Kommentar Brüderle-Affäre: Brüderles Grenzüberschreitung
Es ist richtig vom „Stern“, die Geschichte zu veröffentlichen. Und die FDP sollte sich nicht als Opfer einer Kampagne stilisieren. Was ansteht, ist eine Entschuldigung.
P olitjournalismus ist ein Männergeschäft, noch immer. Zu Hintergrundgesprächen bei SPD/CDU/CSU/FDP erscheinen meist zwei, drei Dutzend Journalisten – und ein paar Journalistinnen. Beim Interview schaut der Parteivorsitzende automatisch zum Journalisten, der qua Geschlecht als satisfaktionsfähig geortet wird. Die Kollegin ist erst mal Luft.
Allerdings ist die Branche millimeterweise im Umbruch begriffen. Bei den Jüngeren gibt es mehr Journalistinnen: Ein Ergebnis des Kampfes zwischen Altmachismo und Postfeministinnen ist die Brüderle-Affäre. Im Stern hat eine Journalistin eine Szene mit dem FDP-Politiker Rainer Brüderle beschrieben. Spätabends an einem Tresen hat der Liberale sie mit plumpen Anzüglichkeiten behelligt. Am Ende musste die FDP-Pressesprecherin Brüderle ins Bett schicken.
Ist es richtig, diesen Vorfall im Graubereich zwischen Job und Party zu veröffentlichen? Ist es fair? Das Privatleben von PolitikerInnen ist in Deutschland weitgehend tabu – das ist gut so. Nur PolitikerInnen, die ihr Privatleben vermarkten, müssen fürchten, dass auch ihre privaten Desaster in den Zeitungen landen. Diese mediale Zurückhaltung ist eine Barriere gegen die Verwandlung von Politik in Klatsch. Und sie ist leicht zu zerstören, aber schwierig zu reparieren.
ist Parlamentskorrespondent der taz.
Ist die Stern-Story eine unzulässige Ausweitung der Kampfzone zwischen Medien und Politik? Nein. Wenn ein Politiker eine Reporterin mit Chauvisprüchen traktiert, ist dies keine Privatangelegenheit, sondern eine unzulässige Grenzüberschreitung.
Man muss den Vorfall nicht größer machen, als er ist. Dies ist kein Fall, in dem ein Mann seine Macht missbraucht hat, um sexuell aufdringlich zu werden. Journalistinnen sind nicht ohnmächtig, das zeigt der Stern gerade. Sie haben eine scharfe Waffe, um sich zu wehren – Öffentlichkeit. Als dumpfer Zotenkönig zu gelten, ist eine harte Strafe.
Das Geschehen liegt ein Jahr zurück. Es wäre glaubwürdiger gewesen, wenn der Stern diese Munition nicht ein Jahr aufgehoben hätte. Entscheidend aber ist: Es ist richtig, die Geschichte zu veröffentlichen. Sie dient der Aufklärung.
Die FDP wäre gut beraten, sich nicht als Opfer einer Kampagne zu stilisieren. Was ansteht, ist eine Entschuldigung. Was ansteht, ist ein klares Zeichen, dass man verstanden hat: Sexistische Anmache geht nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten
Anschlag von Magdeburg
Aus günstigem Anlass