürger erst einmal schlucken". Dann werden nach und nach immer höhere Baukosten genannt und die Politiker denken sich "pah, die haben wir prima hinters Licht geführt, jetzt wo es keinen Weg zurück mehr gibt lassen wir die Katze scheibchenweise aus dem Sack". Die Bevölkerung ist aber nicht so dumm wie Politiker denken und wehrt sich nun.

     

    Weiterhin veranstalten Politiker gerne einen riesigen Trubel auf unbedeutenden Nebenschauplätzen, um von wichtigen Angelegenheiten abzulenken, die dann erst nachträglich bekannt werden.

     

    Eine andere beliebte Strategie ist es zuerst eine gravierende Maßnahme wie z.B. eine hohe Steuererhöhung anzukündigen und am Ende kommt eine geringere Erhöhung der Krankenkassenbeiträge heraus. Dabei wurde dieser Weg bewußt gewählt um bei der Bevölkerung den Eindruck zu erwecken, dass es noch einmal glimpflich ausgegangen sei.

     

    Kungeleien mit der Lobby geschehen sowieso im Verborgenen, da wird die Bevölkerung von vornherein betrogen.

     

    Weiterhin hat es sich seit Helmut Kohl eingeschlichen, Entscheidungen, die eigentlich politisch getroffen werden müssen einfach per Gerichtsbeschluss durchzuboxen.

     

    Die Bevölkerung gewährt zwar Regierung und Politikern im allgemeinen eine große "Narren"freiheit. Wenn sie aber über einen längeren Zeitraum nur noch an der Nase herumgeführt wird, dann lässt sie sich das nicht mehr gefallen.

     

    Bei den Demonstrationen geht es nicht alleine um Stuttgart 21. Da steckt eine gravierende Unzufriedenheit mit der gesamten Regierung dahinter. Stuttgart 21 brachte lediglich das Fass zum überlaufen und es ist anders als die abstrakten politischen Geschäfte z.B. auf EU-Ebene eine Sache, die die Bevölkerung greifen kann und von der sie direkt betroffen ist.

  • U
    Ujakabujaka

    "während direkte Demokratie auf Bundesebene laut Grundgesetz bisher nicht einmal vorgesehen ist."

     

    GG ARtikel 20 Absatz 2

    Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen......ausgeübt.

     

    Was, wenn nicht eine Legitimation für Plebiszite, ist dieser Absatz des Artikels 20 ? In einer älteren Version des GG steht sogar Plebiszit, also Volksabstimmung. Oder interpretiere ich diesen Artikel grundlegend falsch?

  • SB
    Sabine Bauer

    Demokratische Verfahren und höchstrichterliche Urteile bestätigen, dass alle bekannten Risiken zur Umsetzung geprüft und berücksichtigt wurden: http://bit.ly/dlYbqJ